Archiv des Autors: Peter Sutter

Stürme, die sich über der Weltwirtschaft zusammenbrauen

Hustet Amerika, hat der Rest der Welt eine Lungenentzündung, heisst es. Diese Küchenökonomie-Weisheit muss ergänzt werden, und zwar wie folgt: Wackelt China, dann zittern alle. Wirtschaftsprofessoren und Börsenanalysten verfolgen deshalb mit Argusaugen die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. An den jüngsten Zahlen werden sie keine Freude haben: Im Dezember sind die Exporte um 4,4 Prozent, die Importe gar um 7,6 Prozent eingebrochen. «Wir gehen davon aus, dass das Wirtschaftswachstum sich im vierten Quartal 2018 weiter abgeschwächt hat und auch im neuen Jahr unter Druck ist.», sagt Louis Kuijs von der Beratungsfirma Oxford Economics. Diese Botschaft wird auf den Geschäftsleitungs-Etagen der internationalen Konzerne die Alarmglocken läuten lassen. Apple hat bereits eine Gewinnwarnung veröffentlicht, weil die iPhone-Verkäufe in China hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Auch Autohersteller werden die neue Geiz-ist-geil-Mentalität der Chinesen zu spüren bekommen, genauso wie Mode- und Kosmetikhersteller. Kein Wunder also, ist die Stimmung unter den Ökonomen mies. Wirtschaftswachstums-Prognosen werden rund um den Globus nach unten revidiert. Die Weltbank hat kürzlich vor «Stürmen, die sich über der Weltwirtschaft zusammenbrauen», gewarnt.

(www.watson.ch)

Es gibt wohl nichts Zerbrechlicheres und Unsichereres als das weltweite kapitalistische Wirtschaftssystem, in dem je länger je mehr alles mit allem verbunden und vernetzt ist. Kein Wunder, können auch die besten Ökonomen nicht mehr voraussagen, wie sich alles weiterentwickelt, ob sich die Märkte «erholen» werden, ob es einen weiteren Aufschwung gibt – oder ob alles immer mehr ins Schlingern gerät und im schlimmsten Falle das gesamte weltweite Finanz- und Wirtschaftssystem früher oder später in sich zusammenbricht. Dem Menschen, Schöpfer dieses Systems, ist die Kontrolle darüber längst aus der Hand geglitten, Geld- und Wirtschaftsmacht haben sich verselbständig, das Steuer in die Hand genommen, sind zu einem selbstfahrenden Auto geworden. Und wir, die Bürgerinnen und Bürger der kapitalistischen Länder, können nur noch zuschauen, zittern, bangen und hoffen. Dringendst brauchen wir ein Wirtschaftssystem, das nicht auf eigene Faust agiert, sondern das wir steuern und lenken können zum Wohle der Menschen, zum Wohle der Natur und zum Wohle der Zukunft.

 

 

Die Chinesen auf dem Mond: Immer grösser immer schneller immer mehr

Anfang Jahr landete die chinesische Raumsonde Chang’e 3 auf der Rückseite des Mondes und sorgte damit für grosses Aufsehen… Über die letzten 20 Jahre hat sich immer deutlicher gezeigt, dass der Mond reich an wertvollen Rohstoffen ist. Es gibt nicht nur Gold und Platin, sondern auch das auf der Erde äusserst seltene Gas Helium-3, das wegen seiner Reaktionsträgheit als Energiequelle der Zukunft gilt. Je knapper die Rohstoffe auf der Erde werden, desto wichtiger werden unser Erdtrabant und unsere Asteroiden. «Die Ressourcen auf unserem Planeten sind begrenzt. Wer sich langfristig als Supermacht etablieren will, muss die Grenzen über unseren Planeten hinaus verschieben», ist Willy Benz, Astrophysiker an der Universität Bern, überzeugt.

(Tagblatt, 14. Januar 2019)

Das ist das Wesen des Kapitalismus. Er kennt keine Grenzen. Er fällt Millionen von Bäumen, um auf dem gewonnenen Land Fleisch zu produzieren. Er baut künstliche Inseln ins Meer hinaus, um seinen Fabriken mehr Platz zu geben. Er gräbt sich so tief wie möglich in die Erde hinein, um wertvolle Rohstoffe zu fördern. Er baut die höchstmöglichen Häuser in den Himmel hinein. Er durchbohrt ganze Berge, um ein bisschen schneller von Ort zu Ort zu gelangen. Er baut immer grössere Schiffe und belädt sie mit einer immer grösseren Zahl von Containern. Er baut immer schnellere und leistungsfähigere Computer. Er beschleunigt die Produktion aller Waren immer mehr. Er häuft immer mehr Geld in den Taschen der Reichen und Reichsten an. Er baut immer längere Brücken von Insel zu Insel. Er baut immer breitere Strassen, immer schnellere Züge und immer grössere Flugzeuge. Er würde, wenn die Bodenschätze des Mondes aufgebraucht wären, zweifellos weiter bis zum Mars fliegen und dann noch weiter ins Universum, so weit als nur möglich. Und dies alles, während rund die Hälfte der Menschheit von all den immer verrückteren «Segnungen» all dieses «Fortschritts» ausgeschlossen bleiben, nie ein Stück Fleisch auf ihrem Teller sehen, nie in einem Flugzeug sitzen werden und nie etwas von all den schönen Dingen kaufen können, die in den zahllosen Containern über die Ozeane geschafft werden. Wo und wie wird das, wenn es so weitergeht, eines Tages enden?

Sind die Armen faul?

Sebastian Kurz, der österreichische Bundeskanzler, hat sich vergangene Woche wieder einmal über die Armen lustig gemacht. Gemäss Kurz sind die Armen arm, weil sie faul sind. Während alle anderen «in der Früh aufstehen», um zur Arbeit zu gehen, bleiben sie eben liegen. Abends feiern sie auf Staatskosten, so wie die Grille im Märchen. Vorurteile sind so lange wahr, wie sie nicht durch Erfahrung entkräftet werden. In der Welt von Sebastian Kurz gibt es keine prekären Hilfsjobs, keine Menschen, die zwölf oder mehr Stunden für einen Witzlohn arbeiten. Die strukturellen Ursachen der Armut übersehen sie konsequent: die Folgen einer Wirtschaftspolitik, die für immer mehr Menschen immer weniger – und vor allem immer schlechter ­bezahlte – Arbeit generiert. Wie also sieht Armut, extreme Armut ­wirklich aus? Vergangene Woche war ich für meine Neuverfilmung des Evangeliums in ­Süditalien unterwegs. Der Reisende, der sich dem Stiefelabsatz nähert, landet mitten in dem, was Karl Marx einst die «ursprüngliche Akkumulation» genannt hat. Ein auf eine halbe Million Menschen geschätztes Heer von afrikanischen Sklavenarbeitern vegetiert in den über die Landschaft verteilten Lagern und Ghettos dahin, nur um auf Tomaten- oder Orangen­plantagen für eine Handvoll Euro pro Tag ­ausgebeutet zu werden. Sklaven sind diese Menschen, weil sie keine Papiere haben, weil sie in Schulden stecken, weil sie weder vor noch zurück können. Eine Art umgedrehte ­Globalisierung hat Süditalien zum ­Laboratorium des ­ultraliberalen Kapitalismus gemacht. Während im ausgehenden 20. Jahrhundert die Produktionsbetriebe zur billigen Arbeit gebracht wurden, wird im beginnenden 21. Jahrhundert die Arbeitskraft nach Europa geschleust. Die Migrationspolitik der italienischen Regierung sorgt dafür, dass die Flüchtlinge umgehend illegalisiert und damit für den Markt frei verfügbar werden. An reguläre Verträge ist nicht zu denken. Wer überleben muss, akzeptiert alle Bedingungen. «Ich hasse Italien», sagte mir ein junger Guineer vor ein paar Tagen im Borgo Mezzanone, dem vielleicht berühmtesten wilden Flüchtlingslager Italiens. Die Menschen leben im Schlamm, in der Kälte, unterdrückt von den «Caporali» genannten Zwischenhändlern. Das System ist ausweglos: Bezahlen die Kleinbauern die Erntearbeiter nicht miserabel, ­können sie nicht zu den Preisen produzieren, die Lidl oder Penny ihnen pro Kilo zahlt – und gehen selbst in Konkurs. Vier, fünf Jahre machen das die Menschen mit, dann gehen sie zugrunde. So viel also zum Thema Faulheit: Die wirklich Verlassenen dieser Welt sind nicht faul, nach zwölf Stunden beginnt ihr Arbeitstag erst. Auch nur eine Woche im Borgo Mezza­none zu überleben, auf den Plantagen: Das ist härter als alles, was sich ein Sebastian Kurz überhaupt vorstellen kann. Was diese Menschen brauchen, sind keine Beleidigungen. Es ist ­Solidarität und, nun ja: eine Revolution.

(Milo Rau in: «Sonntagszeitung» vom 12. Januar 2019)

 

Dem ist nichts beizufügen. Ausser vielleicht, dass auch hierzulande nicht wenige Leute über Arme so denken und reden wie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Leute, die zum Beispiel bei Lidl einkaufen, ohne sich je Gedanken darüber zu machen, unter welchen Bedingungen produziert wurde, damit die Preise schliesslich so niedrig sind. 

WEF: Ganz wie es im kapitalistischen Lehrbuch geschrieben steht

Auch wenn Donald Trump und Emmanuel Macron auf einen Besuch beim Weltwirtschaftsforum in Davos verzichten: Auch dieses Jahr dürften die Sicherheitskosten alleine für die Polizei wieder gegen zehn Millionen betragen. Gemäss geltendem Verteilschlüssel trägt das WEF lediglich einen Viertel der Kosten. Drei Achtel übernimmt der Bund, ein Achtel die Gemeinde Davos und ein weiteres Viertel der Kanton Graubünden. Dabei könnte das WEF diese Kosten locker alleine tragen, verfügt es doch über ein Eigenkapital von 321 Millionen Franken, das in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. Doch statt in die Sicherheitskosten vor Ort investiert das WEF lieber in die Expansion des Forums ins Ausland. Bereits heute ist das WEF an drei Standorten präsent, acht weitere sollen dazu kommen. Absurd sei das, sagt der Fraktionschef der Grünen, Balthasar Glättli. «Die Schweiz subventioniert das WEF, damit es im Land bleibt – und das WEF nutzt dann dieses Geld, um im Ausland zu expandieren», kritisiert er. Angesichts der hohen Reserven hält er die geltende Kostenverteilung für unfair. «Die Kosten des Anlasses werden sozialisiert, die Gewinne privatisiert – das ist höchst stossend», sagt Glättli.

(www.watson.ch)

 

Ganz wie es im kapitalistischen Lehrbuch geschrieben steht: Zuoberst wird Geld in der Höhe von Abermillionen gescheffelt. Weiter unten umarmen und küssen sich die kleinen und die grossen Mächtigen der kapitalistischen Welt. Noch weiter unten werden Steuergelder, von Zehntausenden Menschen hart erarbeitet, dazu verwendet, dass die hohen Herren in ihren Luxushotels ruhig schlafen können. Noch weiter unten rackern sich Köche, Kellnerinnen und Zimmermädchen ab, stehen sich Taxifahrer stundenlang die Füsse wund und stellen sich Prostituierte Nacht für Nacht zur Verfügung – dies alles, damit auch ja jedes Bedürfnis der hohen Herren befriedigt wird. Und ganz unten hungern eine Milliarde Menschen, von denen kein Einziger an diesen heiligen Ort, wo angeblich über Visionen für eine bessere Zukunft diskutiert wird, eingeladen wurde…

Rädchen in einem einzigen globalen Produktionsprozess

Politiker überall auf der Welt können heute zwischen verschiedenen wirtschaftspolitischen Massnahmen wählen, doch in fast allen Fällen spiegeln die verschiedenen Optionen eine kapitalistische Sicht der Ökonomie wider. Die Politiker hegen die Illusion, wählen zu können, aber die wirklichen Entscheidungen sind schon viel früher von den Ökonomen, Bankern und Unternehmern getroffen worden, die die verschiedenen Wahlmöglichkeiten auf der Speisekarte festlegten… In vormodernen Zeiten haben die Menschen nicht nur mit verschiedenen politischen Systemen experimentiert, sondern auch mit einer verblüffenden Vielfalt wirtschaftlicher Modelle. Heute dagegen glaubt so gut wie jeder in leicht unterschiedlichen Variationen an das gleiche kapitalistische Thema und wir alle sind Rädchen in einem einzigen globalen Produktionsprozess.

(Yuval Noah Harari, «21 Lektionen für das 21. Jahrhundert»)

Dass der Kapitalismus alles beherrscht, wird heute wohl niemand mehr ernsthaft bestreiten. Auch seine verheerenden sozialen, menschlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen sind mehr als evident. Wenn aber jemand kommt und eine Überwindung dieses Wirtschaftssystems fordert, dann wird ihm sogleich entgegen gehalten, alle Alternativen zum Kapitalismus in der Geschichte seien gescheitert. Als wäre der Kapitalismus der einzige mögliche Weg für die Menschheit. Als wäre der Weg in die Selbstzerstörung die letzte und höchste und alternativlose Errungenschaft der menschlichen Geschichte. Dabei wäre – wenn nur genug Menschen es tatsächlich auch wollten – eine neue, andere Richtung gar nicht so schwierig und auch nicht undenkbar. Denn was Menschen aufgebaut haben, kann logischerweise auch wieder durch Menschen abgebaut und durch etwas Neues, anderes, Besseres ersetzt werden.

Dringend nötig: Weltparlament und Weltregierung

Heute haben wir unter globalen Problemen zu leiden, ohne dass es eine globale Gemeinschaft gibt. Alle bestehenden menschlichen Gruppen sind damit beschäftigt, ihre spezifischen Interessen zu verfolgen, statt die globale Wahrheit zu verstehen.

(Yuval Noah Harari, «21 Lektionen für das 21. Jahrhundert)

Ja. Täter und Opfer im globalen kapitalistischen Machtsystem sind weit auseinandergerissen und haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Doch in der globalisierten kapitalistischen Welt ist alles mit allem verbunden und jede Tat am einen Ort auf der Erdkugel hat eine Auswirkung auf einen anderen Ort auf der anderen Seite der Erdkugel. Die einzige Lösung dieses Problems liegt in der Schaffung eines Weltparlaments, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner sämtlicher Länder in je angemessener Zahl vertreten sind, sowie einer Weltregierung – so wie das Kapital an keiner Grenze Halt macht, so darf auch die Demokratie an keiner Grenze Halt machen.

Skirennen: Die Absurdität des Konkurrenzprinzips

Jetzt sind sie da, die fetten Wochen für die Skirennfahrer. Adelboden, Wengen, Kitzbühel: Millionen Zuschauer an den Bildschirmen und den Strecken, Spektakel, Geldregen. Die Sieger im Berner Oberland kassieren 45’000 Franken, die Abfahrts- und Slalomsieger in Kitzbühel 85’000 Franken. Fürstliches Entgelt für zwei Minuten im Scheinwerferlicht. Nur: Für den Grossteil der Athleten ist diese Welt weit weg. Dort geht es nicht darum, möglichst viel zu verdienen, sondern schlicht darum, irgendwie durchzukommen. Wer an diesem Wochenende in Adelboden oder kommende Woche in Wengen Zehnter wird, tritt die Heimreise mit 1800 Franken an, für den Dreissigsten gibt’s noch 500 Franken. Richtig prekär kann es bei einer Verletzung werden, dann geht es nicht selten um Existenzielles.

(Tages-Anzeifer, 12. Januar 2019)

Der Skirennsport als extremes Beispiel des kapitalistischen Konkurrenzprinzips. Damit der Schnellste zum Sieger wird, braucht es alle anderen, die ein bisschen langsamer sind. Der Sieger verdankt somit sozusagen seinen Sieg den Verlierern. Mit anderen Worten: Alle, die am Rennen teilnehmen, ermöglichen erst den Wettlauf um den Sieg. Gerechterweise müssten am Ende alle, die am Rennen teilgenommen haben, ein gleich hohes Preisgeld bekommen. Haben sie doch alle ihren Teil zum spektakulären Ereignis beigetragen; das Rennen hätte nicht stattfinden können, wenn nur ein Einziger mitgemacht hätte. In der Realität aber bezahlen die Verlierer mit ihrer Niederlage für den Sieg der Gewinner. Wie in der Schule, wo die besten Note nur deshalb so gut ist, weil alle anderen schlechter sind. Oder wie in der Wirtschaft, wo die Firma, die den höchsten Gewinn erzielt, nur deshalb so erfolgreich ist, weil alle anderen weniger erfolgreich sind.

Im Kapitalismus gibt es keine ausgleichende Gerechtigkeit

«Gesundheit ist der grösste Reichtum», heisst es. Doch auch dieser ist wohl eher den Vermögenden vergönnt als den Armen: In der Schweiz etwa sterben Frauen und Männer in Wohngegenden mit niedrigem sozioökonomischem Status zweieinhalb beziehungsweise viereinhalb Jahre früher als ihre Landsleute in wohlhabenden Quartieren. In den USA leben Männer aus der untersten sozialen Schicht im Durchschnitt sogar 15 Jahre weniger lang als Männer mit dem grössten Einkommen. In Grossbritannien haben Beamte mit dem niedrigsten Dienstgrad ein zweimal so hohes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall als ihre Vorgesetzten mit höchster Besoldungsstufe.

(NZZ, 11. Januar 2019)

Im Kapitalismus gibt es keine ausgleichende Gerechtigkeit. Wer hart arbeitet und wenig verdient, wird zusätzlich noch damit bestraft, dass er eine schlechtere Gesundheit hat, weniger gesellschaftliches Ansehen geniesst, von zahlreichen Freizeitangeboten ausgeschlossen bleibt, sich mit einer kleineren, weniger komfortablen Wohnung zufrieden geben muss, sich keine teuren Kleider, Schuhe, Autos und Ferienreisen leisten kann und erst noch weniger lange lebt. Während sich jene, die oft eine angenehmere und vielseitigere Arbeit haben und dennoch damit mehr Geld verdienen, sich alles Mögliche leisten können, eine bessere Gesundheit haben und erst noch länger leben. Wer behauptet, der Kapitalismus habe viel Wohlstand gebracht, müsste ehrlicherweise eingestehen, dass der Kapitalismus vor allem auch viel soziale Ungerechtigkeit gebracht hat, indem dieser vielgelobte «Wohlstand» höchst ungerecht verteilt ist.

Ein Karussell, das sich immer schneller dreht

Von 2004 bis 2015 stieg im Schweizer Amateur- und Juniorenfussball die Zahl von Verletzungen, die ärztlich behandelt werden mussten, um 20 bis 37 Prozent. Die Zahl der Fouls mit Verletzungsfolge hat seit 2008 um 25 Prozent zugenommen. Von den rund 80’000 Verletzten jährlich auf Schweizer Fussballplätzen gehen rund 45’000 zum Arzt und lassen sich dort für 190 Millionen Franken behandeln… Fussball sei schneller geworden und man gehe mehr an die Grenzen, bestätigt Suva-Kampagnenleiter Samuel Huber.

(Tages-Anzeiger, 11. Januar 2019)

20 bis 37 Prozent mehr Verletzungen im Schweizer Amateur- und Juniorenfussball innerhalb von zehn Jahren. Immer mehr gestresste Kinder und Jugendliche in den Schulen. Immer mehr Fälle von Burnout in der Arbeitswelt. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Es scheint, dass wir uns auf einem Karussell befinden, das sich immer schneller dreht. Entweder hält man das Tempo mit – oder man fliegt hinaus. Dieses Karussell, das ist das kapitalistische Konkurrenzprinzip: Renne schneller als die anderen, arbeite effizienter als die anderen, sei härter als die anderen, kaufe mehr Dinge als die anderen, sei schöner als die anderen, sei reicher als die anderen. Wie lange geht es wohl noch, bis die Zahl der Opfer so gross sein wird, dass das Ganze zusammenbricht?

Mehr Sicherheit durch Künstliche Intelligenz?

Ein Koordinierter Plan für künstliche Intelligenz der Europäischen Union sieht vor, Algorithmen verstärkt in den Bereichen «Migration und Infrastrukturüberwachung» einzusetzen. So steht es im Anhang der Mitteilung der EU-Kommission, die der Generalsekretär kurz vor Weihnachten an den Rat gerichtet hat. KI-basiertes maschinelles Lernen soll demnach vor allem in den Bereichen Geoinformation und Erdbeobachtung genutzt werden. Die EU betreibt das Programm Copernicus, das aus zunächst sechs optischen und radarbasierten Satelliten besteht. Die aus dem All generierten Bilder und Geodaten werden für Umwelt- und Sicherheitsbelange genutzt. Als wichtigster Abnehmer im Sicherheitsbereich gilt Frontex, die über Copernicus Satellitendaten für ihr Grenzüberwachungssystem Eurosur anfordert. Auch die Überwachung des «Grenzvorbereichs» erledigt die EU-Grenzagentur unter anderem mit Satellitendaten. Eurosur ist laut Frontex jetzt schon in der Lage, mithilfe von Algorithmen verdächtige von unverdächtigen Schiffen zu unterscheiden. Als weitere Anwendungsgebiete von KI zur «Politikumsetzung und -Überwachung» nennt die Kommission Klimawandel, Umweltschutz, Landwirtschaft, Stadtentwicklung und Cybersicherheit. Auch im Katastrophenschutz soll KI zur «faktengestützten politischen Entscheidungsfindung» eingesetzt werden. Als erster Schritt werden laufende Investitionen im Rahmenprogramm für Forschung und Innovation «Horizont 2020» auf jährlich 1,5 Mrd. EUR aufgestockt. Die Mitgliedstaaten und «der Privatsektor» sind aufgefordert, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft «ähnliche Anstrengungen zu unternehmen». Für die nächsten zwei Jahre soll auf diese Weise ein Investitionsvolumen von über 20 Mrd. EUR zusammenkommen. Damit sollen beispielsweise «Satellitentechnik», aber auch 5G-Mobilfunknetze, Glasfasernetze und «Cloudsysteme der nächsten Generation» ausgebaut werden.

(www.heise.de)

Mehr Sicherheit durch mehr Technik? Ist das nicht alles reine Symptombekämpfung? Weder die Migration noch den Klimawandel werden wir mit mehr Künstlicher Intelligenz in den Griff bekommen. Gefragt ist einzig und allein eine neue Weltordnung, ein neues Wirtschaftssystem, das nicht mehr auf blindem Wachstum und Ausbeutung beruht, sondern auf sozialer Gerechtigkeit und Frieden. Dann können wir uns die 20 Milliarden Euro mit gutem Gewissen sparen…