Archiv des Autors: Peter Sutter

«Demokratie» – eine Form der Diktatur der Reichen gegen die Armen

In der Schweiz ist alles besser. Hier sind die Berge noch schöner, die Strassen sauberer, das Wasser klarer, die Wiesen grüner, die Bürokratie kleiner, der Staat schlanker, die Bahn pünktlicher, die Menschen reicher, die Politik verlässlicher, die Uhren genauer… Kapitalismus und Marktwirtschaft haben einen hierzulande nie gekannten Wohlstand geschaffen… An Politikern, die unbequeme Positionen vertreten und den Mut aufbringen, eine saturierte Schweiz mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren, mangelt es schmerzlich… Die Schweiz ist ohne Zweifel ein «Erfolgsmodell». Es ist nichts als menschlich, das Gute bewahren zu wollen. Vor lauter Festhalten am Status quo droht allerdings der Verlust der Zukunftsfähigkeit. Eine Politikergeneration, die sich durch fehlenden Mut und Gestaltungswillen kennzeichnet, gepaart mit einer Gesellschaft, die sich wohlstandsverwöhnt zurücklehnt – das ist eine fatale Kombination.

(NZZ, 31. Dezember 2018)

Das ist das Heimtückische an einer «Demokratie» in einem reichen Land wie der Schweiz. Sie verschleiert die tatsächlichen Machtverhältnisse. Das, was wir «Demokratie» nennen, ist ins Tat und Wahrheit nichts anderes als eine Diktatur der Reichen gegen die Armen. Denn wir finden zum Beispiel weder in unseren Parlamenten noch in unserer Regierung einen Küchengehilfen, der für 3000 Franken im Monat in einem Luxushotel schuftet. Wir finden auch keine Coiffeuse, die für 4000 Franken im Monat den Schönen und Reichen ihre Haare stylt. Ebenfalls suchen wir in unseren Parlamenten und in unserer Regierung vergebens einen kongolesischen Minenarbeiter, der für die Rohstoffbeschaffung unserer Smartphones seine Gesundheit opfert, oder eine chinesische Fabrikarbeiterin, die sich während zwölf Stunden pro Tag abrackert, um all jene Wunderdinge herzustellen, die auf den Regalen unserer Spielwarenläden zu finden sind. Ebenfalls fehlt in unseren Parlamenten und in unserer Regierung ein brasilianisches Strassenkind, das nur durch Prostitution überleben kann. Und ebenfalls nirgendwo finden wir eine Maus, die zu medizinischen Zwecken misshandelt wird, oder eine Pflanze, die vom Aussterben bedroht ist. Die «Demokratie» eines reichen Landes, die so tut, als höre die Welt an ihren Landesgrenzen, kann niemals eine echte Demokratie sein. Eine echte Demokratie hätten wir erst in Form einer globalen Regierung und eines globalen Parlaments, in dem alle sozialen Bevölkerungsschichten, Volks-, Alters-, Geschlechts- und Berufsgruppen angemessen vertreten wären.

 

Fliegen als Volkssport

Über die Weihnachtstage gelüstet es viele Schweizerinnen und Schweizer nach Sonne und Wärme. Bangkok ist auf der Liste der Reiseziele weit oben. Der Jahreswechsel am Strand unter Palmen ist im Trend – man gönnt sich ja sonst nichts. Flüge nach Thailand  bucht man für ein paar hundert Franken. Heute ist das Fliegen eine Art Volkssport. «Die Schweiz hat sich vom Land der Bahnfahrer zum Land der Vielflieger entwickelt», sagte Patrick Hofstetter, Leiter Klimapolitik beim WWF. Allein in den letzten fünf Jahren hat sich die mit dem Flugzeug zurückgelegte Strecke pro Kopf ungefähr verdoppelt. Sie ist heute grösser als jene, die wir mit Zug und Auto absolvieren. Das bleibt nicht ohne Folgen: Die CO2-Emissionen der Luftfahrt machen rund 18 Prozent des schweizerischen Klimaeffekts aus. Eine Umfrage im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) zeigt, dass 60 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, wonach die Fliegerei das Klima aufheizt.  Aber nur knapp ein Viertel hat in den letzten zwei Jahren aus ökologischen Gründen auf eine Flugreise verzichtet. Wir verhalten uns wie unbelehrbare Raucher: Wir wissen, dass es schädlich ist, und tun es trotzdem.

(www.watson.ch)

Wir wissen, dass es schädlich ist, und tun es trotzdem. Wie mit dem Autofahren, dem Kaufen von Billigtextilien, dem Verzehr von Fleisch oder dem Fortwerfen des Smartphones, das bloss zwei Jahre alt ist. Wir wissen, dass all dies schädlich ist, und tun es trotzdem. Der kapitalistischen Propaganda ist es offensichtlich gelungen, einen Keil zu treiben zwischen unser Wissen und unser Handeln. Der momentane Genuss und die durch ihn früher oder später verursachten Zerstörungen sind weit und unsichtbar voneinander getrennt, im Gegenteil: Je drohender die Gefahren des Klimawandels, umso paradiesischer erscheinen die Bilder von Südseeinseln und Stränden. Je verheerender die Folgen der CO2-Emissionen, umso kuscheliger der Flugzeugsitz und umso verlockender die von den Flight Attendants servierten Köstlichkeiten. Das ist der Kapitalismus. Dass er immer nur die eine Seite der Medaille zeigt, nämlich die schöne, während er die hässliche vor uns verbirgt. So dass wir noch von Inseln träumen werden, die es in der Wirklichkeit vielleicht schon gar nicht mehr gibt…

Die Gelbwesten, die Bäume und der Wald

«Die Gelbwesten sind eine der breitesten Protestbewegungen seit Jahren. Und es ist das erste Mal seit langem, dass Leute ausserhalb der grossen Städte uns in Erinnerung rufen, dass etwas schiefläuft: Sie sind die Opfer der Schliessungen staatlicher Institutionen wie Spitäler, Polizeistellen, Schulen und Gemeindeämter. Gleichzeitig ist die Steuerbelastung hoch… Ich bin in einem Frankreich aufgewachsen, in dem die staatlichen Institutionen funktionierten. War eine Frau hochschwanger, war die nächste Klinik nicht weiter als eine halbe Stunde entfernt. Heute sind es zwei. Und dass die nächste Post eine halbe Stunde Autofahrt entfernt ist und doch nur zwei Stunden pro Woche offen hat, ist für die Leute wirklich ein Problem. Sie sagen: Jetzt will Paris noch den Benzinpreise erhöhen?… Die Gelbwesten finden sich in einem Land wieder, das immer weniger gut funktioniert. Sie erleben, dass es uns als Kollektiv schlechter geht als vor zwanzig Jahren… Wir haben grosses Interesse daran, Antworten zu finden, denn sonst steigt die Gefahr, dass die Proteste der Gelbwesten der extremen Rechten helfen, an die Macht zu kommen… Die Vorstellung, dass man, wenn man seinen Job gut macht, eine Wohnung, genug zu essen und seine Ferien habe, diese Vorstellung stimmt nicht mehr. Die Mieten sind gestiegen, man fliegt schneller aus der Wohnung. Auch die Arbeits- oder gar Obdachlosigkeit älterer Leute ist neu… Viele Leute rackern sich ab und sind nicht besonders erfolgreich. Wir haben uns ja auch daran gewöhnt, dass man uns als Konsumenten behandelt, denen man sagt: Ich werde dir ein gutes Gefühl geben, du bekommst, was du brauchst, der Kunde ist König! Daraus resultiert Frustration, denn wir sind nicht 24 Stunden am Tag Kunden von Coca-Cola… Die Kinder der ärmeren und schlecht gebildeten Schichten können nicht studieren. Ich glaube, dieses Gefühl der Ungerechtigkeit hat sich eingestellt, als wir gemerkt haben, dass die Idee der sozialen Würde nicht für alle gilt… Wir glaubten ans System, an die Demokratie, an die soziale Marktwirtschaft. Daran, dass man vorankommt. Jetzt merken wir, dass es komplizierter ist und wir viele Probleme haben, die wir nicht lösen können. Überall kracht es… Als wir 15 Jahre alt waren, war das Trinkwasser nicht bedroht. Der Klimawandel war keine Gefahr. Ich bin überzeugt, dass wir die Jungen bald mit radikalen Forderungen in den Strassen sehen werden. Und sie haben recht: Es geht um ihr Überleben. Kinder haben wir ja gerne gemacht, in Frankreich sind wir in dieser Beziehung wie die Kaninchen, und jetzt sagt man diesen Kindern: Ihr wart gute Haustiere, als ihr klein wart, aber was mit eurer Zukunft passiert, ist uns egal.»

(Virginie Despentes, Autorin des Bestsellers «Das Leben des Vernon Subutex», in: NZZ am Sonntag, 30. Dezember 2018)

«Überall kracht es.» Und dies im Land der Französischen Revolution, die vor 230 Jahren mit ihrer Parole «Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit» ein unüberhörbares Signal an die ganze Welt sandte. Das ist das Wesen des Kapitalismus. Er hat nicht Fehler, er ist der Fehler. Und das zeigt sich eben in unzähligen «Einzelproblemen» von der Schliessung von Spitälern über ungerechte Bildungschancen bis hin zum Klimawandel, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang zu scheinen haben. Die Bäume und der Wald. Wenn wir nicht die Erneuerung des Waldes – sprich des Kapitalismus – anpacken, dann werden wir auch nicht die einzelnen Bäume retten können.

Die kapitalistische Welt ist eine zerstückelte Welt

Werfen wir einen Blick auf die Schlagzeilen der heutigen online-Plattform von «20minuten», dann lesen wir hier unter anderem: Mädchen (4) stirbt nach Unfall mit Skifahrer. Die Leute verzweifeln am neuen Netflix-Film. Berliner Autofahrer rast in Fussgängergruppe. Randalierer bricht tot vor Polizeiwache zusammen. Im Januar steht uns ein Super-Blutmond bevor. Zweiter Sturz beim Super-G in Bormio innert 24 Stunden. Der Vulkan Anak Krakatoa in Indonesien ist plötzlich 228 Meter kleiner. Migros verzichtet auf Feuerwerk-Verkauf. An der Fasnacht in Wohlen AG gibt’s nur noch Poulet. Sarah und Pietro Lombardi lassen sich 2019 scheiden. (www.20minuten.ch, 29. Dezember 2018)

Da freut sich der Kapitalismus. Denn diese Form von Kurzfutterhäppchen, mit denen die heutigen Medien – von der Gratiszeitung bis zum Fernsehen – immer häufiger daherkommen, entspricht ganz genau den Interessen des kapitalistischen Wirtschaftssystems und seiner Machterhaltung: Die Kurzfutterinformation gibt den Anschein, dass wir in einer bunten Welt von Zufälligkeiten leben, die je gegenseitig nichts miteinander zu tun haben. So bleibt der Blick auf das Geschehen der grossen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge versperrt. Man hätte an diesem heutigen Samstag nämlich beispielsweise auch darüber berichten können, wie viele Kinder an diesem einzigen Tag vor Hunger gestorben sind, während die Börsen weltweit explodieren und wieder ein paar Hundert Milliardäre um ein paar weitere Millionen reicher geworden sind. Man hätte noch viele andere Zusammenhänge innerhalb des kapitalistischen Systems aufdecken können, aber hierfür hätte es mehr gebraucht als ein paar Schlagzeilen. Bezeichnenderweise schafft sich der Kapitalismus – aufgrund des Konkurrenzprinzips, dem die Medien in ihrem Wettlauf um die Gunst der Leserinnen und Leser unterworfen sind – genau diese Form von Kurzfuttermedienwelt, die ihn, den Kapitalismus, wiederum stützt und zementiert.

Kapitalistisches Konkurrenzprinzip: eine Form von Krieg

In der Schweiz steigt die Verbreitung der E-Trottinette. Die international grössten Anbieter sind vor allem in Zürich tätig. Die US-Firma Lime etwa hat die hiesige Flotte jüngst ausgebaut, rund 400 Stück sollen in der Stadt Zürich verteilt sein. Hinzu kommt die kalifornische Konkurrenzfirma Bird. Diese ist mit einer geringeren Stückzahl vor wenigen Wochen ebenfalls in Zürich gestartet. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt offen. Denn den Verleihdiensten für E-Scooter könnte das gleiche Schicksal drohen wie denjenigen für Velos: Viele starten, nur wenige sind erfolgreich. Tony Ho, beim E-Scooter-Hersteller Segway Ninebot für das internationale Geschäft zuständig, zweifelt daran, ob eine Firma nur mir E-Trottinetten überleben könne. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Anbieter in finanzielle Schwierigkeiten geraten würden. «Wir dürften in dem Scooter-Krieg die einzige Firma sein, die Geld verdient», so Ho. Stellte das Unternehmen 2017 noch 200’000 Scooter her, sind es in diesem Jahr bereits rund 1 Million Stück.

(Tages-Anzeiger, 29. Dezember 2018)

Na also. Selbst einer, der mitten im Geschäft ist, nennt das kapitalistische Konkurrenzprinzip eine Form von «Krieg», in dem alle gegen alle kämpfen und aus dem schliesslich nur die Stärksten, Billigsten und Schnellsten als Sieger hervorgehen und alle anderen früher oder später auf der Strecke bleiben – mit unabsehbaren wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und menschlichen Folgen…

Wo sind die Ökonomen, die sich für eine nichtkapitalistische Wirtschaftsordnung einsetzen?

Der Tages-Anzeiger vom 29. Dezember 2018 stellt die «zehn einflussreichsten Ökonomen der Schweiz» vor: Ernst Fehr, «einer der einflussreichsten Ökonomen des deutschsprachigen Raums». Daniel Lampert, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank. Rudolf Strahm, ehemaliger SP-Nationalrat und Kolumnist des «Tages-Anzeigers». Eric Scheidegger, das «ordnungspolitische Gewissen im Staatssekretariat für Wirtschaft» und «Gegner zu vieler staatlicher Eingriffe». Dina Pomeranz, «Professorin und internationale Expertin für Entwicklungsländer». Christoph Schaltegger, «die ökonomische Nüchternheit in Person». Rainer Eichenberger, dessen Leidenschaft die «Abklärung von Kosten und Nutzen von Politik» ist. Monika Bütler, von der NZZ zur «einflussreichsten Ökonomin der Schweiz» gekürt. Tobias Straumann, Kolumnist der «NZZ am Sonntag».

Was auffällt: Unter den angeblich «zehn einflussreichsten Ökonomen der Schweiz» sind gerade mal zwei Frauen. Was weiter auffällt: Keiner der acht Ökonomen und der zwei Ökonominnen stellt das kapitalistische Wirtschaftssystem grundlegend in Frage. Wie wenn es nur eine einzige Religion gäbe, nur eine einzige Gottheit. In Anbetracht der verheerenden Auswirkungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems in Gegenwart und Zukunft wäre es dringendst nötig, dass von zehn einflussreichen Ökonomen und Ökonominnen mindestens eine oder einer die Vision einer nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung vertreten würde. Aber offensichtlich hat die kapitalistische Gehirnwäsche quer durch die Bevölkerung, die Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft schon eine so durchgehende Wirkung erzielt, dass uns diese Einseitigkeit schon gar nicht mehr besonders auffällt…

Proteste die sich an die falsche Adresse richten

Seit Tagen gibt es im Sudan heftige Proteste gegen das Regime von Diktator Omar al Baschir, ausgelöst durch eine Verdreifachung des Brotpreises. In Frankreich gegen nach wie vor täglich Tausende von «Gelbwesten» auf die Strasse, um gegen die Sozialpolitik von Präsident Macron zu protestieren. Unlängst gab es auch in Ungarn massive Proteste gegen ein neues Arbeitsgesetz, das jährlich bis zu 400 Überstunden ohne Bezahlung zulässt. Und im vergangenen September demonstrierten Tausende in Argentinien gegen die Sparpolitik ihres Präsidenten Macri. Und so weiter, und so weiter…

Der weltweite Unmut ist gross. Doch er richtet sich – meistens – an die falsche Adresse. Das Grundübel ist weder die Regierung von Frankreich, noch jene von Ungarn oder dem Sudan. Das Grundübel ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das Menschen und Volkswirtschaften weltweit in einen immer gnadenloseren gegenseitigen Konkurrenzkampf zwingt. Es ist natürlich einfacher, gegen einzelne Personen oder einzelne Gesetze zu demonstrieren als gegen etwas so Abstraktes wie ein Wirtschaftssystem. Dennoch werden die Proteste, die sich nur auf einzelne Länder beschränken, weitgehend ins Leere laufen, solange nicht an den Grundfesten des Kapitalismus gerüttelt wird. Was es bräuchte, wäre eine weltweite, grenzüberschreitende Bewegung zum Aufbau einer neuen, radikal nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Linksgrüne Initiativen haben schweren Stand

Am 10. Februar gelangt die von den Jungen Grünen lansierte Zersiedelungsinitiative zur Abstmmung. Das Volksbegehren will die Baufläche in der Schweiz einfrieren; Neueinzonungen wären nur noch zulässig, wenn andernorts mindestens gleich viel gleichwertige Fläche ausgezont würde. Den propagierten Bauzonenstopp heissen gemäss einer Umfrage der Tamedia derzeit 54 Prozent der Stimmbevölkerung gut. Am stärksten zieht im Lager der Befürworter der Initiative das Argument, wonach jede Sekunde fast ein Quadratmeter Grünfläche überbaut werde und es so nicht weitergehen könne. Das Meinungsbild könne sich aber noch stark ändern, sagen die Politologen Lucas Leemann und Fabio Wasserfallen. Auch das Forschungsinstitut GFS Bern stuft ein Scheitern der Initiative als «wahrscheinlich» ein. Je länger der Abstimmungskampf dauere, umso mehr wachse die Bereitschaft, eine Initiative abzulehnen.

(Tages-Anzeiger, 28. Dezember 2018)

Die Zersiedelungsinitiative wäre nicht die erste «links-grüne» Initiative, die in den ersten Meinungsumfragen eine Mehrheit erreichte, schliesslich aber dennoch von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurde. Man erinnere sich an die Abstimmung über die Einführung einer Einheitskrankenkasse, bei der die Befürworter in den ersten Meinungsumfragen eine deutliche Mehrheit bildeten. Oder an die 1:12-Lohnabstimmung der Juso, bei der die ersten Meinungsumfragen ein ganz knappes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern zeigten, die aber ebenfalls deutlich abgelehnt wurde. Wie ist das zu erklären? Die spontane Meinungsäusserung, die in den ersten Umfragen zum Ausdruck kommt, entspringt dem «Bauchgefühl»: Die Idee der Initiative erscheint sympathisch, sinnvoll, vernünftig, leuchtet ein. Dann aber kommt die kapitalistische Gehirnwäsche, die meistens an die Angst – dem wirkungsvollsten Entscheidungsfaktor – appelliert: Wie steht es um die Sicherheit der Arbeitsplätze bei einer Annahme der Initiative? Muss ich um meinen Job fürchten? Wie stark wäre die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz eingeschränkt? Worauf müssten wir verzichten? Was würde uns weggenommen? Was für Einschränkungen oder Bedrohungen kämen auf uns zu? Und weil in aller Regel die «bürgerlichen» Parteien und Verbände mehr Geld in eine Abstimmungskampagne werfen können als ihre «linksgrünen» Gegner, kippt eben die anfängliche Sympathie gegenüber der Initiative nach und nach in ihr Gegenteil um. Man müsste nur schon aus Fairnessgründen auf jegliche geldgesteuerte Abstimmungspropaganda verzichten: keine Plakate, keine Inserate, keine Internetwerbung. Einfach das Abstimmungsbüchlein, die persönliche Meinungsbildung und die öffentliche Diskussion. Damit sich nicht Angst, Geld und Machtgebaren als dominierende Kräfte durchzusetzen vermögen, sondern die besten, gescheitesten und kreativsten Ideen.

Der kapitalistische Mensch

Kaum waren die Geschenke ausgepackt, brach das Shoppingfieber erneut aus. In vielen Warenhäusern und Läden begann am 27. Dezember die grosse Rabattschlacht. Mit Vergünstigungen von bis zu 50 Prozent und Sonderangeboten lockten die Geschäfte am Donnerstag Familien, Paare und Teenager in die Läden. Im Manor an der Zürcher Bahnhofstrasse etwa herrschte um die Mittagszeit grosser Trubel. «Jetzt waren zwei Feiertage und man sieht: Die Kunden sehnen sich nach Shopping», sagte Stephan Böger, Direktor von Manor Zürich. Vor allem stürzten sie sich auf Schnäppchen in der Parfümerieabteilung, auf die teilweise bis zu 50 Prozent vergünstigte Herbst- und Wintermode sowie auf Kochutensilien wie Bratpfannen. Auch im Zürcher Shoppingzentrum Sihlcity war schon um 10 Uhr morgens einiges los. Im Spielzeugladen kurvten Mütter mit Kinderwagen und kleinen Kindern an der Hand herum, die mit Playmobil liebäugelten. Kaniau Jakaf (21) war im Body Shop auf Geschenksuche. Die Schnäppchenjäger reisten aus der ganzen Schweiz nach Zürich.  

(www.20minuten.ch)

Das kapitalistische Wirtschaftssystem braucht den kapitalistischen Menschen, sonst würde es nicht funktionieren. Dieser kapitalistische Mensch gibt der Wirtschaft seine Arbeitskraft – er ist der eigentliche Arbeitgeber – und bekommt dafür die Entlöhnung eines Teils der von ihm erbrachten Leistung – der andere Teil fliesst in die Taschen der Geschäftsführer, Firmenbesitzer und Aktionäre. In seiner Freizeit ist der kapitalistische Mensch Konsument und gibt den grössten Teil seiner Entlöhnung wieder aus – für zahllose nötige und unnötige Dinge. Und auch beim Konsumieren fliesst wieder ein Teil des Geldes in die Taschen der Geschäftsführer, Firmenbesitzer und Aktionäre. Die Devise für den kapitalistischen Menschen lautet, dass er möglichst fleissig arbeiten und möglichst viel konsumieren soll – dafür sorgt der Riesenpropagandaapparat der Werbung. So dient der kapitalistische Mensch zweifach der Vermehrung des Kapitals in den Händen der Reichen und Mächtigen, während er selber – je nach der Höhe seiner Entlöhnung – mehr oder weniger stark an den Segnungen der Warenwelt partizipiert – zumindest in einem Masse, dass er zufrieden ist und nicht gegen das System aufbegehrt.

Ein weiteres Argument für einen weltweiten Einheitslohn

Wer bei einer grossen Schweizer Firma den Kundendienst anruft, dürfte eigentlich erwarten, dass das Anliegen in der Schweiz behandelt wird. Viele Unternehmen haben den Kundendienst aber längst ausgelagert. Vor allem in der Telekommunikationsbranche und im Bereich der Luftfahrt zeigt sich, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz nicht nur auf Schweizer Kundendienste setzen. So etwa hat Sunrise Call-Centers in Deutschland, Kosovo Rumänien und der Türkei. Salt betreibt Call-Centers in Griechenland und Portugal. Die Hälfte der Anfragen an UPC Schweiz landen in Deutschland, Marokko, Rumänien und der Slowakei. Der Flughafen-Dienstleister Swissport hat die Gepäcksuche von Zürich nach Bukarest ausgelagert. Kundenanfragen an Easyjet Switzerland landen in Deutschland, Marokko, Polen und Südafrika.

(www.20minuten.ch)

Der kapitalistische Gewinnmaximierungswahn treibt allenthalben seine wildesten Blüten. Nicht zuletzt den Trend, alle Tätigkeiten, die sich an einem anderen Ort erledigen lassen, dorthin auszulagern, wo die Lohnkosten niedriger sind. Dies verhindern kann nur ein weltweiter Einheitslohn – damit die Preise, die Löhne und der Wert von Arbeit und Produkten über alle Grenzen hinweg identisch sind.