Archiv des Autors: Peter Sutter

Ukraine: Ein Apartheidregime mitten in Europa – und alle schauen weg…

 

Am 16. Juli 2019 trat in der Ukraine, wie die deutsche “Tageszeitung” berichtete, ein neues Sprachengesetz in Kraft. Demzufolge muss die ukrainische Sprache im Fernsehen und in Kinofilmen, in Buchverlagen sowie im Tourismus und bei Stadtführungen benützt werden. Überregionale Zeitungen dürfen nur noch in ukrainischer Sprache erscheinen. Beamte und Kandidatinnen für Staatsämter, der Premierminister, die Parlamentsvorsitzende und ihre Stellvertreter, Minister, Leiterinnen aller zentralen Behörden, Rechtsanwältinnen und Notare, Ärzte, das Management von staatlichen und kommunalen Unternehmen, Lehrerinnen, Militärs, Sportlerinnen, Künstler und Personen, welche die Staatsbürgerschaft erwerben möchten – sie alle müssen fliessend Ukrainisch sprechen können, wenn nicht, bleibt ihnen der Zugang zu allen diesen Ämtern und Funktionen verwehrt. Besonders hart betroffen sind Künstlerinnen und Wissenschaftler, deren Tätigkeitsfelder durch das Sprachengesetz stark eingeschränkt werden. Zudem dürfen öffentliche Reden nur auf Ukrainisch gehalten werden. In Geschäften, Supermärkten, Apotheken, Banken und Restaurants müssen die Mitarbeitenden auf Ukrainisch antworten, wenn sie auf Ukrainisch angesprochen werden. Verstösse gegen das Sprachengesetz werden, je nach der Schwere des “Vergehens” mit kleineren oder grösseren Geldbussen geahndet. Wer einen politischen Versuch unternimmt, in der Ukraine eine offizielle Mehrsprachigkeit einzuführen, dem droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. “Die ukrainische Sprache”, so Wolodymir Selenski, “ist die einzige Staatssprache in der Ukraine. So war es, so ist es und so wird es bleiben.” Dabei geht es nicht nur um die Alltagssprache, betroffen sind auch die Musik und die Literatur: Ab sofort dürfen Werke russischer Komponisten und Komponistinnen nicht mehr öffentlich aufgeführt werden. Auch der Import und die Verbreitung von Büchern und anderen Printmedien aus Russland, Belarus und den russisch besetzten Gebieten sind seit anfangs 2022 komplett verboten. Mehr als 100 Millionen Bücher wurden aus den öffentlichen Bibliotheken der Ukraine entfernt, unter anderem Leo Tolstois mehrfach verfilmtes Meisterwerk “Krieg und Frieden”, aber auch Kinderbücher, Liebes- und Kriminalromane.

Von alledem ist ist den westlichen Mainstreammedien kaum je etwas zu hören. Selbstverständlich kann die Unterdrückung der russischen Sprache und Kultur in der Ukraine längst nicht den Einmarsch russischer Truppen rechtfertigen, doch der Umgang des ukrainischen Staates mit seiner russischsprachigen Minderheit von immerhin 30 Prozent der Bevölkerung relativiert doch ganz erheblich das Bild jenes vorbildlichen, demokratischen Musterknaben, welches im Westen so gerne verbreitet wird. Im Gegenteil sieht man sich nachgerade in Zustände zur Zeit der Sowjetunion versetzt, nur dass es dazumal genau umgekehrt war: 70 Jahre lang galt das Russische als alleinige Amtssprache in der Ukraine, die Regierung, Schulen und Unternehmungen waren verpflichtet, ausschliesslich die russische Sprache zu verwenden. Doch kann man ein Unrecht mit einem anderen gutmachen? Soll die Ukraine Ungerechtigkeiten vergangener Zeiten blindlings wiederholen, bloss mit umgekehrten Vorzeichen? Der Angriff auf Sprache und Kultur einer Minderheit der Bevölkerung, die Spaltung der Menschen in eine erste und eine zweite Klasse mit unterschiedlichen Rechten sowie unterschiedlichen beruflichen und politischen Aufstiegsmöglichkeiten, dies alles ist doch ein unverzeihlicher, durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf Millionen von Menschen und ihren legitimen Anspruch auf Gleichberechtigung, ein Angriff auf ihr ureigenes Selbstverständnis, auf ihre Identität und auf ihre kulturellen Wurzeln. Denn, wie es der deutsche Schriftsteller und Historiker Felix Dahn sagte: “Des Volkes Seele lebt in seiner Sprache.” 

Man stelle sich vor: Das schweizerische Parlament würde beschliessen, Deutsch als einzige Amtssprache schweizweit durchzusetzen. Politikerinnen und Politiker, Lehrerinnen und Ärzte in der Westschweiz und im Tessin dürften nur noch Deutsch sprechen. Alle literarischen Werke französisch- und italienischsprachiger Autorinnen und Autoren würden aus den Bibliotheken entfernt. Alle kantonalen Gesetze müssten ins Deutsche übertragen werden. Sämtliche Zeitungen würden nur noch in deutscher Sprache erscheinen, am Radio und Fernsehen würde nur noch Deutsch gesprochen… 

Wir erinnern uns an den weltweiten Aufschrei und die Wirtschaftssanktionen gegen das Apartheidregime der südafrikanischen Regierung in den Neunzigerjahren. Weshalb hüllt sich die gleiche westliche Welt angesichts der heutigen Apartheidpolitik der Ukraine in so gänzlich unbegreifliches Schweigen? Vielleicht, weil es das Bild von der “guten” Ukraine und dem “bösen” Russland zu sehr stören würde?

Elon Musks Friedensplan für die Ukraine: Die richtige Idee zur richtigen Zeit

 

Kürzlich hat der Unternehmer Elon Musk einen eigenen Friedensplan für die Ukraine vorgelegt, mit folgenden Punkten: Erstens sollen die Abstimmungen in den von Russland annektierten Regionen unter UNO-Aufsicht wiederholt werden. So würde das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Menschen gewahrt und Russland müsste, je nach Ausgang der Abstimmungen, diese Gebiete wieder räumen. Zweitens solle die Krim formell Teil Russlands werden. Drittens müsste die Wasserversorgung der Krim gesichert werden. Und viertens müsste die Ukraine ein neutraler Staat bleiben. Nüchtern betrachtet, ist den Vorschlägen Musks wohl wenig entgegenzusetzen, zumindest könnten sie eine brauchbare Grundlage bilden für Friedensverhandlungen, die angesichts der aktuell so verfahrenen und gefährlichen Lage dringendst nötig wären. Doch die Reaktionen der Kriegsparteien geben wenig Anlass zu Hoffnung: Russland findet Musks Friedensplan immerhin “positiv”, lehnt ihn aber dennoch ab. Selenski fragt seine Follower: “Welchen Elon Musik mögt ihr mehr, einen, der die Ukraine unterstützt, oder einen, der Russland unterstützt?” Und Melnyk, der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, twittert: “Verpiss dich, das ist meine sehr diplomatische Antwort.”

Wer nun denkt, dass wenigstens unabhängige westliche Medien dem Friedensplan von Elon Musk eher zugeneigt sein könnten, sieht sich auch darin schnell getäuscht. Die “NZZ” vom 5. Oktober schreibt, Musks Friedensplan könne man nur “im allerbesten Fall als naiv bezeichnen.” Und der “Tagesanzeiger” bezeichnet Musk im Zusammenhang mit seinem Friedensplan als “Troubleshooter vor dem Herrn” und weist darauf hin, dass Musk schon einmal “seinen eigenen Klogang gewittert hat” – als ob das auch nur im Entferntesten etwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hätte. Weiter feure Musk auf Twitter “immer wieder polemische Äusserungen ab.” Kurz: Was der Mann in die Welt hinausposaune, sei nicht wirklich ernst zu nehmen.

Was für eine verrückte Welt. Während Berichte über den Kriegsverlauf, über Massaker und über Wirtschaftssanktionen seitenlange mediale Beachtung finden, werden Aufrufe zu Friedensverhandlungen und ein Ende des Kriegs ins Lächerliche gezogen, mundtot gemacht oder totgeschwiegen. Sahra Wagenknecht, eine der führenden Repräsentantinnen der deutschen Friedensbewegung, wird in Talkshows von ihren Gegnerinnen und Gegnern, für die es keine andere Lösung gibt als den Krieg bis zum bitteren Ende, jeweils dermassen polemisch und respektlos attackiert, dass man sich wundern muss, dass sie an solchen “Gesprächen” überhaupt noch teilnimmt. Die Friedensbotschaften von Papst Franziskus und sein dringender Appell, den Krieg unverzüglich zu beenden, verhallen ungehört. Und von der Friedensinitiative des Dalai Lama, für die weltweit immerhin über eine Millionen Stimmen gesammelt wurden, war weder in einer Zeitung, noch im Fernsehen oder auf einem der grossen Internetportale jemals auch nur ein einziges Wort zu hören.

Eine verrückte Welt. In der es normal geworden ist, Vorschläge für eine Friedenslösung als “naiv”, “unrealistisch” oder gar “absurd” abzutun, während das einzig wirklich Absurde doch dieser Krieg ist, der am Ende keine Gewinner kennt, nur Verlierer und endlose, sinnlose Zerstörung. Eine verrückte Welt, in der viel zu viele Menschen offensichtlich schon so viel Krieg im Kopf haben, dass der Frieden darin gar keinen Platz mehr findet. “Probleme”, sagte Albert Einstein, “lassen sich nie mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Wenn alles absurd geworden ist, dann ist jeder neue Gedanke der Anfang einer neuen Zeit, in der von Neuem die Liebe, die Gerechtigkeit und der Frieden das Normale sein werden. Fragt die Kinder, die ihre Erinnerung ans Paradies noch nicht verloren haben! Fragt die Blumen am Wegesrand, die Tiere im Wald! Fragt die Frau, die soeben im Bombenhagel ihr Kind zur Welt gebracht hat! Elon Musks Vorschläge wären eine wunderbare Chance gewesen, der schon fast verlorenen Hoffnung auf Frieden doch noch eine Chance zu geben. Alle, die sie bekämpfen, sie lächerlich machen oder sie totschweigen, machen sich daran mitschuldig, dass Zerstörung, Leiden und der Wahnsinn, Gewalt könne nur durch Gewalt überwunden werden, wohl noch viel zu lange Zeit kein Ende finden.

Weshalb die Rolle des Westens und der USA im Ukrainekonflikt nicht einfach verschwiegen werden darf…

 

“Wie weit geht Putin noch?” – dies das Thema der Diskussionssendung “Club” am Schweizer Fernsehen vom 4. Oktober 2022. Es geht um die aktuelle militärische Lage in der Ukraine, um Putins machtpolitische Strategien und um die Frage, wie weit er gehen würde im Falle einer militärischen Niederlage im Donbass. Doch dies alles ist nur die halbe Wahrheit. Die andere halbe Wahrheit, das ist die Rolle der westlichen Staaten, allen voran der USA. 

Kurze historische Rückblende: Als 1991 die Sowjetunion zerfiel, versicherten namhafte westliche Politiker, unter ihnen der französische Präsident François Mitterrand, der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher, der amerikanische Aussenminister Jim Baker und der amerikanische Präsident George Bush, gegenüber Michail Gorbatschow, dem letzten Generalsekretär der Sowjetunion, es sei nicht geplant, die NATO nach Osten auszudehnen. Doch im Folgenden geschah genau das Gegenteil, ein europäisches Land ums andere wurde in das westliche Militärbündnis aufgenommen, und dies nicht nur aus freien Stücken, sondern aufgrund von massivem politischem und finanziellem Druck seitens der USA. Dabei hätte es genug warnende Stimmen gegenüber der NATO-Osterweiterung gegeben. So jene des US-Historikers George F. Kennan, der im Jahre 1997 Folgendes sagte: “Die Entscheidung, die NATO bis an die Grenzen Russlands zu erweitern, ist der verhängnisvollste Fehler und wird die russische Aussenpolitik in eine Richtung zwingen, die uns entschieden missfallen wird.” Ähnlich äusserte sich Robert Hunter, NATO-Botschafter der USA von 1993 bis 1998: “Die Hauptschuld an der negativen Entwicklung zwischen dem Westen und Russland nach dem Ende des Kalten Kriegs trifft die USA, insbesondere wegen der Expansion der NATO.” Und, man höre und staune, selbst Joe Biden, damals Senator, sagte 1997: “Das Einzige, was Russland zu einer heftigen militärischen Reaktion zwingen könnte, wäre eine Expansion der NATO bis zur russischen Grenze.” 

Als nun ab 2014 auch ein Beitritt der Ukraine zur NATO spruchfrei geworden war, bedeutete dies genau das Überschreiten jener roten Linie, vor der Kennan, Hunter und Biden so eindringlich gewarnt hatten. “Sie machten nicht einmal ein Geheimnis daraus”, sagte Noam Chomsky, “sie versorgten die Ukraine mit modernen Waffen, militärischer Ausbildung, gemeinsamen Militärübungen und Massnahmen zur Integration der Ukraine in die NATO.” Selbst NATO-Generalsekretär Stoltenberg war bewusst, dass hier etwas in Gang gesetzt worden war, was kaum ein russischer Führer als tragbar ansehen konnte. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon 2008 gewarnt: “Wenn die Ukraine Teil der NATO wird, dann bedeutet dies aus der Perspektive Russlands eine Kriegserklärung.” Und der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte: “Das Vertrauen zu Putin wurde durch die NATO-Osterweiterung unter starkem Einfluss der USA in Richtung Russland zerstört und nicht durch den russischen Überfall auf die Krim.”  

Man stelle sich einmal vor, Mexiko und Kanada würden sich einem Militärbündnis mit Russland anschliessen. Wie würden die USA darauf wohl reagieren? So oder ähnlich musste sich Russland fühlen, als die NATO Land um Land immer näher heranrückte. Und so ist es kein Wunder, dass Putin im Dezember 2021 das Gespräch mit der US-Regierung suchte, um bezüglich Ukraine eine einvernehmliche Lösung zu finden. Hätte Joe Biden in ein solches Gespräch eingewilligt, statt es in Bausch und Bogen zu verwerfen, wer weiss, ob damit nicht vielleicht sogar der russische Überfall auf die Ukraine hätte abgewendet werden können…

Wenn man Putin als “Aggressor” und “Massenmörder” an den Pranger stellt, dann sollte man nicht vergessen, dass auch die USA alles andere als eine weisse Weste tragen. 44 Militäroperationen, zum überwiegenden Teil völkerrechtswidrig, haben die USA seit 1945 vom Zaun gerissen, allein schon die im Vietnamkrieg angerichteten Massaker gehören zu den schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Insgesamt 50 Millionen Menschen sind den US-Militärschlägen bis heute zum Opfer gefallen, 500 Millionen Verwundete erlitten unvorstellbare Qualen und viele von ihnen tragen lebenslange psychische und körperliche Wunden. Und auch wenn man sich die aktuellen globalen Machtverhältnisse vor Augen führt, dann ist Russland längst nicht jener gefährliche und übermächtige Feind, als der es im Westen immer wieder dargestellt wird, ganz im Gegenteil: Verfügen die USA weltweit über rund 1000 Militärstützpunkte, von denen sich ein grosser Teil in unmittelbarer Nähe Russlands befinden, hat Russland gerade mal 20 militärische Basen im Ausland. Ebenso krass ist der Unterschied bei den militärischen Ressourcen: Rund 20 Mal grösser als jenes von Russland ist das jährliche Militärbudget der NATO.

Wer ernsthaft über den Krieg in der Ukraine diskutieren will, müsste auch all jene Fakten zur Kenntnis nehmen, die dem gängigen Feindbild nicht entsprechen oder dieses sogar in Frage stellen. Und er müsste sich auch mit der Frage beschäftigen, wie es denn möglich ist, dass über so viele Fakten, Aussagen und Zusammenhänge jüngster Vergangenheit ein so dicker Deckel des Vergessens gelegt werden konnte, dass die Erinnerung daran schon fast gänzlich ausgelöscht worden ist. Sollte schon jetzt die Wahrheit dem Krieg zum Opfer gefallen sein, dann ist, um dem Frieden eine Chance zu geben, nichts so wichtig, als vergessene und verdrängte Tatsachen so schnell wie möglich wieder aus der Vergessenheit hervorzuholen. Um nicht nur über die halbe Wahrheit zu diskutieren, sondern über die ganze. Ob das vielleicht ein Thema für den nächsten “Club” am Schweizer Fernsehen wäre?    

 

 

Die Anschläge auf die Gaspipelines in der Ostsee und die Rolle der Medien: Wie sich Meinungen und Hypothesen nach und nach in scheinbare “Wahrheiten” verwandeln…

 

“Die Frage, wer es war, wird vielleicht nie mit abschliessender Sicherheit geklärt werden”, so schreibt der “Tagesanzeiger” vom 1. Oktober 2022 in Bezug auf den Anschlag auf die Gaspipelines in der Ostsee vom 28. September. Und weiter: “Waren es vielleicht doch die USA, oder gar die Ukraine selber?” Doch dann der Sprung, wie das Kaninchen aus dem Zauberhut, als hätte der Journalist nicht soeben noch die USA und die Ukraine als mögliche Tatverdächtige genannt und nicht soeben festgestellt, dass das Ereignis vielleicht nie aufgeklärt werden würde: “Als Hauptverdächtiger bleibt Wladimir Putin.” Damit nicht genug. Später im Text heisst es: “Der Angriff auf die Nordstream-Pipelines ist letztlich auch eine Kriegserklärung an den Westen. Da sucht jemand die Eskalation.” Ich bin sprachlos…

Einen Tag später scheinen auch noch die letzten Zweifel verflogen zu sein. “Es ist ein Krieg im Schatten”, schreibt die “NZZ am Sonntag” am 2. Oktober, “ein Krieg, den der Kreml, seine Geheimdienste und das Militär schon seit Jahren gegen den Westen führen. Die Europäer haben diese Woche vielleicht ein besonders spektakuläres Zeugnis dieses Kriegs in der Grauzone gesehen. Der offenkundige Sprengstoffanschlag auf die Nordstream-Pipelines in der Ostsee könnte von einer Spezialeinheit des russischen Militärs ausgeführt worden sein. Eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zu führen.” Kein einziger Hinweis im Artikel auf die USA oder einen der NATO-Staaten als mögliche Urheberschaft. Und auch nirgendwo die Frage, wie es denn überhaupt russischen Spezialeinheiten hätte möglich sein sollen, solche Anschläge ausgerechnet in der engmaschig von NATO-Flottenverbänden kontrollierten Ostsee durchzuführen.

Wer an dieser “offiziellen” Version noch seine Zweifel hat, dem bleibt immer noch die Hoffnung, dass wenigstens die Untersuchungen über die Ursache der Anschläge noch Licht ins Dunkle bringen könnten. Doch auch das ist eine Fehlanzeige: Die Untersuchungen werden ausschliesslich von westlichen Spezialisten ausgeführt, Russland, das die Leitungen immerhin geplant und gebaut hat und deren Eigentümer ist, bleibt aussen vor. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was bei diesen “Untersuchungen” wohl herauskommen wird.

Das also ist die vielgelobte Meinungsvielfalt und Objektivität, derer sich die westlichen Länder so gerne rühmen und mit der man sich bei jeder Gelegenheit von den Propagandamethoden autokratischer Staaten abzugrenzen versucht. Ein “scheibchenweiser” Vorgang, in dem in fast unmerklich kleinen Portionen die Rhetorik der Kriegstreiber zur Rhetorik der Meinungsmacher wird, in so kleinen Portionen, dass der allmähliche Übergang von der Öffentlichkeit kaum mehr als solcher wahrgenommen wird und sich nach und nach Meinungen und Hypothesen in scheinbare “Wahrheiten” verwandeln. Dabei hätten doch an vorderster Stelle die Medien die Aufgabe kritischer und möglichst objektiver Berichterstattung – um eben nicht blindlings bestehende Feindbilder zu übernehmen, sondern, im Gegenteil, diese auf Schritt und Tritt zu hinterfragen und dem öffentlichen Diskurs unterschiedlichster und auch gegensätzlicher Meinungen in gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Toleranz Raum zu geben. Denn wenn das Aufbauen nicht hinterfragter Feindbilder der Anfang vom Krieg ist, dann ist das Aufdecken und Hinterfragen dieser Feindbilder der Anfang vom Frieden. 

Ukraine: Das letzte Aufbäumen einer alten Zeit, die sich unweigerlich ihrem Ende entgegenneigt

 

Mit der Annexion der ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson durch Russlands hat der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Ukraine wird alles daran setzen, diese Gebiete zurückzuerobern, gleichzeitig wird Russland alles daran setzen, sie nicht mehr aus der Hand zu lassen und auch noch die letzten weissen Flecken der vier Regionen, die noch von der Ukraine beherrscht werden, unter seine Gewalt zu bringen. Weitere verlustreiche Kämpfe scheinen unausweichlich zu sein, Tausende von Zivilpersonen werden sterben, ganze Dörfer und Städte drohen dem Erdboden gleichgemacht zu werden.

Zynischerweise werden dabei ausgerechnet jene Menschen, die man aus der Gewalt des jeweiligen “Feindes” befreien will, unsäglichem Leiden preisgegeben. Wenn sich Russland und die Ukraine gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen, so dient dies zuallerletzt dem Wohl der Menschen, die hier leben. Nur in den Köpfen der ewiggestrigen Kriegstreiber auf beiden Seiten der Front spielt es eine Rolle, ob über diesem Dorf oder jener Stadt, dieser Brücke oder jenem Hügel die ukrainische Flagge weht oder die russische. “Je näher ich der Frontlinie komme”, so “Welt”-Reporter Steffen Schwarzkopf in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens SRF, “umso mehr stellte ich fest: Vielen Menschen ist es egal, ob sie von der Ukraine oder von Russland regiert werden, sie möchten einfach in Frieden leben.” 

Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn die Ukraine diese vier Regionen an Russland “verlieren” würde? Unermessliches Leiden und Blutvergiessen könnte vermieden werden. Zu Recht würde die Ukraine zwar den durch Gewalt erzielten Verlust eines Teils ihres bisherigen Staatsgebiets beklagen. Doch haben wir so schnell vergessen, dass auch die Sowjetunion 1991 mehr als ein Fünftel ihres früheren Territoriums “verlor”, und das, ohne dass eine einzige Gewehrkugel abgeschossen worden wäre? Und wie war das schon wieder 1999, als die USA und ihre Verbündeten Serbien bombardierten und eine Ablösung des Kosovos aus der Bundesrepublik Jugoslawien erzwangen? Und wurden nicht auch Ostjerusalem 1980 und die Golanhöhen 1981 von Israel annektiert? Staatliche Grenzen scheinen offensichtlich nicht immer ganz so “heilig” zu sein, sondern vielmehr abhängig von den jeweiligen Grossmachtinteressen.

Betrachten wir die Weltlage als Ganzes, dann müssten eigentlich staatliche Grenzen nicht eine immer wichtigere, sondern eine immer weniger wichtige Rolle spielen. Denn letztlich sind wir ja nicht in allererster Linie Bürgerinnen und Bürger einer bestimmten Nation, sondern Bewohnerinnen und Bewohner einer grossen gemeinsamen Erde. Der drohende Klimawandel zeigt es uns in unmissverständlicher Deutlichkeit: Unser gemeinsames Überleben wird nicht davon abhängen, welche Flagge über unseren Häusern und unseren Städten weht, sondern vielmehr davon, ob es uns gelingt, die immensen sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, die vor uns liegen. Dies kann nur weltweit geschehen, in gegenseitiger Kooperation über alle Grenzen hinweg, im Bewusstsein, dass das, was die Menschen miteinander verbindet, viel grösser und viel wichtiger ist als das, was sie voneinander trennt, egal welcher Nationalität sie sich zugehörig fühlen. 

Wenn eine neue Zeit beginnt, dann muss auch eine alte zu Ende gehen. Vielleicht ist es ja genau diese Hoffnung, die uns davor bewahren kann, allen täglichen Schreckensmeldungen zum Trotz den Mut nicht zu verlieren: Dass das, was heute an Kriegen, Gewalt und Zerstörung weltweit geschieht, nichts anderes ist als das letzte Aufbäumen einer alten Zeit, die sich unweigerlich ihrem Ende entgegenneigt. Denn, wie schon der amerikanische Bürgerrechtskämpfer sagte: “Entweder werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben oder aber als Narren miteinander untergehen.” Noch haben wir die Wahl…

Universität Zürich: Standing Ovations für den “Kriegshelden” im Kapuzenpulli

 

Als Selenskis Bild auf dem Bildschirm aufgetaucht sei, so berichtet das schweizerische “Tagblatt” am 30. September 2022 über eine vom Europa Institut an der Universität Zürich durchgeführte Veranstaltung, hätte das Publikum mit tosendem Applaus reagiert. Selenski hätte in einem schwarzen Kapuzenpulli mit der Aufschrift “Ich bin Ukrainer” vor seiner Landesfahne gesessen und in die Kamera gelächelt. Da die geplante Rede aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei, hätte man gleich mit der Fragerunde begonnen. Auf die Frage des Zürcher Regierungsrates Mario Fehr, wie es Selenski gelinge, trotz des Kriegs humorvoll zu bleiben und seinen Optimismus nicht zu verlieren, hätte Selenski geantwortet, er liesse sich von seinen tapferen Soldaten inspirieren, die sich den Russen entgegenstellten und “die Angriffe und die Geschosse Russlands mit ihren nackten Händen” aufhielten. Der Austausch mit Selenski hätte sich zu einer “emotionalen Berg- und Talfahrt” entwickelt, so das “Tagblatt”, Selenski hätte immer wieder gelächelt und gescherzt. In Bezug auf ein Zusammenleben mit Russland nach dem Krieg hätte sich Selenski pessimistisch gezeigt. Von der Schweiz erwarte er, dass diese ihre bisherige Neutralitätspolitik überdenken würde, denn jetzt ginge es um einen Kampf zwischen dem “Guten” und dem “Bösen”. Selenskis Antworten seien mit Applaus quittiert worden und die Zuhörerinnen und Zuhörer hätten sich mehrmals von ihren Sitzen erhoben, um der “Legende” und dem “Kriegshelden”, wie Selenski vom Vertreter des Europa Instituts genannt wurde, ihre Sympathie zu bekunden.

Ob wohl niemand die Frage stellte, wie man mit “nackten Händen” Angriffe und Geschosse aufhalten kann? Oder wie jemand seinen Humor und seinen Optimismus bewahren kann dadurch, dass junge Männer auf dem Schlachtfeld qualvoll verbluten und unzählige Familien ihre geliebten Väter verlieren? Oder ob die Gräueltaten des ukrainischen Asowregiments an der ostukrainischen Zivilbevölkerung nicht ebenso “böse” seien wie jene Massaker, die von russischen Truppen begangen wurden? Oder ob das Verbot sämtlicher russischer Schriftsteller und Komponistinnen in der gesamten Ukraine allen Ernstes ein Beitrag zu Demokratie, Toleranz und Völkerverständigung sein könne? Oder ob es einer zukünftigen Friedenslösung dienlich sei, wenn man gegenüber einem Zusammenleben mit Russland jetzt schon grundsätzlich pessimistisch eingestellt sei? 

Vielleicht wurden ja alle diese Fragen tatsächlich gestellt, bloss in der Zeitung nicht abgedruckt. Wahrscheinlicher aber ist, dass diese Fragen nicht gestellt wurden, weil sie das Bild von der “Legende” und vom “Kriegshelden” Selenski viel zu sehr gestört hätten. Und weil jene, die solche Fragen gestellt hätten, möglicherweise sogar ausgebuht worden wären. Der tosende Applaus schon beim ersten Anblick Selenskis, ohne dass dieser auch nur ein einziges Wort gesagt hatte, sein schon fast kumpelhaftes Auftreten, das ihm so viele Sympathien einbringt, eine “emotionale Berg- und Talfahrt” zwischen Selenski und dem Publikum, die wiederholten Standing Ovations – all dies zeigt eines: Es geht bei solchen Anlässen offensichtlich weit weniger um das, was der Politiker im Einzelnen sagt. Es geht viel mehr um das Emotionale, um Gefühle, um die verlockende Gewissheit, im Kampf zwischen dem “Guten” und dem “Bösen” auf der “richtigen” Seite zu stehen. Zwischentöne, das Hinterfragen von Worthülsen, die kritische Reflexion der eigenen Weltsicht – all dies ist nicht mehr gefragt.

Doch genau das würde ich von einer demokratischen Gesellschaft erwarten. Nicht Massenveranstaltungen, bei denen schon von Anfang an klar ist, welches die “Guten” und “Bösen” sind. Sondern Debatten mit den Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Standpunkte, gründliches Erforschen historischer Zusammenhänge, Analysen, wie und weshalb Feindbilddenken zustande kommt und wie und weshalb so etwas Absurdes und Menschenfeindliches wie Kriege entstehen können. Um solche Wege zu beschreiten, muss man noch lange kein “Putinfreund” sein, sondern nur ein Freund der Wahrheitsliebe. “Ein echtes Gespräch”, sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer, “setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.” In einer so polarisierten Welt wie der unseren müsste das immer wieder der Leitsatz sein, um Fronten zu überwinden und hinter dem Feind das andere Ich zu suchen, das mit uns selber viel ähnlicher sein mag, als uns lieb ist. Zwar hat die Universität Zürich diesen Anlass nicht selber organisiert, sondern nur ihre Räumlichkeiten dafür zur Verfügung gestellt, dennoch trägt sie dafür eine wesentliche Mitverantwortung. Es gibt in der heutigen Zeit schon genug tiefe Gräben zwischen den Menschen, Völkern und Nationen. Und genau deshalb müsste man gerade von einer Universität, deren letztes und höchstes Ziel doch die Menschenbildung sein sollte, erwarten dürfen, dass sie nicht dazu beiträgt, bestehende Gräben noch weiter zu vertiefen, sondern alles tun müsste, um über alle diese Gräben hinweg neue Brücken zu bauen?

Wer arm ist, braucht nicht Hilfe, sondern Gerechtigkeit…

 

Der “Club” vom 27. September 2022 am Schweizer Fernsehen SRF1 debattierte über steigende Lebenskosten, Inflation, Armut und darüber, was man dagegen tun könnte. Einig war sich die Runde darin, dass Menschen, die sich in prekären finanziellen Verhältnissen befänden, geholfen werden müsste, so etwa durch eine Verbilligung der Krankenkassenprämien. Stossend, dass in der Runde keine einzige selber von Armut betroffene Person vertreten war. Offensichtlich ist die Gruppe der von Armut Betroffenen bereits so marginalisiert, dass man nicht einmal auf die Idee kommt, jemanden von ihnen zu einer öffentlichen Diskussion einzuladen, welche gerade sie doch am allermeisten betrifft.

Vielleicht hätte diese Person dann gesagt, dass sie sich nicht vor allem Hilfe und Mitleid wünschte, sondern Gerechtigkeit. Mitleid und Hilfe können nämlich, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, niemals ein Ersatz sein für soziale Gerechtigkeit. Denn Armut und soziale Ausgrenzung sind nicht nur mit materieller Not verbunden, sondern auch mit Stigmatisierung, Ängsten und Schuldgefühlen. Viele von Armut Betroffene haben das Gefühl, an ihrer misslichen Lage selber Schuld zu sein – materielle Zuwendungen können diesen Zustand ein wenig erträglicher machen, ändern aber nichts an der Tatsache, dass sich die Betroffenen als Menschen “zweiter Klasse” fühlen. In einer Gesellschaft, in der immer noch das Märchen verbreitet wird, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, und in der alle gegenseitig um den sozialen Aufstieg kämpfen, sehen sich die Zukurzgekommenen als Gescheiterte und Versagerinnen, die es nicht geschafft haben, den Traum von einem Leben in Wohlstand und sozialer Sicherheit zu verwirklichen. Hilfe und Almosen annehmen zu müssen, bedeutet für sie nicht nur eine Erleichterung des Alltags, sondern zugleich eine zusätzliche Stigmatisierung. Deshalb verzichten so viele arme Menschen auf den Bezug von Sozialhilfeleistungen, obwohl sie hierzu berechtigt wären.

Hilfe und Mitleid, so provokativ es klingen mag, bilden nichts anderes als die zynische Kehrseite der kapitalistischen Klassengesellschaft. Betrachten wir diese kapitalistische Klassengesellschaft doch als Ganzes: Der Reichtum der Reichen entsteht nicht so sehr durch eigene harte Arbeit, sondern durch eine permanente Umverteilung von unten nach oben, von denen, die für ihre Arbeit viel weniger verdienen, als diese eigentlich Wert wäre, zu denen, die sich, hauptsächlich in Form von Kapitalgewinnen, dank der Arbeit anderer bereichern. Grob gesagt, bildet jeder übertriebene Reichtum am einen Ort die Ursache für die Armut an einem anderen Ort – übertriebener Reichtum ist daher nichts anderes als Diebstahl an der Gesellschaft als ganzer. Wer daher ärmeren Menschen “Hilfe” gewährt, tut nichts anderes, als einen winzigen Teil des zuvor Geraubten wieder “grosszügig” zurückzugeben. Und da sollen die davon Betroffenen auch noch dafür dankbar sein?

Ins gleiche Kapitel gehört das Märchen von den Reichen, die weitaus mehr Steuern bezahlen als die Armen und somit angeblich einen wesentlichen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit leisten. Diesem Märchen fehlt der Anfang, nämlich, dass die “grosszügig” geleisteten Steuergelder bloss einen winzigen Teil dessen bilden, was anderen zuvor geraubt worden ist,

Ob “Sozialhilfe”, “Winterhilfe” oder was für weitere “Hilfsorganisationen” auch immer: Sie alle sind bloss Feigenblätter der kapitalistischen Ausbeutungsgesellschaft, die sich damit einen menschlichen Anstrich gibt und die noch um vieles brutaler dastehen würde, wenn es alle diese “Hilfen” nicht gäbe. Das gilt nicht nur für die sozialen Verhältnisse jedes einzelnen kapitalistischen Landes. Es gilt zum Beispiel auch für das, was wir “Entwicklungshilfe” nennen: Da rühmt sich ja die Schweiz immer wieder ihrer Grosszügigkeit. Doch bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass die Schweiz im Handel mit “Entwicklungsländern” fast 50 Mal so hohe Profite erwirtschaftet, als sie diesen Ländern in Form von “Entwicklungshilfe” wieder zurückgibt. Und da soll eines dieser Länder dafür tatsächlich noch dankbar sein?

Erst wenn soziale Gerechtigkeit nicht nur in jedem einzelnen Land, sondern auch weltweit der Normalfall sein wird, dann wird die “grosszügige” Gabe, mit welcher der Reiche den Armen “beschenkt” und sich dabei noch als Vorbild für alle feiern lässt, ein Ende haben. Denn, wie schon der italienische Mönch Franz von Assisi sagte: “Wenn jeder Einzelne darauf verzichtet, Besitz anzuhäufen, dann werden alle genug haben.” Oder, mit den Worten des deutschen CDU-Politikers Heiner Geissler: “Es ist genug Geld vorhanden für alle, es haben nur die falschen Leute.”

Anschläge auf Gaspipelines in der Ostsee – Auch meine Nachbarin sagt: Klar, waren es die Russen, wer denn sonst?

 

“Verdacht auf gezielten Sabotageakt aus Moskau”, schreibt das schweizerische “Tagblatt” am 28. September 2022 zum mutmasslichen Anschlag auf die Gaspipelines Nordstream1 und Nordstream2 in der Ostsee am 26. September. Und der “Tagesanzeiger” vom 28. September schreibt, die deutsche Regierung halte eine russische Aktion, allenfalls unter “falscher Flagge”, für möglich, nämlich, um den Verdacht von sich selber abzulenken. Ebenfalls erwähnen Radio und Fernsehen SRF Russland als Hauptverdächtigen. Und auch meine Nachbarin sagt: “Klar, das waren die Russen, wer denn sonst?”

Doch bin ich nicht gerade auf “Twitter” über Dutzende von Nachrichten gestolpert, die genau das Gegenteil behaupten? F.W. schreibt, im Rahmen der NATO-Übung Baltops hätte schon im Juni die 6. Flotte der US-Navy den Umgang mit Unterwasserdrohnen trainiert, und zwar an der Küste von Bornholm, im Bereich der Nordstream2-Lecks. Danach hätten die US- und die britische Navy gemeinsam die ukrainische Armee im Umgang mit diesen Drohnen trainiert. N.R. schreibt, mit Bezug auf eine Meldung des Norddeutschen Rundfunks, dass mehrere Tage, bevor die Anschläge erfolgten, rund 4000 US-Soldaten, Hubschrauberpiloten, Marineinfanteristen, Ärzte und Strategen auf dem Weg nach Osten gewesen seien. Nachdem sie die dänische Insel Bornholm passiert hätten, hätten die Amerikaner ihre automatischen Schiffsidentifikationssysteme ausgeschaltet und seien nicht mehr zu orten gewesen. C.L. schreibt, unter Hinweis auf einen absolut glaubwürdigen Link, dass sich Radek Sikonski, der ehemalige polnische Minister für nationale Verteidigung und Aussenminister, kurz nach den Anschlägen bei den Amerikanern mit den Worten “Thank You, USA” bedankt hätte. Und S.N. schreibt, schon am 23. August hätte Polens Präsident Duda den Abriss von Nordstream2 gefordert. 

Wem soll ich glauben? Meiner Tageszeitung, den offiziellen Radio und Fernsehnachrichten? Oder doch eher den Meldungen auf “Twitter”, die sich zwar nicht alle bis ins letzte Detail überprüfen lassen? Doch dann stosse ich auf die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen US-Präsident Joe Biden und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, ausgestrahlt auf ARD am 8. Februar 2022. Wortwörtlich im Folgenden die entscheidende Passage des Gesprächs.

Biden: “Wenn Russland einmarschiert, das heisst Panzer und Truppen die ukrainische Grenze passieren, dann wird es kein Nordstream2 mehr geben. Wir werden es zu einem Ende bringen.” Journalistin: “Wie genau möchten Sie das anstellen, da sowohl das Projekt als auch die Kontrolle darüber in deutscher Hand liegt?” Biden: “Wir werden, das verspreche ich Ihnen, dazu in der Lage sein.” Scholz: “Vielleicht ist es eine gute Idee, es unseren amerikanischen Freunden zu sagen, dass wir vereint sein und gemeinsam handeln werden. Und wir werden alle notwendigen Schritte einleiten, gemeinsam.” Journalistin: “Werden Sie sich heute verpflichten, den Stecker zu ziehen und Nordstream2 abzuschalten?” Scholz: “Wie ich bereits gesagt habe, wir handeln zusammen, wir sind vollkommen vereint und werden keine anderen Schritte unternehmen. Unsere Schritte werden Russland hart treffen und das sollen sie verstehen.”

Das wäre doch für die westlichen Medien Grund genug gewesen, kurz nach den Anschlägen auf die Gaspipelines ebenso schnell die USA als Hauptverdächtige ins Visier zu nehmen, wie sie nach der Einnahme von Butscha und Isjum Russland als Hauptverdächtigen von Massakern angeschuldigt hatten. Dies umso mehr, als Russland kein einziges nachvollziehbares Interesse daran haben kann, diese Gasleitungen zu zerstören. Anders sieht es bei den USA aus, wenn man an die grossen Profite denkt, welche US-Energiekonzerne mit Gaslieferungen an Europa machen. Zudem verfügen die Amerikaner, im Gegensatz zu den Russen, bekannterweise über viel spezifischere Einheiten, um Operationen dieser Art erfolgreich durchzuführen. 

Offensichtlich sind die westlichen Medien schon längst nicht mehr Ausdruck demokratischer Glaubwürdigkeit, sondern sind selber schon zur Kriegspartei geworden – das, was sie der Gegenseite stets so vehement zum Vorwurf machen. Auffallend ist auch, dass in den westlichen Medien überaus massvoll über die Anschläge berichtet wird – kein Vergleich jedenfalls mit dem Stellenwert, den beispielsweise die Ereignisse in Butscha und Isjum oder die “Scheinreferenden” in der von Russland besetzten Ostukraine eingenommen hatten. Doch auch dafür finde ich auf “Twitter” eine mögliche Erklärung. P.B. schreibt: “Der wohl grösste Beweis, dass die Amerikaner die Pipelines zerstört haben, ist, dass die Mainstream-Medien kaum darüber berichten.”

Können wir uns bei so vielen Widersprüchen schon ein abschliessendes Urteil bilden? Das dürfte noch schwerfallen. Jedenfalls gibt es wohl für die These, es seien die Amerikaner gewesen, mindestens so viele gute Gründe wie für die These, dass es die Russen gewesen sind.   

Die Ablehnung der Verrechnungssteuervorlage: Um wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, muss man nicht Finanzminister sein oder Wirtschaftswissenschaften studiert haben…

 

Mit 52 Prozent Neinstimmen wurde am 25. September 2022 die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer durch die schweizerischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abgelehnt. Sehr zum Leidwesen von Finanzminister Ueli Maurer, der im Interview mit dem “Blick” sagte, dass ganz offensichtlich “das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge in der Bevölkerung schwindet”. Bereits im Abstimmungskampf hatte Maurer grobes Geschütz aufgefahren und den Gegnerinnen und Gegnern der Verrechnungssteuervorlage vorgeworfen, sie würden sich “in Klassenkampfrhetorik verirren”. Es hätten zwar alle mal ein Brett vor dem Kopf, aber in diesem Falle sei “der Abstand zwischen dem Brett und den Augen gleich null”.

Abgesehen davon, dass eine solche Reaktion ausgerechnet von einem Bundesrat, der bei jeder Gelegenheit die schweizerische direkte Demokratie in alle Himmel lobt, höchst unziemlich ist, muss man sich schon fragen, wem genau denn hier das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge fehlt und wer genau denn in diesem Falle ein Brett vor dem Kopf hat. Seit Jahren erleben wir eine schleichende Umverteilung von unten nach oben, von stagnierenden Löhnen hin zu Milliardengewinnen von Grosskonzernen und den ungebremst in die Höhe schnellenden Dividenden für Aktionärinnen und Aktionäre. Während die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer bereits über 800 Milliarden Franken besitzen – mehr als die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz -, leben über 700’000 Menschen hierzulande unter oder hart an der Armutsgrenze und haben am Ende des Monats oft nicht einmal mehr genug Geld für ein anständiges Essen. Mit der Abschaffung der Verrechnungssteuer hätte die Kapitalbeschaffung von rund 200 Konzernen, deren Finanzgesellschaften und von Banken privilegiert werden sollen. Eine Minderheit von gerade mal 0,03 Prozent aller Unternehmen hätte neue Sonderrechte erhalten. Und dies hätte insgesamt zu Steuerausfällen von jährlich bis zu 800 Millionen Franken geführt. Was nichts anderes bedeutet hätte, als dass der Druck auf erhöhte Steuern auf Löhnen, Renten und den Konsum weiter zugenommen hätte.

Nein, die Schweizer Bevölkerung ist nicht so dumm, wie Bundesrat Maurer dies wahrhaben möchte. Um wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, muss man nicht Finanzminister sein. Man muss auch kein Ökonom und keine Ökonomin sein und man muss auch nicht Wirtschaftswissenschaften studiert haben. Der gesunde Menschenverstand genügt. Die Erkenntnis, dass hier im Grossen wie im Kleinen etwas ganz grundsätzlich aus dem Ruder gelaufen ist und sich immer bedrohlicher und schneller nur noch in einer einzigen Richtung bewegt.

Letztlich geht es um den Kapitalismus. Dieses Wirtschaftssystem, das sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Konzerngewinne, der Profitmaximierung, des Kapitals. Eigentlich müssten die Menschen in einer echten Demokratie das Recht haben, darüber abzustimmen, ob sie weiterhin im Kapitalismus leben wollen oder ob sie ein alternatives, nichtkapitalistisches, auf soziale Gerechtigkeit und die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtetes System bevorzugen würden. Umfragen in Deutschland zeigen, dass 55 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, der Kapitalismus richte mehr Schaden als Nutzen an, in der Schweiz käme eine entsprechende Umfrage wohl zu einem ähnlichen Ergebnis. Weil es eine solche “Urabstimmung” aller Voraussicht nach auch in einer ferneren Zukunft aber kaum jemals geben wird, bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als einzelne Abstimmungen wie eben jene über die Abschaffung der Verrechnungssteuer dazu zu benützen, ihren Unmut und ihren Widerstand kundzutun.

Auch wenn Bundesrat Maurer und all die anderen Verfechter und Nutzniesser der reinen Lehre eines alleinseligmachenden kapitalistischen Wirtschaftssystems genau das Gegenteil behaupten: Tatsache ist, dass die breite Bevölkerung nicht immer weniger, sondern immer mehr von den wirtschaftlichen Zusammenhängen versteht. Und dass nicht so sehr jene ein Brett vor dem Kopf haben, die sich kritisch ihre eigene Meinung bilden, sondern vielmehr jene, die sich nur schon dem Gedanken verweigern, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen um zu erkennen, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem einer radikalen Erneuerung bedarf, um nicht früher oder später an seinen eigenen Widersprüchen zu zerbrechen.  

Vergewaltigungen, Folterungen und andere Gräueltaten: Nur ein Ende des Kriegs kann dem allem ein Ende bereiten…

 

Die “NZZ” am 22. August 2022 spricht im Zusammenhang mit Gräueltaten an der ukrainischen Zivilbevölkerung und Vergewaltigungen von einem “zynisch erprobten Kampfmittel der russischen Armee, das kein Mass und keine Grenzen kennt”. Ohne Frage ist jede Form von sexueller oder körperlicher Gewalt aufs Schärfste zu verurteilen. Dennoch sollte uns dies nicht davon abhalten, zwischen Tatsachen und ihrer propagandistischen Instrumentalisierung zu unterscheiden. Selbst Marta Havryshko, ukrainische Historikerin zu sexueller Gewalt im Krieg und selbst aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet, wirft in der “Rundschau” vom 22. Juni 2022 der ukrainischen Regierung vor, die Sexualverbrechen als “politisches Instrument” zu benützen, um die “Grausamkeit der russischen Soldaten zu betonen”, während gleichzeitig wenig getan werde, um den Opfern die notwendige Hilfe zukommen zu lassen.

Vergewaltigungen kommen nicht nur im Ukrainekrieg vor und sie werden auch nicht nur von Russen begangen. So sind beispielsweise unzählige Vergewaltigungen durch US-amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg begangen worden. Unvergesslich bleibt vor allem das Massaker von My Lai, bei dem amerikanische Soldaten Frauen in grosser Zahl vergewaltigten und schliesslich fast die ganze Dorfbevölkerung, über 500 Kinder, Frauen und Männer, ermordeten.

Auch Folterungen gibt es nicht nur in den berüchtigten Folterkellern der russischen Angriffstruppen, von denen immer wieder berichtet wird. Wie die Vergewaltigungen, so ist auch die Folter ein weitverbreitetes Kriegsmittel und nicht nur im Ukrainekrieg, sondern auch in den meisten übrigen bewaffneten Konflikten zu beobachten. So hätten, wie “Spiegel Online” im März 2013 berichtete, in Hunderten Fällen US-Ärzte im Zuge des Irakkriegs bei Irakerinnen und Irakern grausamste Verletzungen festgestellt. Viele Häftlinge seien mit kochendem Wasser verbrüht worden, ihnen seien Fingernägel ausgerissen, die Fusssohlen mit Elektrokabeln zerschlagen, Genitalien mit Stromstössen malträtiert und Flaschen oder Holzstücke in den After eingeführt worden.

Sowohl Vergewaltigungen wie auch das Foltern von Gefangenen sind weitverbreitete Kriegsmittel und sind in jedem Krieg, so zynisch das klingen mag, geradezu an der “Tagesordnung”. Das soll keine einzige von Russen begangene Gräueltat verharmlosen oder beschönigen. Ganz im Gegenteil. Aber wir sollten nicht so tun, als wäre die Russen die einzigen “Bösen”, während alles andere die “Guten” sind. So berichteten die “New York Times” und die BBC im April 2022 von einem mutmasslichen Kriegsverbrechen ukrainischer Soldaten gegenüber gefangenen Russen im Dorf Dmytrivka in der Nähe von Butscha, die mit auf dem Rücken zusammengebundenen am Boden lagen und auf die so lange geschossen wurde, bis sie regungslos liegen blieben. Immer wieder ist auch zu hören von Gräueltaten, welche von der berüchtigten ukrainischen Asow-Brigade seit 2014 an der ostukrainischen Zivilbevölkerung begangen wurde und von der Menschenrechtskommission der UNO sorgfältig dokumentiert worden ist.

Diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen kann man zuallerletzt mit einer sinnlosen Fortsetzung dieses Kriegs, denn solange der Krieg andauert, werden auch alle mit ihm verbundenen Gewalttaten andauern. Dem Wahnsinn ein Ende setzen kann nur ein sofortiger Waffenstillstand, ein Ende des Kriegs und die Aufnahme von Friedensverhandlungen, bei denen jede Seite bereit sein müsste, gegenüber der anderen Zugeständnisse zu machen und auf die eigenen Maximalansprüche zu verzichten. Dann werden auch sämtliche Vergewaltigungen, sämtliches Foltern und sämtliche weitere Kriegsverbrechen ein Ende haben.