Archiv des Autors: Peter Sutter

Luxemburg: Gratis ÖV für alle

Luxemburg soll die erste Nation der Welt werden, die gratis ÖV für alle Bürger garantiert. Egal ob Schiff, Zug, Tram oder Bus, alles wäre dann frei zugänglich und mit null Kosten verbunden.

Wieso diese Massnahme getroffen werden soll, liegt auf der Hand: Luxemburg hat eines der grössten Verkehrsprobleme in Europa. Laut Statistik verbrachte ein Autofahrer im Jahr 2016 durchschnittlich 33 Stunden im Stau. Mit der ÖV-Reform will man dem entgegensetzen und das Klima schonen. Die Reform steht jetzt noch am Anfang, doch bis zum Jahr 2020 soll der gesamte öffentliche Verkehr kostenlos sein. Wie es mit der Finanzierung aussehen wird, ist noch nicht klar. Da aber Luxemburg das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Welt aufweist, sollte es ein erreichbares Ziel sein.

(www.blickamabend.ch)

Was für eine geniale Idee. Was Luxemburg kann, könnte doch auch die Schweiz, oder nicht? Überhaupt, man müsste einmal auf jedem sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Gebiet jeweils jenes Land ausfindig machen, das in einem bestimmten Bereich am weitesten vorangeschritten ist, zum Beispiel Ruanda, wo Frauen die Mehrheit des Parlaments bilden, oder Deutschland mit einer Elternzeit von 36 Monaten nach der Geburt – um nur zwei Beispiele zu nennen. Und dann müsste man diese Errungenschaften in sämtlichen übrigen Ländern ebenfalls einführen, denn was sich in einem Land bewährte, müsste sich logischerweise auch in allen anderen Ländern bewähren. Da könnte man dann von echtem gesellschaftlichem Fortschritt sprechen. Lernen durch Nachahmung des Besten – genau so wie auch Kinder voneinander lernen, indem sie das Beste nachzuahmen versuchen…

Zeitungssterben und Demokratie

Mark Eisenegger, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Zürich, zum immer weiter voranschreitenden Zeitungssterben und dem Trend zur kurzlebigen, schnellen und leicht verdaulichen «Kurzfutterinformation»: «Die Menge der Leute, die mit Informationen unterversorgt sind, hat signifikant zugenommen und beläuft sich gegenwärtig schon auf 36 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn ohne Journalismus gibt es keine Demokratie. Auch keine Kontrolle der Mächtigen und auch keine Integration und kein Bewusstsein über die Werte, die uns zusammenhalten.»

(Jahresrückblick 2018, Schweizer Fernsehen SRF1, 19. Dezember 2018)

In einer nichtkapitalistischen Gesellschaft hätten Information und Kommerz nichts miteinander zu tun. Das Informationswesen wäre eine öffentliche Angelegenheit, finanziert durch Steuergelder. Die gedruckte Zeitung mit umfassenden Hintergrundinformationen, sorgfältig recherchiert und von bestausgebildeten Journalistinnen und Journalisten ohne Zeitdruck und Sensationshascherei geschrieben, hätte darin ihren festen Platz. Ebenso wie das Radio mit seinen Kommentaren und Hintergrundberichten. Auch das Fernsehen wäre vollumfänglich durch Steuergelder bzw. Gebühren finanziert, so dass nicht die Einschaltquoten darüber bestimmen würden, ob eine Sendung produziert und ausgestrahlt wird oder nicht.

Man mag solchen Vorstellungen Rückwärtsgewandtheit, Nostalgie, Sozialromantik und dergleichen vorwerfen. Aber war denn vor 20, 30 Jahren wirklich alles schlechter als heute? Könnten wir, auf der Reise durch die Zeit, nicht auch versuchen, das mitzunehmen und zu behalten, was sich bewährt hat? Oder ist es etwa besser, sich einfach widerstandslos der sich immer ungezügelter um sich greifenden Macht des Kapitals und, mit ihr verbündet, dem technischen «Fortschritt» auszuliefern?

Insel-Spital Bern: Fit für die Zukunft?

Ein Stellenabbau bei der Berner Insel-Gruppe hat sich abgezeichnet. Bereits Ende August informierte die Konzernleitung darüber, dass im ersten halben Jahr ein Verlust von 1,3 Millionen Franken resultierte. «Wir können Ende Jahr wohl nur mit einer schwarzen Null rechnen», sagt Verwaltungsratspräsident Uwe E. Jocham im Gespräch mit SRF News. Das sei deutlich zu wenig und man liege rund 35 Millionen Franken hinter dem Businessplan. Der Businessplan der Insel-Gruppe sieht vor, dass dringend nötige Investitionen selber finanziert werden müssen. «Wir sind weit von den notwendigen Erträgen entfernt, die wir eigentlich erwirtschaften müssen», so Jocham weiter. In den letzten drei Jahren seien über 700 neue Vollzeitstellen geschaffen worden. Die Erträge seien um 1 Prozent gewachsen, die Zahl der Mitarbeitenden jedoch um 3,1 Prozent. Ein Abbau von 150 Vollzeitstellen soll bis Ende 2019 mehrheitlich über natürliche Fluktuation erfolgen – Kündigungen seien jedoch nicht ausgeschlossen. «In einem Universitätsspital kann das Personal beim Sparen nicht ausgenommen werden», so Uwe E. Jocham, «die Personalkosten machen rund zwei Drittel aller Kosten aus.» Pierre Alain Schnegg, der Vorsteher der kantonalen Gesundheits- und Fürsorgedirektion, sagt, es sei deshalb zu begrüssen, dass sich die Insel-Gruppe «fit für die Zukunft» mache und verschiedene «Optimierungsprogramme» einleite.

(www.srf.ch)

Das haben wir davon, wenn wir Dienstleistungsunternehmen, die nichts anderem als dem öffentlichen Wohl dienen sollten, nach kapitalistischen Prinzipien zu führen versuchen. Weshalb genügt eine «schwarze Null» als Betriebsergebnis am Ende des Jahres nicht? Und weshalb darf der Personalbestand nicht stärker wachsen als die finanziellen Erträge? Dies dient doch sowohl dem Wohl der Patienten und Patientinnen wie auch dem Wohl der Angestellten. «Fitmachen für die Zukunft» und «Optimierungsprogramme» bedeuten demnach im Klartext: mehr Stress für das Personal und weniger Zeit für die Pflege der Kranken. «So lange Geld dominiert», so ein Leserkommentar zum obigen Artikel, «dominiert auch Konkurrenzdenken anstatt Hilfeleistungen – das ist schlicht und einfach beschämend.» Dem ist nichts beizufügen…

Flughafen Zürich: Mehr als 30 Millionen Passagiere

30 Millionen Passagiere dieses Jahr: Neuer Rekord des Flughafens Zürich.

(Radio SRF3, 17. Dezember 2018)

Was haben die 30 Millionen Flugpassagiere mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem zu tun? Sehr viel. Denn nur dank der kapitalistischen Umverteilung des Reichtums von den Armen zu den Reichen können sich die Reichen den Luxus des Fliegens in diesem Ausmass leisten, von dem die grosse Mehrheit der Weltbevölkerung nur träumen kann. Zweitens ist der Flugverkehr selber ein kapitalistisches Geschäft ersten Ranges: Mit verlockenden Destinationen, billigen Flugpreisen, vielerlei Extraleistungen an Bord und intensiven Werbekampagnen wird versucht, möglichst viele Menschen zum Fliegen zu verleiten – ungeachtet der verheerenden ökologischen Folgen. Drittens ist das Fliegen wie jedes kapitalistische Geschäft auf Wachstum ausgerichtet, daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Flughafen Zürich dieses Jahr erstmals die 30-Millionen-Grenze gesprengt hat, und das wird zweifellos so weitergehen. Viertens beruht das Fliegen wie alle anderen kapitalistischen Wirtschaftszweige auf dem Konkurrenzprinzip. Jeder Anbieter versucht alle anderen mit möglichst guten Leistungen und billigen Preisen auszustechen – ein tödliches Geschäft, nicht zuletzt auf dem Buckel der Angestellten und der Sicherheit der Flugzeuge. Zudem schaufeln sich die Airlines auf diese Weise gegenseitig das Grab.

In einer nichtkapitalistischen Welt gäbe es vermutlich keine Flugzeuge. Auch keine privaten Autos. Da alles gleichmässig auf alle verteilt wäre, gäbe es überhaupt keine Luxusvergnügungen irgendwelcher Minderheiten, von denen die übrige Bevölkerung ausgeschlossen wäre. Man muss sich ernsthaft überlegen, wozu Flugzeuge dann noch notwendig sein sollen. Mir fällt beim besten Willen kein Argument für den Bau und den Betrieb von Flugzeugen ein. Und dir?

Opposition gegen das ungarische «Sklaven-Gesetz»

Mehr als 10 000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Budapest gegen die Regierung von Viktor Orban . Es war bereits die vierte Protestkundgebung der Woche, zuvor hatten jeweils am Abend Manifestationen vor dem Parlament stattgefunden, wobei es auch zu Scharmützeln mit der Polizei und Dutzenden von Festnahmen kam. Unmittelbar ausgelöst hat die Protestwelle eine neues Arbeitsgesetz, wonach künftig maximal 400 unbezahlte Überstunden pro Jahr statt wie bisher 250 zulässig sind. Die Opposition kritisiert den Vorstoss als «Sklaven-Gesetz».

(NZZ, 17. Dezember 2018)

 

Es ist kein Zufall, dass ungarische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen neu bis zu 400 unbezahlte Überstunden pro Jahr leisten sollen, während in der Türkei das Pensionierungsalter für Frauen von 38 auf 58 Jahre und für Männer von 43 auf 60 Jahre angehoben wird und in Deutschland, Frankreich und Italien infolge von Betriebsschliessungen immer wieder Tausende von Angestellten ihre Stellen verlieren. Nein, es ist kein Zufall. Sondern die ganz direkte und logische Folge des globalisierten kapitalistischen Wirtschaftssystems. Es bewirkt, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über alle Grenzen hinweg gegeneinander ausgespielt werden und sich ungewollt in einem permanenten gegenseitigen Wettkampf befinden: Werden an einem Ort die Löhne gesenkt, damit billiger produziert werden kann, hat dies zur Folge, dass auch an anderen Orten die Löhne gesenkt oder die Arbeitszeiten erhöht werden, damit man im globalen Wettstreit konkurrenzfähig bleibt. Eine permanente Spirale nach unten, in der jeder Arbeiter zum Widersacher aller anderen Arbeiter wird, zwingt es doch jeden, stets ein bisschen schneller, billiger und produktiver zu sein als alle anderen. Es mag zwar antiquiert klingen, aber lösen lässt sich das Problem tatsächlich nur, indem sich alle Arbeiter und Arbeiterinnen, wie Karl Marx es forderte, über alle Grenzen hinweg solidarisieren und sich nicht mehr länger gegeneinander ausspielen lassen.

Wo wird das alles nur enden?

Die Protestbewegung der «Gelbwesten» in Frankreich geht weiter. Täglich wächst die Liste der Gruppen Unzufriedener, die sich dem Aufstand anschliessen. Lastwagenfahrer und Landwirte wollen in der kommenden Woche streiken. Gymnasiasten in Marseille, Paris, Lyon und Toulouse blockieren ihre Schulen und liefern sich Strassenschlachten mit der Polizei, Studenten bestreiken die Universitäten. Krankenwagenfahrer sperren die Place de la Concorde in Paris. Die Bahngewerkschaft Sud Rail ruft ihre Mitarbeiter zum zivilen Ungehorsam auf. Jeder sieht den Moment gekommen, auf sich und seine Agenda aufmerksam zu machen. Und die Proteste werden zunehmend von Gewalt geprägt. Es wird befürchtet, dass mit der Zeit auch die berüchtigten Banlieue-Zonen in die Protestbewegung einsteigen könnten. Auf dem Fernsehsender France 2 fragte eine ältere Dame: «Wo wird das alles nur enden?»

(Tages-Anzeiger, 7. Dezember 2018; W&O, 7. Dezember 2018)

Es liegt in der Natur des Kapitalismus, dass durch die permanente Umverteilung des Reichtums die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Auch in Frankreich gibt es neben einer Elite Superreicher eine zunehmend wachsende Bevölkerungsschicht, die sich nicht einmal das Allernotwendigste mehr leisten kann. In diesen Familien reicht das Geld noch knapp für Miete und Essen, es reicht aber beispielsweise nicht mehr, um mit den Kindern in den Freizeitpark zu fahren oder um zu zweit ins Restaurant zu gehen. Nun ist das Fass offensichtlich zum Überlaufen gekommen. Die ganze Wut der Entrechteten und Ausgebeuteten manifestiert sich nun – wie in der berühmten Französischen Revolution von 1789 – gegen die Ausbeuter – und damit gegen Präsident Macron. Doch der Aufstand ist diffus, jede Gruppe kämpft für ihr eigenes Gärtchen. Es fehlt eine umfassende Gesamtschau, eine überzeugende Alternative zum Kapitalismus, bei der nicht die Bedürfnisse und Privilegien der einen oder anderen Gruppe im Vordergrund stehen, sondern die Vision einer solidarischen, sozial gerechten Gesellschaft, in der alle Menschen am gemeinsamen Reichtum einen fairen Anteil haben.

Was ist ein gerechter Lohn?

Manche behaupten, das Verhältnis zwischen höchsten und tiefsten Löhne dürfte maximal 1:12 ausmachen. Für andere ist sogar ein Verhältnis von 1:100 noch akzeptabel. Doch was ist tatsächlich ein “gerechter” Lohn?

Nehmen wir zum Beispiel einen Vermögensverwalter. Um seinen lukrativen Job ausüben zu können, der ihm am Ende jedes Monats ein weit überdurchschnittliches Einkommen beschert, ist der Vermögensverwalter auf eine Vielzahl von Tätigkeiten angewiesen, die von anderen Menschen unterschiedlichster Berufsrichtung erbracht werden. Denken wir nur etwa an das Gebäude, in dem der Vermögensverwalter sein Büro eingerichtet hat. Dieses Gebäude würde nicht stehen, wenn es all jene Maurer, Zimmerleute, Gipser, Architekten, Kranführer, Bauzeichnerinnen, Elektriker, Malerinnen, Bodenleger, Lüftungsspezialisten, Dachdecker, Heizungs- und Sanitärinstallateure nicht gäbe, die es geplant, gebaut und ausgestattet haben. Oder das Auto, welches es dem Vermögensverwalter erlaubt, jederzeit und an jedem beliebigen Ort Kundenbesuche zu tätigen – wiederum ist es eine fast unübersehbare Vielzahl an Berufsleuten, von den Fliessbandarbeitern in der Autofabrik über Designer und Motorenbauer bis zu den Automechanikern, die mit ihrer täglichen Arbeit gewährleisten, dass Autos nicht nur hergestellt werden, sondern auch jederzeit in fahrtüchtigem Zustand verbleiben, während gleichzeitig unzählige Bauarbeiter damit beschäftigt sind, Strassen, Tunnels und Brücken zu erstellen bzw. instand zu halten, damit Berufstätige wie der Vermögensverwalter einen möglichst geringen Teil ihrer Arbeitszeit für das Bewältigen der Distanzen zwischen den einzelnen Kunden aufzubringen haben. Aber auch das ist längst noch nicht alles. Höchstwahrscheinlich besucht der Vermögensverwalter seine Kunden nicht nackt. Seine gesamte Ausstattung an Kleidern, Schuhen, Accessoires, seine Brille, das Duschmittel, der Rasierapparat, sein Aktenkoffer, der Papierblock, der Kugelschreiber, die Kaffeetasse, der Regenschirm – alles und jedes musste von irgendwem irgendwo erst einmal hergestellt worden sein. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass sich der Vermögensverwalter von Luft ernährt. Beginnt sein Arbeitstag, haben bereits Tausende von Bauern und Landarbeiterinnen, Bäcker, Metzger, Arbeiterinnen und Arbeiter in Zuckermühlen, Teigwaren- und Getränkefabriken, Lastwagenfahrer und Angestellte in den Supermärkten ein Riesenpensum Arbeit geleistet, damit sich der Vermögensverwalter mindestens dreimal täglich vielseitig und ausreichend ernähren kann, um seine Arbeit mit vollen Kräften und bei bester Gesundheit leisten zu können. Und falls er dennoch eines Tages ernstlich erkranken oder gar von einem Unfall betroffen sein sollte, steht ihm von der Apothekerin und der Physiotherapeutin über die Krankenschwester bis zum Augenarzt oder dem Chirurgen wiederum ein Riesenheer an extra hierfür ausgebildeten Berufsleuten zur Verfügung, die dafür sorgen, dass der Vermögensverwalter seine Arbeit so schnell wie möglich wieder aufnehmen kann. Wir könnten jetzt noch von der Coiffeuse des Vermögensverwalters sprechen, von der Verkäuferin, welche ihn bei der Wahl einer neuen Krawatte berät, von den Mitarbeiterinnen des Callcenters, die seine telefonischen Anfragen an die richtigen Stellen weiterleiten, vom Informatiker, der für ihn stets die neuesten Computerprogramme installiert, von den Männern von der Kehrichtabfuhr oder vom Schneeräumungsdienst, die dafür sorgen, dass die Aus- und Einfahrt zu seinem Parkplatz jederzeit ungehindert passierbar ist, von den Angestellten des öffentlichen Abwasserdienstes, welche Kanäle und Abwasserrohre von Abfall befreien, damit es keine Überschwemmungen gibt, von den Köchen und den Kellnerinnen in dem Spezialitätenrestaurant, wo er sich mit Kunden oder Geschäftspartnern regelmässig zum Arbeitslunch trifft – die Liste all jener Menschen, ohne deren Arbeit der Vermögensverwalter seine eigene berufliche Tätigkeit nicht einen einzigen Tag lang ausüben könnte, liesse sich ins schier Unendliche ausdehnen und man könnte wohl leicht damit ein ganzes Buch füllen.

Eigentlich wäre es daher bloss ein selbstverständliches Gebot der Fairness, wenn der Vermögensverwalter zumindest einen Teil seines weit überdurchschnittlichen Einkommens, welches er am Ende jedes Monats auf seinem Konto hat, an all jene weitergeben würde, die mit so viel Einsatz und Fleiss dazu beigetragen haben, dass er seine Tätigkeit überhaupt ausüben kann. Man könnte nun lange und ausführlich darüber diskutieren, wie gross der Anteil sein müsste, den er von seinem Einkommen dafür abzweigen müsste, damit er ein gutes Gewissen haben könnte, sich nicht auf Kosten anderer bereichert zu haben. Eigentlich gibt es darauf nur eine einzige wirklich logische, einleuchtende Antwort: Er müsste von seinem eigenen Einkommen genau so viel abziehen und an alle, die ihm zu dessen Erzielung verholfen haben, weitergeben, bis alle – inklusive er selber – den gleichen Anteil am gesamten Einkommen aller hätten. Denn der Vermögensverwalter ist ja nicht der Einzige, der sich an der Arbeit anderer bereichert. Alle sind auf berufliche Tätigkeiten unzähliger anderer angewiesen, damit sie ihre eigene berufliche Tätigkeit ausüben können. Alle bereichern sich deshalb auf Kosten anderer. Ausser natürlich jene, die einen – im Quervergleich mit sämtlichen anderen Berufen – unterdurchschnittlichen Lohn verdienen. Bei ihnen ist es genau umgekehrt. So wie alle überdurchschnittlich Verdienenden sich auf Kosten anderer bereichern, so wird allen unterdurchschnittlich Verdienenden ein Teil ihres Lohnes, auf den sie eigentlich Anspruch hätten, vorenthalten. Wenn wir daher auf diesem Gedankenweg schliesslich zur Forderung nach einem Einheitslohn gelangen, dann ist das bloss so etwas Simples und Logisches, wie es zum Beispiel in jedem afrikanischen Dorf üblich war, bevor das Land von den Europäern erobert wurde: Kamen die Männer gegen Abend von der Jagd nach Hause – der eine hatte zwei Affen gefangen, der andere nur einen, wieder einer gar vier und andere überhaupt keinen –, dann wurde das erlegte Fleisch in genauso viele gleich grosse Stücke zerlegt, dass alle Männer, Frauen und Kinder des Dorfes den genau gleich grossen Anteil daran zu essen bekamen.

Denken wir das Ganze logisch weiter, dann müsste ein Einheitslohn freilich nicht nur innerhalb eines einzelnen Landes, sondern weltweit gelten. Denn, um auf das Beispiel unseres Vermögensverwalters zurückzukommen: Höchstwahrscheinlich stammt mindestens die Hälfte aller Lebensmittel, die er verzehrt, von Ländern ausserhalb der Schweiz, Abertausende Menschen von Spanien über Tunesien und Brasilien bis nach Australien und Vietnam haben schwerste Arbeit dafür geleistet, dass sich der Vermögensverwalter jeden Tag so abwechslungsreich und üppig ernähren kann. Eine unabsehbare Zahl von hart arbeitenden und wenig verdienenden Frauen in Rumänien, Bangladesch und China haben all die Kleider genäht, mit denen sich der Vermögensverwalter bei seinen Kunden so elegant präsentiert. Weder sein Computer, sein Smartphone noch sein Auto stünden ihm zur Verfügung, wenn sie nicht von Arbeiterinnen und Arbeitern in Taiwan, Japan, Südkorea oder China mit einem Riesenaufwand an Fleiss, Sorgfalt und Präzision hergestellt worden wären und wenn nicht unzählige Männer in Chile, Polen oder Südafrika jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzten, um noch aus den gefährlichsten Gruben und Schächten tief unter der Erde all jene Metalle und Stoffe ans Tageslicht zu befördern, welche zur Herstellung aller dieser Geräte unerlässlich sind. Mit jedem Dollar, der über dem weltweiten Durchschnittslohn liegt, bereichert sich der Vermögensverwalter Tag für Tag auf Kosten anderer. Mit jedem Dollar, den ein Kaffeebauer in Costa Rica, ein Kohlearbeiter in Argentinien oder eine Teppichknüpferin in Pakistan weniger verdient als den weltweiten Durchschnittslohn, wird ihnen allen jener gerechte Anteil am globalen wirtschaftlichen Gesamtgewinn vorenthalten, der sich ohne ihre tägliche Plackerei und ihr tägliches Elend in Sekundenbruchteilen in Nichts auflösen würde.