Archiv des Autors: Peter Sutter

«Der höchstgelegene Spielplatz Europas»

Der Sohn des – mit einem geschätzten Vermögen von 49 Milliarden Dollar – reichsten Inders, Akash Ambani, und die Tochter des grössten indischen Diamantenunternehmers, Shloka Mehta, laden zu ihrer zweitägigen Pre-Wedding-Party nach St. Moritz ein. 850 Gäste werden erwartet, dazu 500 eigens anreisende Bedienstete… Ein Dutzend Sattelschlepper haben in den vergangenen Tagen unablässig Material aus Grossbritannien und Irland herangekarrt…  In St. Moritz wollen Akash Ambani und Shloka Mehta ihren Gästen ein «Winter-Wonderland» bieten. Weil ihnen das in glitzerndes Weiss gehüllte Engadin offenbar nicht zauberhaft genug ist, haben sie ihr eigenes Märchenland herstellen lassen – von einer britischen Eventagentur, die auch für das englische Königshaus tätig ist. Die Kosten belaufen sich auf schätzungsweise 100 Millionen Dollar… Die gigantische Dimension der Eventhalle am Ufer des St. Moritzersees ist auch für den weltbekannten Nobelkurort neu. Vom gefrorenen See und von den Terrassen des Fünfsternhotels Badrutt’s Palace aus betrachtet, wirkt sie mit ihrem halbrunden, durchsichtigen Eingangsbereich wie ein Raumschiff aus einer fernen Galaxie, das in den Alpen notlanden musste. Die fast 2000 Quadratmeter grosse Halle wurde von den Designern zweigeteilt. Vorne ist eine Weihnachts-Chilbi mit spiralförmiger Rutschbahn und Karussell, dahinter befinden sich, durch einen weissen Vorhang getrennt, die Konzertbühne und die Eisbahn. Damit die Gäste, die mit zwei gecharterten Flugzeugen eingeflogen werden, nicht frieren, blasen Dutzende Heizkanonen warme Luft in die Halle. Neben der Halle befindet sich ein Vergnügungspark mit Riesenrad… Die Hoteliervereinigung betont, dass die Wertschöpfung «riesig» sein werde. Für diese ausgabefreudigen Gäste sei darum kein Aufwand zu gross. Und auch der Gemeindepräsident weiss, dass St. Moritz solche Events braucht, weil sich das Dorf im Kampf um die reichen Gäste aus aller Welt nicht nur auf seine gloriose Vergangenheit abstützen dürfe: «St. Moritz ist der höchstgelegene Spielplatz Europas. Und hier sollen alle mitspielen dürfen.»

(Tages-Anzeiger, 23. Februar 2019)

Ein weiteres Beispiel dafür, dass den Reichen weltweit alle Türen und Grenzen offenstehen, während den Armen überall Mauern, Grenzwälle und Stacheldrahtzäune in den Weg gestellt werden. Aber es ist noch viel schlimmer: Wenn wir uns fragen, woher die Reichen ihren Reichtum haben, so ist dieses Geld zweifellos nicht durch die Arbeit der eigenen Hände erworben worden, sondern auf all jenen verschlungenen und unsichtbaren Wegen, mit denen das kapitalistische Macht- und Wirtschaftssystem seine unaufhörliche Umverteilung von den Armen, Besitzlosen zu den Reichen, Besitzenden betreibt. Kurz: Zu 99 Prozent handelt es sich beim Reichtum der Reichen um gestohlenes Geld, das am einen Ort nur deshalb in so unglaublicher Menge vorhanden ist, weil es an anderen Orten in ebenso unglaublichem Ausmass fehlt. Schuld daran ist das Grundprinzip des Kapitalismus, wonach man nicht durch Arbeit reich wird, sondern durch Besitz – über Zinsen, Derivate, Obligationen, Aktien, Börsengewinne, Erbschaft und zahllosen weiteren Instrumenten der wundersamen kapitalistischen Geldvermehrung. Daher ist der Kapitalismus nichts anderes als die legalisierte Beraubung der Armen durch die Reichen. Wenn eines Tages die letzte Stunde des Kapitalismus geschlagen haben wird, dann wird man auf unsere heutige Zeit ebenso fassungslos zurückblicken wie wir heutigen Menschen auf die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Im Schatten des Klimawandels

Die Kautschukplantagen der Firma Socfin in Liberia umfassen eine Fläche von 1300 Quadratkilometern, das ist fast die Grösse des Kantons Aargau. Liberia ist eines der zehn wichtigsten Produktionsländer für Kautschuk, stellt selber aber keine Pneus her. Der Kautschuk geht über Antwerpen in die USA, wo er für die Produktion von Pneus der Firmen Michelin und Continental verwendet wird. Die in Liberia gebrauchten Pneus müssen importiert werden, in der Regel handelt es sich um Occasionen, abgefahrene Pneus aus Europa… 2010 wurden die Kautschukplantagen massiv erweitert. Dabei wurden 25 Dörfer von Bulldozern niedergewalzt und die Bewohnerinnen und Bewohner, obwohl sie ein verbrieftes Recht auf ihre Grundstücke besassen, in die Flucht geschlagen. Auch Wasserquellen, Gräber und Kultstätten wurden zerstört… Ein Plantagenarbeiter verdient pro Tag 4 Dollar. Dafür muss er über 650 Bäume ernten und Kessel von 30 Kilo Gewicht über Hunderte von Metern an die nächste Sammelstelle schleppen. Erreicht er das Soll nicht, wird der Lohn um die Hälfte gekürzt. Selbst in der mörderischen Mittagshitze jagen die Arbeiter wie gehetzte Tiere von Baum zu Baum, um das Tagessoll zu erfüllen. Ein Manager der Firma würde wohl sagen, diesen Arbeitern gehe es ja im Vergleich zu den Plantagenarbeitern des 19. Jahrhunderts noch gut, damals nämlich hätte man den Arbeitern, die ihr Tagessoll nicht erreichten, die Hände abgehackt… Der Hauptsitz der Firma Socfin befindet sich im schweizerischen Fribourg. Dieser Standort wurde ausgewählt, weil in der Schweiz die Gewinnsteuern für Rohstoffkonzerne besonders niedrig sind. Die beiden Firmenbesitzer sind Multimilliardäre und frönen so exklusiven Hobbys wie Yachten und Oldtimern. Der Verwaltungsratspräsident hat seinen Wohnsitz im exklusiven Rougement bei Gstaad. Als ein Team der «Rundschau» sein Haus aufsucht, um mit ihm ein Interview zu führen, wird ihnen von dessen Ehefrau mitgeteilt, er sei gerade abwesend. Die Frau regt sich darüber auf, dass das TV-Team ihr Grundstück betreten hat. Offenbar ist ihr der Zynismus dieses Verhaltens nicht bewusst oder sie hat keinerlei Kenntnisse davon, dass vor neun Jahren 25 liberianische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, damit die Firma Socfin jenen Reichtum schaffen konnte, von dem sie und ihr Mann im fernen Rougement nun profitieren…

(Schweizer Fernsehen SRF1, «Rundschau», 20. Februar 2019)

Alles spricht vom Klimawandel. Doch der Klimawandel ist nur eine von zahllosen Folgeerscheinungen des globalisierten kapitalistischen Wirtschaftssystems. Eine andere Folgeerscheinung ist, wie das Beispiel der Kautschukgewinnung in Liberia zeigt, die – nach wie vor gewaltige – Ausbeutung der Länder der «Dritten Welt» durch die Länder der «Ersten Welt». Dass uns – in den reichen Ländern des Nordens – der Klimawandel wachgerüttelt hat, ist nur allzu verständlich, sind wir doch selber unmittelbar davon betroffen. Ebenso sollten uns aber Zustände wie die Kautschukproduktion in Liberia oder die Tatsache, dass jeden Tag weltweit 10’000 Kinder in ihrem ersten Lebensjahr sterben, wachrütteln. Die Überwindung des Kapitalismus, des gemeinsamen Übels aller dieser Missstände, kann nur gelingen, wenn sich Menschen über alle Grenzen hinweg gegenseitig solidarisieren und gemeinsam am Aufbau einer neuen, nicht an Gewinnsucht, Ausbeutung und Wachstum, sondern am Wohl von Mensch und Natur orientierten Wirtschaftsordnung beteiligen.

«Kündige deinen Job, bevor du stirbst»

Berühmt geworden ist die Japanerin Kona Shiomachis durch ein Manga, das sie auf Twitter anonym veröffentlicht hatte. Aussage des Mangas: «Kündige deinen Job, bevor du stirbst». Doch dieser Manga ist nur ein Ausdruck dieses für uns Europäer so fremdartigen Phänomens. In Europa würde der Titel «Kündige deinen Job, bevor du stirbst» als reißerisch, als aufmerksamkeitsheischend aufgefasst werden, doch er ist wörtlich zu nehmen, denn die japanische Regierung geht von 200 Toten durch Überarbeitung jedes Jahr aus, auch wenn es wahrscheinlich bedeutend mehr sind. Ebenso bleibt unklar, ob auch alle von Überarbeitung verursachten Selbstmorde berücksichtigt sind.

(www.heise.de)

Die Spitze des kapitalistischen Eisbergs. Wir können uns zwar über die japanischen Verhältnisse die Augen reiben – aber steuern wir, mit dem immer weiter steigenden Druck und dem Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz, nicht genau in die gleiche Richtung?

Wachstum auf Kosten anderer

Die Coop Gruppe steigerte 2018 den Gesamtumsatz um 5 Prozent auf 30,7 Milliarden Franken. Kräftig zugelegt hat insbesondere die Transgourmet-Gruppe. Die in zahlreichen europäischen Ländern im Grosshandel tätige Coop-Tochter steigerte ihren Nettoerlös um 6,9 Prozent auf 9,7 Milliarden Franken. Damit hat sie ihre Position als zweitgrösstes Unternehmen im europäischen Abhol- und Belieferungsgrosshandel weiter ausbauen können. Wachstum, so Joos Sutter, Vorsitzender Coop-Geschäftsleitung, sei nur noch im Ausland möglich, der inländische Markt sei gesättigt. Man prüfe deshalb nun den Eintritt in eine Reihe weiterer europäischer Länder.

(www.telebasel.ch)

Das unhinterfragte Dogma des kapitalistischen Wirtschaftssystems: Alles muss von Jahr zu Jahr wachsen. Dabei wird verschwiegen, das jedes Wachstum auf der einen Seite ein Schrumpfen auf der anderen zur Folge hat. So schön es für Coop ist, im ausländischen Grosshandel zu wachsen, so schmerzlich ist es für all jene Firmen, die bisher diesen Wirtschaftszweig bedienten und nun dem neuen Eindringling Platz machen müssen. Es ist eine Art Krieg in Friedenszeiten: Wer besser ausgerüstet ist und bessere Waffen hat, kann neues Gelände erobern – die Schwächeren und Kleineren bleiben auf der Strecke. In einem nichtkapitalistischen Wirtschaftssystem würden sich Firmen und Betriebe nicht konkurrenzieren und gegenseitig verdrängen. Alles wäre auf Gleichgewicht und Kooperation ausgerichtet und das verrückte Wachstumsdogma – das ohnehin früher oder später an eine natürliche Grenze stossen muss – gehörte endgültig der Vergangenheit an.

1’745’383 Stimmen für die Bienen

Neun Monate haben die Politikerin Agnes Becker und ihre Mitstreiter für den Erfolg ihres «Volksbegehrens Artenvielfalt – Rettet die Bienen» gekämpft. Nun steht fest, dass es das erfolgreichste ist, das es jemals in Bayern gegeben hat. 1’745’383 Stimmberechtigte haben sich in den vergangenen zwei Wochen in die Unterstützerlisten eingetragen. Das sind 18,4 Prozent der gesamten Bevölkerung. Laut Initianten des Volksbegehrens sind 50 Prozent der Bienenarten bedroht und 80 Prozent der Falter bereits verschwunden. Die Initiatoren von «Rettet die Bienen» wollen nun mehrere Gesetze ändern. Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Agrarflächen biologisch bewirtschaftet werden. Aktuell sind es 6,6 Prozent. Weitere Forderungen im Begehren sind ein Schutzstreifen von fünf Metern neben Gewässern sowie das Aus für die meisten Leuchten im Außenbereich. Begründung: Solche Strahler seien für Insekten Todesfallen.

(www.sueddeutsche.www)

Schön und gut. Aber eigentlich hätten sich diese 1’745’383 Stimmberechtigten für die Überwindung des Kapitalismus aussprechen müssen. In den neun Monaten, da sie für die Rettung der Bienen gekämpft haben, ist die Klimaerwärmung weiter vorangeschritten, sind über vier Millionen Kinder weltweit in ihrem ersten Lebensjahr gestorben, hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit weiter massiv verschärft und sind für militärische Aufrüstung weltweit über eine Billion Dollar ausgegeben worden, mehr als die Hälfte davon allein von den USA. Es wäre an der Zeit, dass sich die Bewegungen für Klimaschutz, Naturschutz, gegen atomare Aufrüstung, für soziale Gerechtigkeit, für die Rechte von Frauen und Kindern und für Schutz und Sicherheit von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen über alle Grenzen hinweg zu einer grossen gemeinsamen Bewegung zur Überwindung des Kapitalismus zusammenschliessen würden, denn alles hängt mit allem zusammen und auch die Bienen allein werden nicht überleben, wenn alles andere rundherum zugrunde geht…

Ein Fernsehgerät für 100’000 Franken

Die neuesten Fernsehgeräte von Samsung mit 65, 75 und 82 Zoll kosten zwischen 5000 und 10’000 Franken, das Gerät mit 98 Zoll belastet das Konto des Käufers sogar mit 100’000 Franken.

(NZZ am Sonntag, 17. Februar 2019)

Man spricht immer davon, wie wichtig es sei, die Armut zu bekämpfen. Mindestens so wichtig wäre es aber, den übertriebenen Reichtum zu bekämpfen. So lange es Menschen gibt, die sich ein Fernsehgerät für 100’000 Franken leisten können, müssen wir uns nicht wundern, wenn eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen. Auf was für verschlungenen und unsichtbaren Wegen auch der Reichtum der einen mit der Armut der anderen zusammenhängt.

Ein 173 Meter hohes Einfamilienhaus

In Mumbai liess sich der indische Ambani-Clan – geschätztes Vermögen: 50 Milliarden Franken – ein 173 Meter hohes Einfamilienhaus errichten. Verteilt auf den 27 Stockwerken des sogenannten «Antilia» findet man mehrere Pools, ein Kino, einen Spa-Bereich und sogar eine Art Kühlkammer, die im brütend heissen Sommer Indiens für Abkühlung sorgen soll. Kostenpunkt für den Prunk-Bau: über eine Milliarde Franken.

(www.blick.ch)

Und das bei über zwei Millionen Obdachlosen in ganz Indien…

Sozialistische Revolution innerhalb des Kapitalismus?

Alexandria Ocasio-Cortez, 29, Anwärterin auf die US-Präsidentschaftswahlen 2020, will nichts weniger als eine «sozialistische Revolution». Und sie stösst mit ihren Forderungen bei einer breiten Bevölkerung auf Anklang. So etwa stimmen ihrer Forderung, Reiche mit einem Einkommen von über 10 Millionen Dollar mit 70 Prozent zu besteuern, 59 Prozent der US-Amerikaner und -Amerikanerinnen zu. Weiter fordert AOC, wie Alexandria Ocasio-Cortez von ihren Fans genannt wird, der Staat solle bis 2030 den Ausstoss von Treibhausgasen auf netto null reduzieren. Dazu müsse die gesamte Energieerzeugung, der Verkehr und die Landwirtschaft von Grund auf umgebaut werden. Der Staat müsse Mindestlöhne anheben, die Universität unentgeltlich machen, ein öffentliches Gesundheitssystem einführen sowie ein bedingungsloses Grundeinkommen auszahlen. Diese Forderungen lösten bei vielen Demokraten Schockwellen aus, nicht zuletzt wegen der Kosten, welche diese Massnahmen erfordern würden und sich gemäss der Agentur Bloomberg auf jährlich 8000 Milliarden Dollar beziffern würden. AOC musste aufgrund dieser Reaktionen ihr Programm wieder aus dem Netz nehmen. Entschuldigend meinte sie, es sei ja bloss der «Beginn eines Dialogs».

(NZZ am Sonntag, 17. Februar 2019)

Das Programm von AOC löst bei vielen Demokraten «Schockwellen» aus und AOC muss beschwichtigen: Das alles sei ja bloss der «Beginn eines Dialogs». Dass die von AOC geforderten Massnahmen Kosten von 8000 Milliarden Dollar verursachen würden, was aller Voraussicht nach nicht finanzierbar wäre, zeigt, wie eng der Spielraum «sozialistischer» Ideen innerhalb eines kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ist. Logischerweise also müsste AOC nicht weniger fordern, sondern mehr: Sie müsste nicht bloss die Zähmung des kapitalistischen Raubtiers fordern, sondern dessen Überwindung. Zumindest bei den 18- bis 29Jährigen wäre sie mit dieser Forderung in bester Gesellschaft, kann doch eine Mehrheit dieser Altersgruppe – aus einer Umfrage des Jahres 2011 – dem Begriff «Sozialismus» mehr abgewinnen als dem Begriff «Kapitalismus».

Das wahre Wesen des Kapitalismus

«Die globale Architektur muss die sozioökonomischen Probleme und Sorgen angehen, die viele Leute in der unteren Mittelklasse der entwickelten Länder haben.»

(Michael Mazarr, Strategieforscher beim US-Thinktank Rand, in: Tages-Anzeiger, 15. Februar 2019)

Mit anderen Worten: Der globalisierte Kapitalismus muss verhindern, dass es der unteren Mittelklasse in den «entwickelten» immer schlechter geht. Was aber ist mit der «Unterschicht» der «entwickelten» Länder, den Tiefstlohnarbeitenden, Arbeitslosen, Ausgesteuerten, Sozialhilfebezügern? Und was ist mit den Menschen in den «unterentwickelten» Ländern? Sie alle scheinen in diesem Kalkül der «globalen Architektur» keine Rolle zu spielen und sind sozusagen inextitent. Damit entlarvt der Kapitalismus sein wahres Wesen: Es geht ihm nicht um das Wohl der Menschen – denn hierzu müsste er sich um das Wohl jedes einzelnen Menschen kümmern -, es geht ihm einzig und allein um seine eigene Machterhaltung – die eben nur so lange gewährleistet ist, als die Mehrheit der Menschen in den reichen Ländern des Westens und des Nordens keinen Anlass hat, das herrschende – kapitalistische – Machtsystem in Frage zu stellen.

(Übrigens: Begriffe wie «globale Architektur» tönen zwar gut, verschleiern damit aber die tatsächlichen Machtverhältnisse: Unsere Welt wird nicht von einer «globalen Architektur» beherrscht, sondern vom kapitalistischen Machtsystem, welches auf der Ausbeutung der Armen und Arbeitenden durch die Reichen und Besitzenden beruht.)

«Im Jugendidealismus erschaut der Mensch die Wahrheit»

Alt-Nationalrat Franz Steinegger kann den Klimastreiks von Schülerinnen und Schülern durchaus Sympathien entgegenbringen. Aber, gibt er zu bedenken, der wichtigste Teil komme erst noch. Jetzt ginge es nämlich darum, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern auch praktikable Lösungsvorschläge zu präsentieren.

(Diskussionssendung «Arena» des Schweizer Fernsehens SRF1 am 15. Februar 2019)

Genau so läuft es. Hier die Jugendlichen, die in ihrer ganzen Ehrlichkeit, ihrem grenzenlosen Idealismus und in ihrer unendlichen Sehnsucht nach Gerechtigkeit am liebsten die ganze Welt auf den Kopf stellen würden. Dort die Erwachsenen, die das zwar ein bisschen bewundern, dann aber so schnell wie möglich zu Vorsicht ermahnen und den Jugendlichen auf die Schultern klopfen: Ist ja gut und recht, aber mit dem Idealismus allein kommt ihr nirgends hin, es braucht die politische Knochenarbeit und diese wiederum erfordert Geduld, Durchhaltewillen und Kompromissbereitschaft. Würden die Jugendlichen diesen Rat befolgen, dann wäre das wohl früher oder später das Ende dieses Aufbruchs, dieses Aufschreis, den wir in diesen Tagen zehntausendfach auf unseren Strassen erleben. Die Bewegung wäre versickert, vom System aufgesogen, in der täglichen parteipolitischen «Knochenarbeit» zerrieben. Gewiss braucht es auch «Realisten» und «Pragmatiker». Doch auch wenn manche dieser jungen Menschen den Weg der «Knochenarbeit» wählen, braucht es die anderen, die an ihrem unverbrüchlichen Idealismus und an ihren noch so «weltfremden» Sehnsüchten festhalten, umso mehr. Denn, wie der berühmte Urwalddoktor Albert Schweitzer sagte: «Im Jugendidealismus erschaut der Mensch die Wahrheit. Mit ihm besitzt er einen Schatz, den er gegen nichts austauschen soll.»