Archiv des Autors: Peter Sutter

Auf den Spuren der Französischen Revolution

Die Bewegung der Gilets jaunes überstand die besinnliche Weihnachtszeit und den Wintereinbruch. Weiterhin ziehen jeden Samstag Menschen in gelben Warnwesten durch Frankreichs Metropolen. Die Gilets jaunes zeigen eine Ausdauer, mit der kaum jemand gerechnet hat. Hélène Miard-Delacroix, Professorin an der Universität Sorbonne, sagt: «Was Frankreich derzeit erlebt, ist für ganz Europa eine Warnung.» Die Gelbwesten protestieren gegen etwas, das auch Menschen in anderen europäischen Ländern umtreibt: ein diffuses Gefühl, von den Mächtigen und Reichen abgehängt worden zu sein. Für Miard-Delacroix vereint die Sammelbewegung der Unzufriedenen eine einfache Formel: «Sie wollen Gerechtigkeit.»

(SRF, 2. Februar 2019)

Gerechtigkeit ist das Schlüsselwort. Je ungerechter Macht und Reichtum in einer Gesellschaft verteilt sind, umso grösser die Wut der «einfachen» Bürgerinnen und Bürger gegen die herrschende Machtelite. Dies zeigt sich in Frankreich gerade in besonders ausgeprägtem Masse. Dieses Dilemma lässt sich indessen nur lösen, wenn die kapitalistische Klassengesellschaft überwunden wird. So lange dies nicht geschieht, bestehen politische Wahlen stets nur in einer Machtübergabe von der einen zur nächsten Machtelite – und jedes Mal ist das «einfache» Volk umso enttäuschter, hat es doch mit dem Regierungswechsel eine bessere, gerechtere Gesellschaft erhofft. So ist auch die anhaltende Wut der Gelbwesten zu erklären und ihre Aktivitäten dürften eigentlich nicht aufhören, bevor nicht eine neue, nichtkapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung Wirklichkeit geworden ist, in der es kein «oben» und «unten» mehr gibt, keine Privilegien der einen auf Kosten der anderen und kein unterschiedliches Ansehen aufgrund des Berufs, der Bildung oder der Lebensweise.

Noch mehr Luxus in den Flugzeugen

Wie das Fliegen von morgen aussehen kann, wird die Branchenmesse Aircraft Interiors Expo Anfang April in Hamburg zeigen. Dort wird jeweils der Crystal Cabin Award verliehen, der die besten Innovationen rund um Flugzeugkabinen und Bordprodukte auszeichnet. In diesem Jahr stehen 94 Konzepte aus 22 Ländern zur Auswahl. Unter den Bewerbern sind Airlines, Zulieferer, Universitäten und bekannte Flugzeughersteller. Viele High-End-Ideen betreffen die Business-Class. Sie sollen das Fliegen noch luxuriöser machen. Aber auch für die Economy-Class gibt es extravagante Vorschläge.

(www.20minuten.ch, 2. Februar 2019)

Eine irre Welt. Während Zehntausende Jugendliche auf die Strassen gehen, um gegen den Klimawandel zu protestieren, wissen die Flugzeughersteller nichts Gescheiteres, als das Fliegen immer noch bequemer, luxuriöser und attraktiver zu gestalten – im gegenseitigen Wettstreit um die zahlungskräftigste Kundschaft. Wie wenn alles weit auseinanderklaffen würde, Denken, Tun, Wissen und Handeln. Wie wenn die Erde doppelt und dreifach vorhanden wäre…

«Mein Körper ist gebrochen»

«Mein Körper ist gebrochen, nicht mehr zu reparieren und lässt mich nicht die letzte Saison bestreiten, von der ich geträumt habe. Mein Körper brüllt mich an zu stoppen und es ist Zeit, dass ich auf ihn höre.»

(Lindsey Vonn, Skirennfahrerin, W&O 2. Februar 2019)

Die Spitze eines Eisbergs. Dieser Eisberg, das ist das kapitalistische Konkurrenzprinzip, das – ob im Sport, in der Arbeitswelt oder in der Schule – die Menschen dazu zwingt, sich in immer schnellerem Tempo und mit immer härteren Bandagen gegenseitig zu bekämpfen, um der Schnellste, Stärkste und Beste zu sein…

Kein Frieden ohne eine Überwindung des Kapitalismus

Nach der Erfindung des Schiesspulvers und der Atomwaffen ist nicht weniger als die dritte Revolution in der Kriegsführung angebrochen. Zum Standard gehört dabei bereits die menschliche Distanzierung im Krieg, das heisst, Soldaten stehen sich seltener als früher direkt im Feld gegenüber. Drohnenpiloten sitzen heute in einem Operationszentrum in der Wüste von Nevada, wenn sie mutmassliche Terroristen im weit entfernten Pakistan per Joystick ausschalten… In Labors werden Tiere gezüchtet, die dem Menschen gefährliche Einsätze im Krieg abnehmen sollen. Ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, wecken sie das Interesse von Militärplanern, zum Beispiel die Robo-Ratten: Sie bekommen Elektroden eingepflanzt und sind per Fernbedienung steuerbar. Sie sind noch nicht als Kampfmaschinen vorgesehen, aber können dabei helfen, Überlebende zu entdecken, die unter den Trümmern eingestürzter Häuser begraben sind, Bomben und Sprengfallen zu orten und unterirdische Tunnels und Höhlen zu erkunden… Die Automatisierung des Krieges versetzt Fachleute kaum noch in Unruhe, sie ist eine Realität. Aber der nächste Schritt – die Autonomie und damit verbunden die Frage, welche Entscheidungen Maschinen Menschen abnehmen können, wirft beunruhigende Fragen auf: Vollautonome Waffen können, wenn sie einmal von Menschen aktiviert worden sind, ohne weiteres Zutun über Zielauswahl und Zielbekämpfung entscheiden. Erprobt werden etwa Drohnenschwärme, wie sie das US-Militär bereits im Jahr 2017 erfolgreich getestet hat… Und es geht um selbstfahrende U-Boote, unbemannte Panzer, die an Grenzen patrouillieren und schiessen können, wenn sich ihnen jemand nähert… Die USA, Russland und China wollen in der Technologie nicht ins Hintertreffen geraten, unter Verweis auf den jeweils anderen werden immer wieder neue Waffen entwickelt und getestet. Für die Zukunft der Kriegsführung wollen die führenden Mächte zumindest auf alles vorbereitet sein.

(Tages-Anzeiger, 2. Februar 2019)

Mit den USA, China und Russland stehen sich drei grosse kapitalistische Machtsysteme gegenüber. Da der Kapitalismus nicht auf Gleichgewicht, sondern auf immerwährendes Wachstum ausgerichtet ist, werden diese drei kapitalistischen Mächte früher oder später aufeinanderprallen – der aktuelle Handelsstreit zwischen den USA und China ist nur ein Vorspiel dazu. Aufeinanderprallen bedeutet im schlimmsten Fall Krieg. Der Krieg ist der Bruder des Kapitalismus, das war schon beim Ersten und beim Zweiten Weltkrieg so. Daher brauchen wir, um eine friedliche Welt zu schaffen, die Überwindung des Kapitalismus und dass alle Länder und Völker der Erde nicht Feinde bleiben, sondern Freunde werden. Dies bedingt vor allem eine Wirtschaftsordnung, die nicht auf Wachstum und Ausbeutung ausgerichtet ist, sondern auf ein Gleichgewicht zwischen den Ländern wie auch zwischen Mensch und Natur.

Gesunde Menschen oder eine «gesunde» Pharmaindustrie?

2018 hat der Pharmakonzern Roche den Umsatz um 7 Prozent auf 56,8 Milliarden Franken gesteigert. Damit schnitt der Konzern deutlich besser ab, als das Management zu Jahresbeginn in Aussicht gestellt hatte. Gar überproportional legten die Gewinnzahlen zu. So stieg der Betriebsgewinn um 14 Prozent auf 14,8 Milliarden und der Reingewinn gar um 23 Prozent auf 10,9 Milliarden.

(Wirtschaft regional, 1. Februar 2019)

Das Beispiel zeigt die Absurdität des kapitalistischen Wachstumswahns. Ziel einer fortschrittlichen Gesellschaft müsste es doch sein, durch Vorsorge, gute Arbeits- und Lebensbedingungen, gesunde Lebensweise, viel Bewegung, genügend Erholung und Schlaf, psychisches Wohlbefinden und Abbau von Stress die Gesundheit der Menschen immer weiter zu verbessern, so dass sich medizinische Eingriffe und die Anzahl eingenommener Medikamente nach und nach reduzieren würden. Das wäre doch Fortschritt! Doch die Pharmaindustrie würde aufheulen und könnte jeweils zum Jahresende bloss immer schlechtere Umsatz- und Gewinnzahlen präsentieren. Das darf in einem nach kapitalistischen Kriterien funktionierenden Wirtschaftssystem nicht sein. Also drehen wir weiter am sich immer schneller kreisenden Karussell der Arbeitswelt und sorgen wir dafür, dass weiterhin möglichst viele Menschen krank werden und unter psychischen und physischen Gebresten leiden. Die Pharmaindustrie, schon träumend vom nächsten Rekordergebnis, wird’s freuen!

Wie zur Zeit der Landvögte

Rund 150’000 Franken soll die alljährlich stattfindende Jahresversammlung der Schweizerischen Steuerkonferenz (SSK) gekostet haben, die Zürich 2017 im Turnus der 26 Kantone ausrichtete. Was als Netzwerktreffen daherkam, war vor allem ein zweitägiges Ess- und Trinkprogramm. Das Fachliche begrenzte sich auf einen stündigen Versammlungsteil und ein 45-minütiges Referat. So blieb viel Zeit für ein Gala-Dinner, Bierschwemme und Barbesuch – sowie für «unzählige bilaterale oder multilaterale Gespräche über Steuerfragen oder organisatorische Themen», wie SSK-Präsident Jakob Rütsche (66) betont. Bezahlt haben das Ganze der Gastgeberkanton Zürich (rund 70’000 Franken) sowie die rund 180 Teilnehmer aus den Steuerkassen ihrer Arbeitgeberkantone und des Bundes. Doch die Steuerbeamten trieben es noch bunter: Letztes Jahr kostete die Schwelgerei nämlich noch mehr! 2018 trug Luzern das Treffen aus. Das offizielle Programm dauerte an den beiden Versammlungstagen im schicken Luzerner Kultur- und Kongresszentrum (KKL) auch nur zweieinhalb Stunden. Umrahmt war es von zwei Essen im KKL, einer Schiffsrundfahrt auf der MS Diamant, einem Bankett im 5-Sterne-Hotel Schweizerhof und dem obligaten Barbesuch. Der Kanton Luzern zahlte rund 105’000 Franken. 5000 Franken mehr als budgetiert sogar. Dazu kamen die Tagungsgelder, die jeweils die beteiligten Steuerämter übernehmen, von insgesamt rund 80’000 Franken.

(www.blick.ch)

 

Wie war das schon wieder, damals, zur Zeit der Landvögte? Das Volk wurde ausgewunden bis zum Äussersten und oben auf dem Schloss prassten die «edlen» Herren, bis ihnen die Bäuche platzten. Allzu weit haben wir uns in der Zwischenzeit wohl nicht fortentwickelt…

 

Die kapitalistische Stadt

Das Projekt GPE (Grand Paris Express) ist eine Herkulesaufgabe: Innert 15 Jahren sollen mit Investitionen von 35 Milliarden Euro gut 200 Kilometer Metrolinien mit 68 Bahnhöfen neu gebaut werden. Das bedeutet praktisch eine Verdoppelung des gegenwärtigen Netzes der 118 Jahre alten Pariser Metro. GPE ist auf Jahre hinaus das mit Abstand grösste Infrastrukturprogramm in Europa. Kehrseite der Medaille: Die gegenwärtig ansässigen ärmeren Bevölkerungsgruppen haben zwar die Bauimmissionen zu ertragen, können aber von den besseren Verbindungen gar nicht profitieren, weil sie in den nächsten Jahren zunehmend durch wohlhabendere Schichten verdrängt werden dürften. Die neuen Bahnhöfe werden ihre Strahlkraft kaum verfehlen: Wenn die Pendelzeit um durchschnittlich die Hälfte verkürzt wird, werden hier begehrte neue Quartiere entstehen.

(Tagblatt, 30. Januar 2019)

Die kapitalistische Stadt. Der Kampf aller gegen alle. Alles, was sich die Reichen erobern, geht den Armen verloren. Doch keine Angst: Obdachlose werden in den neuen Metrostationen wohl kaum geduldet werden. Die Kehrseite des kapitalistischen Glanzes wird unsichtbar gemacht…

Wer hat, dem wird gegeben II

Im Grandhotel Quellenhof in Bad Ragaz gastieren Prominente wie Robbie Williams oder Justin Bieber. Auch Staatsmänner betten sich hier gerne zur Ruhe, sei es für das Weltwirtschaftsforum in Davos oder für einige Tage Entspannung. In den 106 Zimmern ist alles vom Feinsten: Marmor, Samt, Gold und edles Holz. Doch nun ist Schluss damit. Sämtliche Zimmer werden ausgeräumt. Über 200 Betten und 100 Polstergruppen müssen raus. Nach 25 Jahren wird das Hotel zum ersten Mal komplett geschlossen und soll nach fünf Monaten wieder in neuem Glanz eröffnet werden. Die Renovationskosten belaufen sich auf 45 Millionen Franken.

(Tagblatt, 30. Januar 2019)

Und dies in einem Land, wo sich immer mehr Menschen überhaupt keine Ferien mehr leisten können und schon gar nicht eine Übernachtung in einem Luxushotel wie dem Quellenhof, wo man für eine einzige Nacht gut und gerne etwa gleich viel bezahlt, wie andere während eines ganzen Monats verdienen. Vom ökologischen Unsinn, Zimmerausstattungen, die noch in bestem Zustand sind, herauszureissen und zu verscherbeln, erst gar nicht zu reden.

Am Gängelband der Wirtschaft

Als Reaktion auf den wegbrechenden Werbemarkt stellt die Zeitschrift «Annabelle» die «Funktionsweise der Redaktion» bis Sommer 2019 komplett um und entlässt 14 der insgesamt 39 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ob das bisherige Profil mit zahlreichen kritischen und sorgfältig recherchierten Artikeln beibehalten werden kann, ist fraglich.

(www.tagesanzeiger.ch, 29. Januar 2019)

So also entscheidet nicht die Qualität, sondern die Wirtschaft bzw. der «freie Markt», ob eine Zeitschrift oder Zeitung weiterbestehen kann oder nicht. Die immerhin über 220’000 Leserinnen und Leser mögen die «Annabelle» in ihrer bisherigen Form noch so geschätzt haben – für «Nischenprodukte» gibt es je länger je weniger Platz. Die Medien am Gängelband der Wirtschaft. Daumen rauf oder Daumen runter. Knallhart. Ist das etwas grundsätzlich anderes und Besseres als in einer Diktatur, wo ein Machthaber oder die herrschende Partei darüber entscheiden, welche Medien zugelassen sind und welche nicht? Im Endeffekt kommt es aufs selbe heraus, nur dass wir uns immer noch vorgaukeln, der «freie Markt» hätte etwas mit Demokratie zu tun.

Wo der Kapitalismus seine wildesten Blüten treibt

Eine chinesische Firma hat weibliche Angestellte gezwungen, einer Strasse entlang zu kriechen. Grund für die bizarre Strafe: Die Frauen hatten die Unternehmen-Ziele nicht erreicht. Dazu ein kurzes Video hier: https://www.blick.ch/news/ausland/bizarre-strafaktion-des-arbeitgebers-chinesische-angestellte-muessen-auf-der-strasse-kriechen-id15125660.html

(www.blick.ch)

Wenn Diktatur und Kapitalismus zusammenkommen, dann ist die Hölle los. Wohl kein Zufall, dass die Gedemütigten, der öffentlichen Schande Ausgesetzten allesamt Frauen sind und es sich bei ihren Vorgesetzten vermutlich ausschliesslich um Männer handelt…