Archiv des Autors: Peter Sutter

Massenproteste in Bangladesch

Angesichts der Massenproteste von Beschäftigten der Textilindustrie in Bangladesch sind mehr als 300 Betriebe im Land vorerst geschlossen. Bei den seit Tagen andauernden Protesten für höhere Löhne sind bereits mindestens zwei Menschen ums Leben gekommen. Allein in Mirpur im Westen von Dhaka gingen rund 5000 Protestierende auf die Strassen. (20minuten, 3. November 2023)

Henry Kissinger: Lobeshymnen und Friedensnobelpreis für einen der grössten Kriegsverbrecher unserer Zeit

“Wer ihn Henry nennen durfte, gehörte zum Kreis der Mächtigen” – so titelt der “Tagesanzeiger” vom 1. Dezember 2023 aus Anlass des Todes von Henry Kissinger, ehemaligem Sicherheitsberater und Aussenminister der USA, im Alter von 100 Jahren. In der Tat scheint dieser Kreis der Mächtigen geradezu eine magische Kraft zu besitzen. Und so einhellig ist auch das Urteil über den Verstorbenen: “Kissinger”, so die EU-Vorsitzende Ursula von der Leyen, “hat die Weltpolitik im gesamten 20. Jahrhundert geprägt.” Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist Kissinger “ein Gigant der Geschichte”. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist voll des Lobes: “Henry Kissinger prägte die amerikanische Aussenpolitik wie nur wenige andere. Die Welt verliert einen besonderen Diplomaten.” Der britische Aussenminister und frühere Premierminister David Cameron würdigt Kissinger als “grossen Staatsmann” und “zutiefst respektierten Diplomaten” und schreibt im Kurznachrichtendienst X: “Selbst mit 100 Jahren strahlten seine Weisheit und Nachdenklichkeit durch.” Ex-Regierungschef Boris Johnson betrauert Kissinger als “Giganten der Diplomatie, der Strategie und der Friedensstiftung”: “Wenn es jemals einen Autor des Friedens und einen Liebhaber der Harmonie gab, dann war dieser Mann Henry Kissinger.” Für den früheren US-Präsidenten George W. Bush hat Amerika “mit dem Tod von Henry Kissinger eine der verlässlichsten Stimmen in Fragen der Aussenpolitik verloren.” Auch US-Aussenminister Antony Blinken pflichtet ihm bei: “Es gibt nur wenige Menschen, die die Geschichte besser studiert haben – und noch weniger Menschen, die die Geschichte mehr geprägt haben.” Selbst Wladimir Putin ist des Lobes voll: “Kissinger war ein herausragender Diplomat, ein weiser und weitsichtiger Staatsmann, der jahrzehntelang in der ganzen Welt wohlverdientes Ansehen genoss.” Und selbst China stimmt uneingeschränkt in die Reihe dieser Lobeshymnen ein, so sagte Xie Feng, der chinesische Botschafter in den USA: “Kissinger wird in den Herzen des chinesischen Volkes immer als ein sehr geschätzter Freund lebendig bleiben.”

An dieser Stelle muss man wohl zuerst einmal leer schlucken. Und dann ein zweites und ein drittes Mal. Zum weltweiten Kreis der Mächtigen zu gehören, scheint tatsächlich eine magische Kraft zu besitzen. Eine magische Kraft, die offensichtlich nichts weniger bewirkt als einen kollektiven Gedächtnisverlust in Bezug auf eine “Geschichte des 20. Jahrhunderts”, die anscheinend ohne die “prägende Kraft” dieses einzigartigen “Diplomaten” und “Friedensstifters” so ganz anders verlaufen wäre. Ja, sie wäre wohl tatsächlich ganz anders verlaufen, bloss dass es in Tat und Wahrheit gerade umgekehrt gewesen ist…

Die einflussreichste treibende Kraft in der US-Regierung unter Präsident Nixon und damit einer der Hauptverantwortlichen für die Forcierung des Vietnamkriegs insbesondere ab 1968 war kein anderer als Henry Kissinger. Durch die von ihm vorangetriebene Kriegsausweitung kamen in den folgenden Jahren mehr als 100’000 Vietnamesinnen und Vietnamesen sowie mehr als 25’000 Angehörige der US-Armee ums Leben. Ab März 1969 wurde auch das Gebiet des neutralen Kambodschas völkerrechtswidrig bombardiert, um dortige Nachschublinien der kommunistischen Nordvietnamesen zu zerstören. Die Flächenbombardements in Kambodscha töteten über 100’000 Menschen, überwiegend Zivilpersonen, und trugen dazu bei, einen grossen Teil der Bevölkerung in die Arme der kommunistischen Widerstandsbewegung Rote Khmer zu treiben. Zwischen Januar und August 1973 warfen amerikanische B-52-Langstreckenbomber gegen die Kämpfer der Roten Khmer mehr Bomben ab als während des gesamten Zweiten Weltkriegs über Japan. Die damit verbundene Destabilisierung Kambodschas führte indirekt zum Kambodschanischen Bürgerkrieg, der 1975 die Machtübernahme der Roten Khmer zur Folge hatte, welche in der Folge bis 1979 einen Völkermord an der eigenen Bevölkerung mit 1,7 bis 2,2 Millionen Opfern begingen. Auch das benachbarte Laos geriet ins Visier der US-Armee, welche dort im Verlaufe des gesamten Vietnamkriegs mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben abwarf, alle acht Minuten eine Flugzeuglandung, neun Jahre lang. Bis heute sind viele Gebiete des Landes immer noch nicht von allen Blindgängern geräumt. Laos ist bis heute das am meisten bombardierte Land der Welt.

1971 ergriffen die USA in der Auseinandersetzung zwischen Pakistan und dem nach einer grösseren Autonomie strebenden Bangladesch einseitig Partei auf der Seite der pakistanischen Militärdiktatur. Und wieder war es Henry Kissinger, der trotz Wirtschaftssanktionen, welche vom US-Kongress über Pakistan verhängt worden waren, durchzusetzen vermochte, dass US-Waffen an das pakistanische Militär geliefert wurden – für den als “kalten Krieger” bekannten Kissinger war Pakistan im Kampf gegen den Kommunismus der bevorzugtere Verbündete als das auf der Seite Bangladeschs stehende demokratische Indien. Es kam zum Genozid in Bangladesch mit etwa einer Million Toten sowie rund 20 Millionen Menschen, welche nach Indien fliehen mussten.

Ebenfalls eine äusserst aktive und entscheidende Rolle spielte Henry Kissinger beim von der CIA unterstützten Putsch gegen Salvador Allende, den demokratisch gewählten Präsidenten Chiles, am 11. September 1973. Bereits ab Oktober 1970 hatte sich Kissinger mit allen Kräften dafür eingesetzt, dass sich in der gesamtamerikanischen Politik eine feindselige Haltung gegenüber Allende durchsetzen konnte. In welchem Ausmass Kissinger persönlich an diesem gewaltsamen Regierungsumsturz beteiligt war, ist bis heute umstritten. Zumindest räumte er in einem Telefonat mit Präsident Nixon Folgendes ein: “Nein, wir haben es nicht getan. Aber wir halfen ihnen und sorgten für möglichst gute Bedingungen.” An die Stelle Allendes, der kurz darauf ermordet wurde, trat General Augusto Pinochet und es begann eine der fürchterlichsten Epochen in der Geschichte Chiles: Zwischen 30’000 und 100’000 Menschen landeten aus politischen Gründen im Gefängnis, die meisten von ihnen wurden auf grausamste Weise gefoltert. Im September 2002 verklagten elf Folteropfer des Pinochet-Regimes Kissinger und die amerikanische Bundesregierung auf Schmerzensgeld, doch es kam nie zu einem Gerichtsverfahren.

1975 plante der indonesische Präsident General Suharto eine völkerrechtswidrige Invasion Osttimors, um dieses Land unter seine Gewalt zu bringen. Er wurde dabei von US-Präsident Ford sowie Henry Kissinger ausdrücklich unterstützt – wieder ging es darum, das mögliche Aufkommen linksorientierter, marxistischer Kräfte, die in Osttimor eine wichtige Rolle spielten, von Anfang an mit aller Gewalt zu verhindern. Die folgende Invasion unter Präsident Suharto sowie eine 24 Jahre lang dauernde Besetzung des eroberten Gebiets kosteten insgesamt rund 183’000 Menschen das Leben, fast einem Drittel der Bevölkerung Osttimors.

“Ich glaube, wir müssen Fidel Castro zerschmettern”, sagte Henry Kissinger im März 1976 anlässlich eines geheimen Treffens hoher Sicherheitsbeamter, an dem auch John Brown, der Stabschef der US-Streitkräfte, sowie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld teilnahm. Gegen Castro, den Kissinger als “halbe Socke” bezeichnete, die man “früher oder später zerquetschen” müsse, sollte gemäss dem Ansinnen Kissingers ein “begrenzter Kriegsplan” ausgearbeitet werden, mit Bombardierungen und der Verbreitung von Minen in kubanischen Häfen, der Zerstörung militärischer und paramilitärischer Ziele sowie einer totalen Seeblockade. Erst Jimmy Carter, der im darauffolgenden Jahr zum US-Präsidenten gewählt wurde, vermochte Kissingers Kriegspläne zu stoppen.

Ab Juni 1976 traf sich der argentinische Aussenminister Guzzetti mehrmals mit Kissinger. Er forderte die Unterstützung seiner gegen die innenpolitische Opposition gerichtete nationale Sicherheitsdoktrin durch die USA. Kissinger sicherte Guzzetti – trotz Bedenken seitens des Botschafters der USA in Argentinien wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen – seine volle Unterstützung zu. Guzzetti lehnte im Folgenden die Ermahnungen der US-Botschaft ab und berief sich dabei auf Kissingers “Verständnis” für die Haltung Guzzettis. Es folgte die rasche Umsetzung der geplanten nationalen “Sicherheitsdoktrin”, was in der Folge zur Ermordung von rund 30’000 Menschen führte, welche grösstenteils vom argentinischen Militärapparat zu “spurlosem Verschwinden” gebracht oder lebendigen Leibes aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen wurden.

Es mag wie die äusserste und letzte Perversion der Geschichte anmuten, wenn nun ausgerechnet dieser Henry Kissinger 1973 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, im gleichen Jahr, in dem er massgeblich am Sturz Allendes beteiligt gewesen war und bloss, weil er mit Nordvietnam ein Abkommen zur Beendigung jenes Krieges abgeschlossen hatte, den er selber an vorderster Front vorangetrieben hatte – wobei bezeichnenderweise nur Kissinger den Preis erhielt, nicht aber sein nordvietnamesischer Verhandlungspartner Le Duc Tho, der ihn fairerweise weitaus mehr verdient hätte.

Wie ist es möglich, dass die Wahrheit in ihr pures Gegenteil umgedreht wird? Und dass selbst fast alle Medien – zumindest in der westlichen Welt – dieses Spiel mitmachen? Was ist daran noch “demokratisch”? Was ist “gerecht”? Und es ist ja nicht das erste Mal. Auch Ronald Reagan, US-Präsident von 1981 bis 1989, wurde bei seinem Tod im Jahre 2004 als “Gigant der Geschichte” gefeiert, und dies, obwohl er, indem er die Sowjetunion stets als “Reich des Bösen” bezeichnete, den Kalten Krieg gefährlich anheizte, zudem infolge der Unterstützung der Militärdiktatur El Salvadors in den 80er-Jahren den Tod von rund 40’000 Oppositionellen auf dem Gewissen hatte und erst noch zwischen 1981 und 1990 einen verdeckten Krieg gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas führte, der die gesamte Wirtschaft des Landes zerstörte und insgesamt über 50’000 Menschenleben forderte. Auch für Madeleine Albright, US-Aussenministerin zwischen 1997 und 2001, gab es bei ihrer Beerdigung am 23. März 2022 nur lobende Worte, und dies, obwohl die von ihr in den Neunzigerjahren gegen den Irak verhängten Wirtschaftssanktionen zum Tod von einer halben Million Kinder führten und sie sich noch Jahre später damit brüstete, der Tod dieser Kinder sei, in Anbetracht der damit verfolgten Ziele der US-Politik, den “Preis wert gewesen”. Und auch George W. Bush, verantwortlich für den völkerrechtswidrigen und aufgrund reiner Lügenpropaganda angezettelten Krieg gegen den Irak 2003, dem mehr als eine halbe Million überwiegend unschuldiger Menschen zum Opfer fielen, läuft immer noch frei herum und geniesst sogar nach wie vor höchstes gesellschaftliches Ansehen.

Längst schon verläuft der tiefste Graben nicht mehr zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Der tiefste Graben verläuft zwischen denen, die zur grossen Familie der Mächtigen und der ewigen Sieger gehören und sich schon längst über alle Grenzen hinweg in gegenseitiger Beweihräucherung zu einer globalen “Elite” zusammengeschlossen haben, für die geschichtliche Erinnerung offensichtlich nur noch ein Schimpfwort ist und an denen all das unermessliche von ihnen verursachte Leiden und Sterben von Millionen Namenloser, systematisch zum Schweigen gebracht, unerbittlich abprallt. Allerhöchste Zeit, die Geschichte neu zu schreiben. Aber dieses Mal nicht von oben, sondern von unten.

Um den halben Erdball fliegen um in einer wackligen Kistenseilbahn sitzen zu können

Für eine Fahrt mit der 112jährigen Kistenseilbahn in Wildhaus im sanktgallischen Toggenburg kommen Touristen aus aller Welt, aus Kanada, den USA, Neuseeland und neuerdings sogar aus Nepal. Nur für eine Fahrt warten sie an sonnigen Wochenenden gerne einmal zwei Stunden. Obwohl der Aufstieg zu Fuss nur eine halbe Stunde dauern würde. (Tagblatt, 20. Juli 2023)

Reiche leben länger

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA haben herausgefunden, dass die Lebenserwartung höherer Einkommens- und Bildungsschichten um bis zu zwölf Jahre über jener der untersten sozioökonomischen Schicht liegen kann, was auf zahlreiche Faktoren wie gesündere Ernährung, bessere medizinische Versorgung oder günstigere Lebens- und Jobperspektiven zurückgeht. (Tagesanzeiger, 31. Juli 2023)

Dramatische Zunahme von Schulstress insbesondere bei weiblichen Teenagern: Ursachen bekämpfen statt Symptome

Gemäss “Tagesanzeiger” vom 29. November 2023 leiden – aufgrund einer umfassenden Befragung aller 14Jährigen in der Stadt Zürich – mehr als die Hälfte der Mädchen „ziemlich“ bis „sehr“ unter dem Druck in der Schule, 2017 waren es noch halb so viele. Jedes dritte Mädchen zeigt Hinweise auf eine Angststörung, knapp die Hälfte der Mädchen hat mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen, zugenommen haben auch Bauch- und Rückenschmerzen, rund vier Prozent haben auch schon versucht, sich das Leben zu nehmen. Für Erholung und ausgleichende Freizeitaktivitäten bleibt kaum Zeit: Zwei Fünftel der Mädchen geben an, täglich zwei Stunden oder mehr für die Hausaufgaben aufwenden zu müssen. Auch die Knaben leiden, wenngleich in etwas geringerem Ausmass, zunehmend unter dem steigenden schulischen Leistungsdruck. Wenn nun der oberste kantonale Schulpsychologe postuliert, die Mädchen müssten mehr Eigenverantwortung übernehmen und lernen, etwa durch Ablenkung, Sport und Medienpausen einen Weg aus der Abwärtsspirale zu finden, so ist das nur zynisch. Auch ein grösseres Angebot an schulpsychologischen Sprechstunden oder Präventionsbotschaften in Form von Karten für die Hosentasche sind reine Symptombekämpfung.

Statt der Symptome müssten vielmehr die Ursachen bekämpft werden. Lernen könnte so schön sein und es wäre so einfach. Man müsste nur dort weitermachen, wo es in den ersten Lebensjahren begonnen hatte: lustvoll, voller Begeisterung, aus eigener Motivation, selbstbestimmt, ohne Zwang und zugleich so überaus erfolgreich. Und man müsste sich endlich von der unseligen Idee verabschieden, Kinder und Jugendliche bei ihrem Lernen miteinander zu vergleichen, zu bewerten, zu messen und sie damit in einen gegenseitigen Konkurrenzkampf zu zwingen, der so viele Leiden verursacht und letztlich die ganze ursprüngliche Lernfreude zerstört. Man müsste nur endlich das verwirklichen, was Johann Heinrich Pestalozzi schon vor über 250 Jahren gefordert hat: „Vergleiche nie ein Kind mit dem andern, sondern stets nur jedes mit sich selber.“

Gaza mitten in der Nacht: Ein dreijähriger Bub rennt um sein Leben

Mitten in der Nacht
rennt der dreijährige Bub in seinem
schwarzzerfetzten Hemd
barfuss
ohne Eltern
ohne Bruder
ohne Schwester
alle verloren
verzweifelt die
Strasse voller Leichen entlang aus dem
Norden wo jetzt
wieder Bomben fallen in den
Süden wo gleichermassen wieder
Bomben fallen werden
Hunger
Durst
Kälte
blutende Füsse ein
blutendes Herz
ein drei Jahre alter Bub ohne
alle Hoffnung
mitten in der Nacht kann ich immer noch
nicht schlafen das
Bild lässt mich nicht los und selbst
wenn ich schliefe ich sähe ihn
augenblicklich wieder im Traum die
Strasse voller Leichen entlang rennen
hilflos kritzle ich ein paar Gedanken auf ein leeres Blatt Papier
bloss um irgendetwas zu TUN
ich schaue hinaus doch alles
ist dunkel und ich frage mich
wie können die alle jetzt so
ruhig schlafen wenn doch der
kleine Palästinenserbub
und Hunderte andere Kinder
mitten in der Nacht
hungrig durstig frierend mit
blutenden Füssen
immer noch um ihr
Leben rennen
aber vielleicht steckt doch allem zum Trotz
tief in uns drinnen immer noch jene unendliche Sehnsucht nach einer
Welt voller Frieden und Gerechtigkeit
vielleicht träumen ja alle die jetzt schlafen von diesem
kleinen Buben der um sein Leben rennt auch wenn sie sich am
nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern werden
vielleicht wird ja dieser Traum von einer
ANDEREN WELT
allem zum Trotz doch noch eines
Tages wahr
von einer Welt in der nie mehr ein dreijähriges Kind
mitten in der Nacht
ohne seine Eltern
hungrig und durstig und frierend um sein
Leben rennen muss und andere
mitten in der Nacht
hilflos ein paar Gedanken auf ein
leeres Blatt Papier kritzeln
bloss um irgendetwas zu TUN
der Traum von einer Welt in der endlich
ALLE friedlich
schlafen können.


Die Schweiz werde in den grossen Konflikten als Friedensvermittlerin keine Rolle mehr spielen – wer hat denn diese “Wahrheit” in die Welt gesetzt und weshalb glauben schon fast alle daran?

Es sei, so Aussenminister Ignazio Cassis, nicht die Rolle der Schweiz, mit der Hamas zu verhandeln. Auch die NZZ am Sonntag vom 26. November 2023 stellt fest: “Die Schweiz spielt in den grossen Konflikten keine Rolle mehr als Vermittlerin” und, noch deutlicher: “Die Welt braucht uns nicht mehr.” Und auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister bläst ins gleiche Horn: “Es braucht einen realistischen Blick und das Eingeständnis, dass wir nicht die grossen Friedensstifter sind, für die wir uns halten.” Was für ein Armutszeugnis. Weshalb soll die Schweiz nicht das schaffen können, was soeben das vier Mal kleinere Katar geschafft hat, indem es im Kontakt mit der israelischen Regierung und der Hamas eine Waffenpause und den gegenseitigen Austausch von Geiseln und Gefangenen ausgehandelt hat? Wer hat denn diese Behauptung, die Schweiz werde zukünftig nicht mehr als Vermittlerin von Friedenslösungen eine Rolle spielen, in die Welt gesetzt? Irgendeine “höhere”, unsichtbare Macht? Irgendein “Zeitgeist”? Irgendeine “Zeitenwende”?

Frieden ist doch keine Frage von Zeitgeist oder Zeitenwende. Wer immer etwas zur Aussöhnung zwischen Völkern und Staaten beitragen kann, hat doch schlicht und einfach die moralische Pflicht, dies zu tun, auch wenn es anfänglich noch so aussichtslos erscheinen mag, selbst wenn es am Ende vielleicht scheitert. Aber man muss es doch wenigstens versuchen. Nur wenige Länder hätten hierfür so optimale Voraussetzungen wie die Schweiz mit ihrer jahrhundertelangen Neutralität und humanitären Tradition. Haben wir vergessen, wie unglaublich viel beispielsweise Mahatma Gandhi oder Martin Luther King mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die Gewaltlosigkeit und ihrem radikalen Einstehen für Frieden und Gerechtigkeit erreicht haben? Müssten wir uns nicht vermehrt wieder solche charismatische Persönlichkeiten zum Vorbild nehmen und alles daran setzen, ihren Spuren zu folgen? Denn nicht die Geschichte sollte die Menschen lenken, sondern die Menschen sollten die Geschichte lenken.

Urban Studies an der Universität Basel: “Fanatismus” oder längst fällige, vorurteilsfreie Aufarbeitung historischer Realitäten?

Seit es in der Schweiz Universitäten gibt, waren diese ein Abbild westlich-kapitalistischer Machtverhältnisse, wo stets die Lehre der freien Marktwirtschaft verbreitet wurde, als gäbe es nichts Vernünftiges ausserhalb davon. Ausbeutungsverhältnisse zwischen profitierenden und ausgebeuteten Ländern waren selten ein Thema und im Geschichtsstudium lernt man sogar bis heute, die Schweiz sei nie aktiv an Kolonialismus und Sklavenhandel beteiligt gewesen. Und dies, obwohl der Historiker Hans Fässler bereits 2005 in seinem Buch „Reise in Schwarz-Weiss“ die engen Verstrickungen der Schweiz mit dem transatlantischen Sklavengeschäft aufgezeigt hat und die Schweiz als Drehscheibe im globalen Rohstoffhandel und als weltweit führender Finanzplatz mehr als die meisten anderen Ländern bis heute von den durch den Kolonialismus geschaffenen Abhängigkeits- und Ausbeutungsstrukturen profitiert, was sich nur schon darin zeigt, dass die Schweiz im Handel mit “Entwicklungsländern” gemäss der Entwicklungsorganisation Oxfam einen 50 Mal höheren Profit erwirtschaftet, als sie diesen Ländern in Form von “Entwicklungshilfe” wieder zurückgibt.

Dies alles löste nie einen Aufschrei aus. Erst jetzt, seitdem aus dem Fach Urban Studies an der Universität Basel im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt Begriffe wie „Landkarten als Terrains der Macht“, „systematischer Rassismus“ oder „Apartheid“ zu vernehmen sind, bricht die grosse Empörung aus und die „Sonntagszeitung“ spricht gar von einem „Fanatismus an der Universität Basel“. Die Frage ist bloss, was denn wohl fanatischer ist, ein über so lange Zeit aufrechterhaltendes Vertuschen historischer Realitäten oder der Mut, die Aufarbeitung dieses wichtigen Themas endlich vorurteilsfrei in Angriff zu nehmen.

Voice of Germany: Die Absurdität des Wettbewerbs

Von sämtlichen Hobbysängerinnen und Hobbysängern, die sich für den Songcontest “Voice of Germany” 2023 angemeldet hatten, durften 150 an den sogenannten “Blind Auditions” teilnehmen. Ende November kämpfen nun 36 Kandidatinnen und Kandidaten um den Einzug ins Halbfinale, wo noch zwölf von ihnen dabei sein werden, um dann ein letztes Mal gegeneinander anzutreten, bis der Sieger oder die Siegerin des diesjährigen Contests definitiv feststeht.

Noch sitzt sie auf einem der vier Stühle, wo die Gewinnerinnen und Gewinner der ersten Runde vor dem Einzug ins Halbfinale Platz genommen haben. Eben noch hat ihre Engelsstimme, ohne auch nur einen einzigen Misston, die Herzen des Publikums berührt. Doch jetzt stampft ihr Herausforderer mit lauter Stimme und wild gestikulierend über die Bühne, viele im Publikum beginnen zu kreischen, immer mehr haben sich von ihren Sitzen erhoben, klatschen und stampfen begeistert mit. Und schon längst weiss sie, dass es nur noch eine oder zwei Minuten gehen wird, bis sie ihren Sitz räumen und ihrem Herausforderer Platz machen muss, mit zu grosser Wucht ist er aufgefahren, hat von allem Besitz ergriffen, alles Vorherige weggefegt und die Erinnerung an ihre eben noch so leisen, sphärenhaften Töne ausgelöscht. Mit Tränen in den Augen verlässt sie die Bühne, der monatelange Traum, eine weltberühmte Sängerin zu werden, hat sich innerhalb von drei Minuten in Nichts aufgelöst. Strahlend sitzt der Wilde jetzt auf dem Stuhl, wo eben noch der Engel sass. Doch bereits steht die nächste Herausforderin am Mikrofon und das gnadenlose Spiel geht unerbittlich weiter…

Weshalb um alles in der Welt muss es immer Sieger und Verlierer geben? Weshalb müssen 999 Träume platzen, damit am Ende EIN Traum in Erfüllung geht? Wozu all die Tränen, die Enttäuschungen, das gebrochene Selbstvertrauen? Ist es für das TV-Publikum so viel prickelnder, schafft es so viel höhere Einschaltquoten, wenn man die Menschen gegeneinander um Sieg und Niederlage kämpfen lässt, als wenn man sie ganz einfach gemeinsam ein grosses Fest der Talente feiern liesse, das Fest einer unendlichen Vielfalt an Begabungen, die man so wenig miteinander vergleichen kann, wie man auch die Menschen als solche in ihrer Einzigartig ganz und gar nicht miteinander vergleichen kann? Lässt sich das, was der berühmte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi vor über 250 Jahren in Bezug auf die Kinder sagte, nämlich, dass man keines mit einem anderen vergleichen dürfe, sondern stets nur jedes mit sich selber, nicht gleichermassen auf die Erwachsenen zu? Oder haben wir uns an die gesellschaftliche “Normalität” ständigen Bewertens, Messens, Vergleichens und Aufspaltens der Menschen in Gewinner und Verlierer schon so sehr gewöhnt, dass wir sie unbesehen auch in all jenen Lebensbereichen anwenden, wo sie rein gar nichts zu suchen haben?

Ich rede nicht von denen, die nicht gut singen, nicht gut tanzen oder keine schönen Gedichte schreiben können. Wenn jemand nur schiefe Töne hervorbringt, beim Tanzen über seine eigene Beinen stolpert oder Gedichte schreibt, die keine einzige Seele berühren, dann darf man ihm ruhig sagen, dass er sich vielleicht besser andere Wege suchen soll, um herauszufinden, wo seine tatsächlichen Begabungen schlummern. Wenn aber ein Engel singt und jeder Ton durch Mark und Bein geht, dann wurde in diesem Augenblick ein Star geboren und ein Talent entdeckt, das man dann doch nicht mir nichts dir nichts gleich wieder zuschütten darf, bloss weil eine andere Stimme noch ein ganz klein wenig schöner klingt oder ein anderer Song einen Rhythmus hat, der das Publikum viel schneller von den Stühlen zu reissen vermag. Weshalb kann man Talentshows nicht so gestalten, dass es zwar durchaus eine hohe Messlatte geben darf, dass aber, wer diese erreicht, zum Talent erkoren wird und so etwas wie einen “Mastertitel” zugesprochen bekommt, den ihm dann niemand mehr wegnehmen kann. Dann würden, je nach dem Gesamtpotenzial der vorhandenen Begabungen, in der einen dieser Talentshows vielleicht neunzig “Mastertitel” verliehen, in einer anderen vielleicht tatsächlich nur ein einziger. Kein einziger Traum, der auf einer tatsächlichen Begabung beruht, müsste dann platzen, alle, die es verdient haben, könnten sich freuen, alle wären erfolgreich und die alte Geschichte vom Siegen und Verlieren wäre damit endlich überwunden.

Wie absurd, einer einzigen von 150 Stimmen zu Weltruhm zu verhelfen und gleichzeitig 149 Stimmen für immer verstummen zu lassen. Wie wenn du in einen Wald gehen und “Voice of Forest” spielen würdest, alle Vögel des Waldes gegenseitig um die Wette singen liessest, bis am Ende nur noch ein einziger von ihnen übrig geblieben wäre und alle anderen, zu Tode erschöpft, für immer aufgehört hätten, ihre Lieder weiter zu singen. Glücklicherweise kommen Tiere nicht auf so absurde Gedanken…