Archiv des Autors: Peter Sutter

Arbeit auf Abruf: Und das im reichsten Land der Welt

Die 28-jährige Portugiesin C. lebt seit eineinhalb Jahren in der Schweiz. Sie reinigt Wohnungen, Treppen, Eingangsbereiche privater Häuser. Der Mindeststundenlohn gemäss Gesamtarbeitsvertrag beträgt 18.80 Franken. Bei der erlaubten Höchstarbeitszeit von 42 Stunden macht das bescheidene 3158 Franken pro Monat. «Wie viele Stunden ich im Monat arbeite, ist völlig unterschiedlich», sagt C. «Ich weiss es nie im Voraus.» Ihr Chef informiere sie immer erst am Abend vorher oder sogar am Morgen früh per Telefon oder SMS, wo sie sein müsse. Und: «Er sagt oft zwei Stunden vorher die Arbeit wieder ab, die er mir vorher zugesagt hat, und zahlt dafür keinen Lohn. Es kam sogar schon vor, dass er mich morgens um fünf Uhr anrief, dass ich um 7 Uhr nicht kommen müsse.» Da war sie manchmal schon auf dem Weg zur Arbeit – und erhielt trotzdem keinen Lohn. Auch rechnete der Arbeitgeber die Reisezeiten von einem Kunden zum anderen nicht als Arbeitszeit an. «Ich habe praktisch kein Privatleben. Ich kann keine Freundschaften pflegen, nichts abmachen.» Noch schlimmer sind die finanziellen Folgen: In schlechten Monaten kann sie kaum ihre festen Kosten zahlen. «Ich muss mich stark einschränken, sogar beim Essen.» Kino, Theater, der ersehnte Deutschkurs – all das liegt nicht drin. C. ist desillusioniert: «Ich dachte immer, in der Schweiz sei alles gut organisiert, und die Regeln würden eingehalten. Jetzt habe ich ein anderes Bild.» C. ist mit ihrem Schicksal nicht allein. Unsichere Arbeitsverhältnisse, die zu wenig Lohn zum Leben bringen, nehmen in der Schweiz zu. Das zeigt eine Studie, die das Forschungsunternehmen Ecoplan Ende 2017 im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft veröffentlicht hat. Noch 2010 waren 100’000 Personen in einem prekären Arbeitsverhältnis. Bis 2016 war diese Zahl auf 113’000 angestiegen. Prekäre Arbeitsverhältnisse finden sich vor allem im Gastgewerbe, im Immobiliensektor und bei den sonstigen Dienstleistungen. Dazu zählt das Reinigungsgewerbe. Ein besonderes Problem besteht bei der Reinigung von Hotels. M., eine Spanierin, die in einer grossen Hotelkette in Zürich arbeitet, sagt: «Oft werden wir aufgeboten, aber wenn die Gäste die Zimmer noch nicht verlassen haben, können wir nicht anfangen mit Putzen. Manchmal müssen wir zwölf Stunden vor Ort sein, bezahlt ist aber nur die Hälfte, also dann, wenn wir tatsächlich putzen.»

(Sonntagszeitung, 5. Mai 2019)

Und das im reichsten Land der Welt…

Denkverbote und Gesinnungsterror wie einst in der DDR

Kevin Kühnert, Chef der deutschen Jusos, forderte unlängst in einem Interview mit der «Zeit», Grossunternehmen müssten dem Staat übergeben werden. Eine Kollektivierung von Unternehmen wie zum Beispiel BMW sei auf demokratischem Weg anzustreben. Die Verteilung der Profite müsse demokratisch kontrolliert werden, dies schliesse aus, dass es dann noch einen kapitalistischen Eigentümer eines Betriebs gebe. Zudem fordert Kühnert die Enteignung von Wohnungsbesitzern, niemand dürfe mehr Wohnraum besitzen, als er selber bewohne. Die Empörung über Kühnerts Forderungen ist quer durch alle Parteien gross. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU nennt Kühnerts Thesen ein «verschrobenes Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten.» Aber auch zahlreiche Mitglieder der Mutterpartei SPD lassen an Kühnerts Positionen keinen guten Faden. Michael Frenzel, Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, fordert sogar den Parteiausschluss Kühnerts.

(www.welt.de)

Wo das Verrückte «normal» ist – der Kapitalismus mit all seinen zerstörerischen Auswirkungen auf Mensch und Natur -, da wird eine Stimme der Vernunft als «verrückt» erklärt. Ist das nicht Gesinnungsterror, sind das nicht Denkverbote, die kein bisschen weniger schlimm sind als jene in der damaligen DDR, die genau von den gleichen Politikern, die heute das Hohe Lied auf den Kapitalismus singen, so vehement als das Reich des «Bösen» angeprangert wird. Kann heute wirklich allen Ernstes noch jemand behaupten, es solle alles am besten so weitergehen wie bisher, nämlich auf dem kapitalistischen Weg der Selbstzerstörung? Sind nicht Menschen wie Kevin Kühnert, die sich die Freiheit herausnehmen, aus den gängigen Denkschablonen auszubrechen und frei zu denken, das Wichtigste auf dem Weg und in den Übergang in eine neue, bessere Zeit? Denn wer etwas Neues wagen will, muss dieses Neue zuerst einmal denken und ihm Sprache verleihen. Danke, Kevin Kühnert, für deinen Mut. Mögest du, wie Greta Thunberg, zum Vorbild werden für Abertausende andere.

Entwicklungshilfe: «hart erarbeitetes Geld»

Diskussionssendung «Arena» vom 3. Mai 2019 am Schweizer Fernsehen zum Thema «Zu viel Geld für die arme Welt?». Es geht um die vom Bundesrat vorgeschlagenen 3 Milliarden Franken Entwicklungshilfe für die nächsten vier Jahre. Zu viel, meint die SVP und möchte den Betrag reduzieren. SVP-Nationalrat Thomas Aeschi: «Das ist Geld, das von den Schweizern und Schweizerinnen hart erarbeitet wurde. Statt es irgendwo in die Welt hinauszuschicken, würden wir es besser für die Sicherung unserer Altersvorsorge verwenden.»

Thomas Aeschi und seinen Gesinnungsgenossen scheint es entgangen zu sein, dass die heutigen Verhältnisse – hier das reiche Europa, dort das arme Afrika – nichts anderes sind als die Folge von 500 Jahren Kolonialismus und wirtschaftlicher Ausbeutung. So lange nämlich schon rackern sich die Menschen in Afrika buchstäblich zu Tode, um jene Bodenschätze aus der Erde zu holen und jene Lebensmittel anzupflanzen und zu ernten, die sodann in die reichen Länder des Nordens verfrachtet werden und eben dazu geführt haben, dass die dereinst armen Länder des Nordens zu den reichsten Ländern wurden, während umgekehrt das von Klima und Naturschätzen gesegnete Afrika zum Armenhaus der Welt wurde. Wenn wir heute über drei Milliarden Franken Entwicklungshilfe diskutieren, dann handelt es sich um eine winzige, kaum nennenswerte Wiedergutmachung eines jahrhundertalten Verbrechens. Und wenn Leute wie Aeschi so tun, als sei dieses Geld ein «Geschenk» der «Fleissigen» an die «Faulen», dann ist es doch in Tat und Wahrheit genau umgekehrt: Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass der Räuber einen winzigen Teil seiner Beute dem Beraubten wieder zurückgibt und erst noch die Frechheit besitzt, dass der Beraubte dafür dankbar sein müsse. Wenn uns dann die Statistik noch sagt, dass die Schweiz, immerhin das reichste Land der Welt, erst an achter Stelle der Geberländer – gemessen an ihrem Bruttosozialprodukt – steht und wenn man noch daran denkt, dass dieses Land nächstens Kampfflugzeuge für acht Milliarden Franken anschaffen möchte, dann ist da schon einiges in Schieflage geraten….

Honduras: Kaffeeplantagen vom Klimawandel betroffen

Das Leben als Bauer in Honduras war nie einfach. In jüngster Zeit verstärkt eine neue Bedrohung den Teufelskreis aus Armut, einer pflichtvergessenen Regierung und schwankenden Preisen für Agrarprodukte: Der Klimawandel zerstört ganze Kaffeeplantagen. Darüber sind sich auch Klimawissenschaftler einig. Steigende Temperaturen, extremere Wetterphänomene, unvorhersehbare Wettermuster wie der Ausfall von Regen oder Starkregen zu aussergewöhnlichen Zeiten, stören den Wachstumszyklus der Kaffeesträucher und fördern die Ausbreitung von Krankheiten. Ganze Ernten werden vernichtet, die Bauernfamilien stehen vor dem Nichts, viele suchen ihr Heil in der Flucht über die US-amerikanische Grenze. Zentralamerika leidet besonders stark unter dem Klimawandel. Und da ein grosser Teil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, laut Weltbank sind es 28 Prozent, ist die Lebensgrundlage von Millionen Menschen gefährdet.

(www.infosperber.ch)

 

So viel zum Thema Klimawandel. Genügt das immer noch nicht, um auch noch dem letzten Skeptiker die Augen zu öffnen?

 

 

Drei Wege zur Überwindung des Kapitalismus

Fakt ist, dass sich der Kapitalismus nur unter der Bedingung von mehr oder weniger konstantem Wachstum stabilisieren kann. Die kapitalistische Marktwirtschaft basiert auf der Konkurrenz derer, die die Produktionsmittel besitzen. Diese Konkurrenz resultiert in der Notwendigkeit, immer mehr Profit zu generieren – also Kapital anzuhäufen – damit ein Teil davon wieder in die Optimierung des Produktionsprozesses und der Produktivität investiert werden und so dem Unternehmen gegenüber der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann. Dieser Druck, immer mehr Kapital zu akkumulieren, führt, neben der Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter, auch unweigerlich zum Zwang, kontinuierlich mehr Produkte und Dienstleistungen zu produzieren und zu verkaufen. Der Kapitalismus muss also immer mehr produzieren, um zu überleben. Dabei spielen die Bedürfnisse der Menschen keine Rolle: Wenn die Bedürfnisse befriedigt sind, müssen künstlich neue geschaffen werden, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Die Konsequenz dieser Dynamik ist, dass die zur Waren- und Dienstleistungsproduktion benötigten Rohstoffe und Energiequellen immer intensiver ausgebeutet werden müssen, was – wie inzwischen offensichtlich ist – zu einem Ausmass von Naturzerstörung führt, das nicht nur die Existenzbedingungen des Kapitalismus, sondern auch jene der Menschen und des Planeten selbst erodiert.

(Michael Tulpe und Xavi Balaguer in: «antikap»  Nr. 9, Frühling 2019)

Es gibt, wenn die Menschheit überleben will, keine Alternative zur Überwindung des Kapitalismus. Doch auf welchem Wege soll diese erfolgen? Drei Szenarien sind vorstellbar: Entweder bildet sich eine neue, globale, antikapitalistische Partei, die in allen Ländern die absolute Mehrheit der Parlamentssitze anstrebt, damit die neue Weltordnung länderübergreifend umgesetzt werden kann. Oder man lässt den Dingen ihren Lauf, bis das kapitalistische System an seinen eigenen Widersprüchen zerbricht – die Folgen dieses Szenarios könnte allerdings eine historische Phase des Chaos, der Gewalt und der Zerstörung sein, bevor aus den Trümmern des Alten etwas Neues entstehen könnte. Oder, drittes Szenario, die Menschen solidarisieren sich über alle geografischen, religiösen, sozialen und nationalen Grenzen hinweg in der Erkenntnis, dass wir alle im gleichen Boot sitzen und nicht gegeneinander, sondern nur miteinander eine von Grund auf neue Weltordnung aufbauen können. Es liegt auf der Hand, dass dieses dritte Szenario den beiden anderen vorzuziehen ist: So wie die nachkapitalistische Zukunftsvision eine Vision von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden ist, so soll auch der Weg dorthin ein Weg der Menschlichkeit, Gerechtigkeit und des Friedens sein. Anstelle der bisherigen – kapitalistischen – Machtverhältnisse sollen nicht neue – nichtkapitalistische – Machtverhältnisse treten, sondern eine Überwindung sämtlicher Machtverhältnisse zwischen Menschen und Menschengruppen, sämtlicher Ausbeutung von Menschen durch Menschen, sämtlicher Unterdrückung von Menschen durch Menschen. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Wohnungsnot in Deutschland: «Man fühlt sich so alleine gelassen»

Ca. 420’000 Menschen in Deutschland, doppelt so viele wie vor zehn Jahren, haben keine Wohnung. Zehn Prozent von ihnen sind berufstätig. Die Wohnungsmieten haben sich in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich verdoppelt. Eine dieser 420’000 Menschen ist die 49jährige Corinna. «Ich arbeite sehr hart», sagt sie, «und ich habe in meinem Leben immer schon sehr viel gearbeitet.» Corinna hat eine Stelle als Reinigungskraft bei der Deutschen Bahn und verdient 1300 Euro. Dass sie keine Wohnung hat, belastet sie Tag und Nacht: «Ich schäme mich, fühle mich wie ein anderer Mensch. Meine Kollegen waren geschockt, als ich ihnen sagte, dass ich jetzt in einem Wohnheim bin. Man fühlt sich so alleine gelassen.» Trotz Überstunden bleibt am Ende zu wenig für eine Wohnung auf dem freien Immobilienmarkt: «Die Wohnungen sind einfach zu teuer. Wenn die Miete 800 Euro kostet, was bleibt mir da noch zum Leben.» Corinna hat grosse Angst, auf der Strasse zu landen und vielleicht sogar noch den Job zu verlieren: «Das kann ganz schnell gehen.» Die Wohnsituation im Heim, zuerst als Notlösung gedacht, ist zu einem belastenden Dauerzustand geworden. Auf Corinnas Etage wohnen weitere acht Frauen. Dusche und Toilette teilen sie sich: «Mir fehlt die Privatsphäre. Zickenkrieg. Neid. Missgunst. Das ist das Schlimme. Und es ist immer Lärm. Das ist einfach kein Zuhause.» Corinnas Dilemma: Für eine Wohnung auf dem freien Immobilienmarkt verdient sie zu wenig, für eine Sozialwohnung hingegen zu viel. «Ich verdiene mein Geld hart», sagt Corinna, «und ich denke, mir müsste eigentlich eine Wohnung zustehen, ich zahle auch jeden Monat Steuern, und nicht zu wenig, jeder hat doch das Recht auf Wohnen.»

(Fernsehen ZDF, «37°», 30. April 2019)

Wie heisst es so schön: Der freie Markt erfüllt die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen, indem er für jede Nachfrage ein passendes Angebot schafft. Schön wäre es. In der Realität aber ist es genau umgekehrt: Überlässt man die sozialen und wirtschaftlichen Abläufe dem freien Markt, dann entfernen sich Angebot und Nachfrage immer weiter auseinander und selbst in einem so «fortschrittlichen» Land wie Deutschland werden immer häufiger nicht einmal mehr die elementarsten Lebensbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger erfüllt. Höchste Zeit für einen radikalen Kurswechsel, weg vom Kapitalismus mit seiner unersättlichen Profitgier, hin zu einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem an erster Stelle die soziale Gerechtigkeit und die Gesundheit, das Wohlergehen, das Selbstwertgefühl und die elementaren Lebensbedürfnisse der Menschen stehen…

Gewerkschaften als Feigenblatt des Kapitalismus

Unter dem Motto «Mehr zum Leben» begeht der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB den diesjährigen Tag der Arbeit. «Zusammenstehen und gemeinsam kämpfen zahlt sich gerade bei den Löhnen direkt aus«, liest man im Aufruf des SGB zum 1. Mai: «In den letzten zwanzig Jahren ist es uns Gewerkschaften gelungen, die untersten Löhne deutlich anzuheben». Tatsächlich aber sind die Gehälter 2018 zwar um 0,5 Prozent gestiegen, doch die Teuerung hat diesen Zustupf in den meisten Branchen in eine reale Lohneinbusse verwandelt. Der durchschnittliche Reallohnverlust aller Arbeitnehmenden beträgt 0,4 Prozent, in einzelnen Branchen bis zu 1,4 Prozent! Die Schuld an dieser Entwicklung sehen die Gewerkschaften allein bei den Arbeitgebern und fordern diese auf, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Aufschwung der Schweizer Wirtschaft, die sich weiterhin auf Expansionskurs befinde, angemessen teilhaben zu lassen.

(W&O, 1. Mai 2019)

Dass die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen nicht erfolgreicher sind und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmer nun schon im zweiten aufeinanderfolgenden Jahr eine Reallohneinbusse in Kauf nehmen müssen, ist leicht zu erklären. Löhne sind nichts anderes als das Resultat des betriebswirtschaftlichen Gewinnstrebens des einzelnen Unternehmens oder des einzelnen Betriebs. Schuld an den tiefen Löhnen sind deshalb nicht die «bösen» Arbeitgeber. Schuld ist das kapitalistische Wirtschaftssystems, das auf der Ausbeutung der arbeitenden Menschen beruht zum Zweck der endlosen Gewinnmaximierung. Dabei stehen die Betriebe und Unternehmen in einem permanenten gegenseitigen Konkurrenzkampf – kein Arbeitgeber könnte es sich zum Beispiel leisten, die Löhne der am wenigsten Verdienenden in einer Firma zu verdoppeln. Seine Firma wäre sogleich vom Feld des gegenseitigen Konkurrenzkampfs weggepustet. Deshalb können auch die Gewerkschaften keine Wunder bewirken – so lange sie nicht radikal die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems anstreben. Vielleicht käme es sogar rascher zu fundamentalen Veränderungen, wenn es die Gewerkschaften in ihrer heutigen gemässigten Form als reines Feigenblatt das Kapitalismus gar nicht mehr gäbe und die Ohnmacht der am meisten Ausgebeuteten in eine echte Revolution zur grundlegenden Überwindung der heutigen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse umschlagen würde.

Kreuzfahrtschiffe: Arbeitszeiten von 95 Stunden oder mehr

Die Arbeitsbedingungen auf den meisten Kreuzfahrtschiffen sind katastrophal: Stress, überlange Arbeitszeiten, geringer Lohn. «Im Vertrag war die Rede von 48 bis 72 Stunden pro Woche», berichtet Petru Sinescu, ehemaliger Kellner auf einem Schiff der Viking Cruises, einer Schweizer Reederei mit Sitz in Basel, «doch wir arbeiteten 95 Stunden und mehr. Man versprach mir 3000 Euro im Monat, aber auch das war nicht wahr. Ich erhielt bloss 950 Euro. Wir waren erschöpft, müde, gereizt, kein Lachen, alle waren am Rennen, von einem Ort zum andern.»

(Schweizer Fernsehen SRF1, «Eco», 29. April 2019)

Das Kreuzfahrtschiff als Abbild der kapitalistischen Klassengesellschaft. Ob, auf dem Deck, sitzen die feinen Damen und Herren und lassen es sich wohl ergehen. Ihren Reichtum, der ihnen die Kreuzfahrt überhaupt erst möglich macht, verdanken sie alle, auf welchen Wegen auch immer, dem kapitalistischen Grundprinzip, wonach sich das Geld dorthin bewegt, wo es bereits in grosser Menge vorhanden ist – während es sich von den Orten, wo es bereits Mangelware ist, weiter und weiter fortbewegt. Und das ist dann eben die andere Seite der kapitalistischen Medaille: Je unverschämter die oben auf dem Deck prassen, um ihr überschüssiges Geld loszuwerden, umso schmerzvoller und erniedrigender der Alltag jener, die rund um die Uhr für das Wohl der feinen Damen und Herren besorgt sein müssen. Das zutiefst Ungerechte daran ist, dass es sich hier um eine Art doppelter Ausbeutung handelt: Zuerst schafft das kapitalistische Geldsystem und die mit ihm verknüpften Umverteilungsmechanismen eine Pyramide, auf deren obersten Etagen sich Millionen von Reichen und Reichsten tummeln, während die auf den untersten Etagen Leben nichts anderes kennen als den knallharten täglich Kampf ums nackte Überleben. Die zweite Ausbeutung besteht darin, dass diejenigen, die man beraubt hat, nun ihrerseits gezwungen sind, denen, die sie beraubten, als Sklaven zu dienen und sich die unmenschlichsten Arbeitsbedingungen gefallen lassen zu müssen. Die Arroganz der «Oberen» geht sogar so weit, dass die meisten von ihnen vermutlich noch davon überzeugt sind, dass die «Unteren» doch dankbar sein müssten, überhaupt einen Job zu haben und Geld zu verdienen, das sie die «Oberen», «grosszügigerweise» zur Verfügung stellen.

CO2-Ausstoss von E-Autos

Die Ökobilanz von E-Autos sorgt dieser Tage in Deutschland wieder einmal für Gesprächsstoff: Laut einer Studie des Kölner Physikprofessors Christoph Buchal seien strombetriebene Fahrzeuge nur auf dem Papier besser fürs Klima. Werden in der Rechnung auch die Herstellung der Akkus sowie der deutsche Strommix miteinberechnet, würden E-Autos 11 bis 28 Prozent mehr CO2 ausstossen als ein vergleichbarer Diesel.

(www.blick.ch)

Und da ist die Herstellung des Autos noch nicht einmal einberechnet! Nein, es gibt zum Verzicht auf das private Motorfahrzeug schlicht und einfach keine Alternative, alles andere ist Augenwischerei. Man kann nicht den Klimawandel stoppen wollen und gleichzeitig nicht bereit sein, auf bisherige Annehmlichkeiten zu verzichten. Millionen von Europäern und Europäerinnen beweisen schon heute, dass ein Leben ohne Auto möglich ist und ebenso viel, wenn nicht sogar noch mehr echte Lebensqualität bietet. Haben wir keine Privatautos mehr, sparen wir Unsummen von Geld, die in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs investiert werden könnten…

Sudan: Die Zukunft ist weiblich

Seit mehreren Monaten demonstrieren in der sudanesischen Hauptstadt Khartum Zehntausende gegen die Regierung. Die Bewegung feierte vor zwei Wochen einen ersten grossen Erfolg, als der langjährige, verhasste Machthaber Al-Bashir von der Armee abgesetzt wurde. Doch die Demonstranten und Demonstrantinnen geben sich damit nicht zufrieden und gehen weiterhin täglich auf die Strasse. Sie fordern den Rücktritt der gesamten Regierungselite und einen demokratischen Neubeginn. Hauptgründe für die Aufstände sind die jahrelange Unterdrückung, insbesondere der Frauen, die wirtschaftliche Misere und die weit verbreitete Armut – jeder zweite Sudanese muss mit weniger als einem Franken pro Tag auskommen, der Brotpreis hat sich innert weniger Wochen verdoppelt und selbst die Grundnahrungsmittel sind so teuer, dass sie für die Ärmsten beinahe unerschwinglich sind. Hoffnungsträgerin und Ikone des Widerstands ist die 22jährige Architekturstudentin Alaa Salah. «Der Sudan», sagt sie, «sollte ein demokratisches Land werden, in dem die Menschen frei und stolz leben können.» So charismatisch und populär Alaa Salah ist, so bescheiden ist sie zugleich: «Ich bin nur eine von vielen. Bevor ich bekannt wurde, war ich mit ihnen auf der Strasse, am Singen und Protestieren.» Die Hoffnungen auf eine neue Zeit sind riesig. «Ich wünsche mir», sagt eine der Demonstrantinnen, «dass wir eine bessere Zukunft haben, die Zukunft, von der wir immer geträumt haben.» Und, bezogen auf Alaa Salah, meint die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri: «Asaa transportiert unsere Revolution in die Welt hinaus.»

(Schweizer Fernsehen SRF1, «10vor10», 25. April 2019)

Ist das der Beginn jener Revolution, von der wir schon so lange träumten? Oder hat sie schon mit dem von Greta Thunberg initiierten Klimastreik angefangen? Oder findet sie soeben in den USA statt, wo sich immer mehr junge Menschen zum Sozialismus und damit zu einem radikalen politischen Neubeginn bekennen? Wie dem auch sei: Die Zeichen sind unverkennbar. Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir ohne Übertreibung vom Beginn eines neuen Zeitalters sprechen können – genau so, wie es die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri prophezeit: Asaa Salah werde die sudanesische Revolution in die ganze Welt hinaustragen. Was – durch den Wahnsinn des Kapitalismus – aus dem Lot geraten ist, muss wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Und dass es überall an vorderster Front die Frauen sind, die nun das Szepter in die Hand nehmen, ist ebenfalls kein Zufall: Der Kapitalismus war ein Projekt der Männer. Die Zukunft aber ist weiblich…