Archiv des Autors: Peter Sutter

Eine Welt ohne Menschen

Im Basler Haus der elektronischen Künste zeigen gegenwärtig Künstler und Künstlerinnen ihre Visionen von künstlicher Intelligenz. Besondere Aufmerksamkeit erregt ein von Anna Dumitriu entworfener Roboter, der die Form einer Kugel hat, der sich mithilfe von fadenförmigen Fortsätzen in einer Flüssigkeit nach allen Seiten hin- und herbewegt. «Dieser Roboter», so die Künstlerin, «verfügt über künstliche Intelligenz, das heisst, er lernt von seiner Umgebung und verändert laufend seine Bewegungen. Er könnte eine Lebensform sein für die Zukunft, ein Roboter mit einer Art menschlichen Bewusstseins. Der könnte weiterleben in einer Welt ohne Menschen, nach dem Klimawandel.»

(Tagesschau, SRF1, 11. Mai 2019)

Schöne neue Welt. Eine Welt, in der nur noch Künstliche Intelligenz an die frühere Existenz von Menschen erinnert. Wäre es nicht sinnvoller, Künstlerinnen und Künstler würden eine Welt erdenken, in der Menschen auch noch in 100 oder 1000 Jahren leben können?

Der Mensch – ein soziales Wesen

Allen Unkenrufen zum Trotz ist der Mensch kein Homo oeconomicus, sondern mit einem faszinierenden Gerechtigkeitsgefühl gesegnet. Lange Zeit ging man davon aus, dass Kinder erst im Alter von sechs oder sieben Jahren infolge der Erziehung ein Gefühl für Gerechtigkeit entwickeln. Tatsächlich zeigen aber eine Reihe neuerer Experimente, dass klare Anzeichen von fairem Verhalten deutlich früher auftreten. Schon im Windelalter zeigen Kleinkinder ein Empfinden für Gerechtigkeit, wenn 6 bis 10 Monate alte Kinder in einem Experiment Puppen zum Spielen bevorzugen, die einer anderen Puppe geholfen hatten. Den Unterschied zwischen einer fairen und einer unfairen Verteilung erkennen Kleinkinder schon im Alter von 15 Monaten, wie Studien zeigen. Auch die Bereitschaft der Kleinkinder, ihr Verhalten nach ihrem Gerechtigkeitsempfinden auszurichten, zeigt sich früh. Der Harvard-Professor Felix Warneken führte ein beeindruckendes und ausgefeiltes Experiment durch, um den Gerechtigkeitssinn und die damit zusammenhängende Bereitschaft zu teilen zu testen. Zwei dreijährige Kinder zogen gemeinsam an einem Seil, um ein Brett heranzuholen und so an ein Spielzeug oder an Süßigkeiten in einer durchsichtigen Box zu gelangen. Ein Kind alleine hatte hierzu nicht ausreichend Kraft. Nachdem die Kinder erfolgreich waren und die Box bei ihnen angekommen war, gab es manchmal darin zwei Löcher und manchmal nur eines, sodass regelmäßig ein Kind in der Versuchung war, sich die Belohnung alleine zu sichern. Doch fast immer teilten die Kinder den Fund gerecht auf. Felix Warneken kommentiert dieses Ergebnis: «Wir waren überrascht, dass diese Regel so strikt war, dass Gleichheit so stark bevorzugt wurde. Es war selten der Fall, dass ein Kind alles nahm und das andere Kind zu sagen hatte: ‚Hey, das ist nicht fair.‘» Manchmal machte sogar ein Kind seinen Partner darauf aufmerksam, wenn er nicht seinen Teil genommen hatte. Auf eine andere Weise prüfte ein raffiniertes Experiment des Forscherteams um Katharina Hamann vom Max-Planck-Institut in Leipzig, ob Kinder freiwillig auf den eigenen Vorteil zugunsten einer gerechten Verteilung verzichten: Zwei Dreijährige erhielten nach einer gemeinsamen Arbeit drei Belohnungen, wobei ein Kind zwei und das andere nur eine bekam. Das übervorteilte Kind müsste also nun ein Opfer bringen, um eine tatsächlich faire Verteilung der Belohnungen zu gewährleisten. Fast immer teilte das von Glück begünstigte Kind mit dem glücklosen Kind! In einem weiteren Experiment verzichteten sechs achtjährige Kinder lieber auf eine Belohnung und warfen sie weg, um zu vermeiden, dass eine ungleiche Verteilung entstand, auch wenn sie selbst diese zusätzliche Belohnung erhalten hätten. Und zuletzt ein faszinierendes Experiment des Forscherteams um Katharina Hamann, welches das sehr ausgeprägte Gefühl von Fairness und Gerechtigkeit demonstriert: Zwei dreijährige Kinder sollten dabei gemeinsam eine Holzlatte eine Treppe hinauftragen, um jeweils eine Belohnung zu erhalten. Das Besondere hierbei war jedoch, dass die Vorrichtung so konstruiert war, dass eines der Kinder schon deutlich früher seine Belohnung erhalten konnte, während das andere Kind noch die restlichen Treppenstufen hinaufsteigen musste. So gut wie alle Kinder halfen jedoch weiter, damit auch der Partner die Belohnung erhalten konnte. Drei Viertel der Kinder halfen sogar sofort, ohne erst zu der Maschine zu gehen, wo ihre Belohnung sie erwartete. Summiert man diese Experimente, lässt sich festhalten: Das Verhalten des Kindes findet in den Denkfiguren des Homo oeconomicus schlicht nicht statt. Kleinkinder sind keine «unbeschriebenen Blätter», sondern von Natur aus offenbar mit einem beeindruckenden Gerechtigkeitsgefühl gesegnet.

(www.heise.de)

Auch die afrikanischen Urvölker verhielten sich so, bevor ihr Kontinent von den Weissen erobert wurde: Wenn man von der Jagd ins Dorf zurückkam, wurde die erlegte Beute gleichmässig auf alle Dorfbewohner verteilt, diejenigen, welche mehr Beute als andere erlegt hatten, bekamen den genau gleich grossen Anteil des Fleisches. Dies und die oben beschriebenen Beispiele von Experimenten mit kleinen Kindern zeigen, dass der Kapitalismus mit seiner Betonung des Konkurrenzkampfs, des Egoismus und des Macht- und Ausbeutungsverhaltens des Einzelnen gegenüber den anderen ganz und gar nicht, wie immer wieder behauptet wird, in der Natur des Menschen liegt. Wenn das nämlich so wäre, dann wäre der Mensch von Natur aus auf seine Selbstzerstörung programmiert. Es geht also, bei der Überwindung des Kapitalismus und dem Aufbau einer neuen, menschen- und naturgerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht so sehr darum, künstlich etwas Neues zu erfinden und dem Menschen aufzuzwingen, sondern, im Gegenteil, bloss das wieder freizulegen, was seit Urzeiten in seinem innersten Wesen immer schon vorhanden war

 

 

 

Archie Harrison Mountbatten-Windsor: 1 Million für ein Baby

Die Welt ist um ein Royal-Baby reicher. Gestern wurde der kleine Archie Harrison Mountbatten-Windsor das erste Mal von seinen stolzen Eltern Prinz Harry (34) und Herzogin Meghan (37) der Öffentlichkeit präsentiert. Doch auch wenn der royale Wonneproppen erst am Sonntag das Licht der Welt erblickt hat, kostete Archie seine Eltern schon über eine Million Franken. «The Sun» hat ausgerechnet, wie viel Geld die Schwangerschaft von Mama Meghan kostete – und kam dabei umgerechnet auf rund 914’200 Franken. Doch wie setzt sich diese atemberaubende Summe zusammen? Einen der wohl teuersten Aspekte der Schwangerschaft mussten die Royals glücklicherweise nicht ganz selbst bezahlen. Im Februar reiste die Herzogin nach New York, um mit ihren amerikanischen Freunden eine sogenannte Baby Shower, also eine Party zu Ehren des ungeborenen Kindes, zu feiern. Dort dinierten sie in den teuersten Restaurants im Big Apple und liessen es in der grössten Suite des Luxus-Hotels The Mark so richtig krachen. Die Rechnung für die eigentliche Feier, umgerechnet rund 76’000 Franken, soll allerdings Meghans beste Freundin, Tennis-Star Serena Williams (37) übernommen haben. Trotzdem soll der Kurz-Trip etwa 203’000 Franken gekostet haben….  Für die Baby-Feier reiste die sonst so Klima-bewusste Meghan stilecht im Privat-Jet an. Dafür soll eine Freundin von ihr 76’000 Franken aus eigener Tasche bezahlt haben…  Vor der Geburt des kleinen Archie zogen Meghan und Harry vom Buckingham Palast in das nahe gelegene Frogmore Castle. Dort richteten sie ein luxuriöses Kinderzimmer ein und setzten dabei voll auf Umweltfreundlichkeit. So sollen laut einem Insider Solarzellen den Strom liefern und die Wände wurden nur mit «veganer Farbe» gestrichen. Kostenpunkt: 66’200 Franken…  Auch hochschwanger war Herzogin Meghan immer perfekt gestylt. Während ihre Royal-Kollegin Herzogin Kate (37) manchmal auch auf Mode von Grossverteiler wie H&M setzt, trägt die US-Amerikanerin nur Kleider von Luxus-Designern. So kommt ein ordentliches Sümmchen zusammen. Die Umstandsmode von Dolce & Gabbana, Manolo Blahnik oder Versace soll laut «Glamour»-Magazin 509’000 Franken gekostet haben. Wenigstens wäre Meghan schon für eine zweite Schwangerschaft eingedeckt… Kurz vor der Geburt gönnten sich Meghan und Harry noch ein entspannendes Wochenende in Heckfield Place, einem Luxus-Spa in Hampshire (England). Das Fünfsterneresort bietet Massagen, Akupunktur-Sitzungen und Gesichts-Peeling. Alles für einen Spottpreis von 40’000 Franken für drei Übernachtungen… Eigentlich soll Herzogin Meghan eine Hausgeburt geplant haben. Am Sonntag Abend mussten sie und Prinz Harry aber trotzdem von Scotland-Yard-Agenten in das Portland-Spital in London gebracht werden. Die Luxus-Geburtenklinik ist beliebt bei den Reichen und Berühmten – Stars wie Victoria Beckham (45), Liz Hurley (53) oder Jools Oliver (44), die Frau von Promi-Koch Jamie (43) brachten dort ihre Kinder auf die Welt. Doch Annehmlichkeiten wie Champagner nach der Geburt oder ein Hummer-Menu kommen mit einem hohen Preis. Die eigentliche Geburt vom kleinen Archie soll 20’000 Franken gekostet haben.

(www.blick.ch)

Und das in einer Welt, in der jeden Tag 10’000 Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben, weil sie zu wenig zu essen oder kein Trinkwasser haben oder ihnen die minimalsten hygienischen Bedingungen fehlen…

Lohn und betriebswirtschaftliche Rentabilität

«Für uns Bäuerinnen geht es zum Beispiel um die Lohnfrage. Wir müssen sagen: Für unsere Arbeit steht uns eine Bezahlung zu. Das ist wichtig als Form der Anerkennung – und auch für die soziale Absicherung der Bäuerinnen. Aber es ist schwierig. In der Landwirtschaft gibt es nicht viel zu verdienen. Wie soll da noch ein zusätzlicher Zahltag ausbezahlt werden?»

(Alice Glauser, Bäuerin und SVP-Nationalrätin, in: Tages-Anzeiger, 10. Mai 2019)

Die Höhe eines Lohns hängt wesentlich mit der betriebswirtschaftlichen Rentabilität eines Unternehmens zusammen. Ein Landwirtschaftsbetrieb erzielt nun mal nicht den gleichen Gewinn wie eine Bank, ein Frisiersalon nicht den gleichen Gewinn wie ein Pharmakonzern, ein Restaurant nicht den gleichen Gewinn wie ein IT-Unternehmen. Heisst das nun, dass sich Bäuerinnen, Serviceangestellte, Köche, Friseusen und Verkäuferinnen auf Gedeih und Verderb mit Niedrigstlöhnen – im Fall der Bäuerinnen sogar mit Nulllöhnen – zufrieden geben müssen? Keineswegs. Es müsste ein Finanzinstrument ausgleichender Gerechtigkeit geschaffen werden, vergleichbar mit dem interkantonalen Finanzausgleich, mit dem finanzschwächere Kantone durch die finanzstärkeren durch entsprechende Beitragszahlungen unterstützt werden. Also eine Art Fonds, in den Betriebe mit hoher Rentabilität Beiträge einzahlen, die dann den Betrieben mit niedrigerer Rentabilität zugute kämen. Ein landesweiter Akt der Solidarität. Und ein Ende dieser unermesslichen Ungerechtigkeit, dass ausgerechnet jene, welche am härtesten arbeiten und das geringste gesellschaftliche Ansehen geniessen, zugleich auch jene sind, die am wenigsten verdienen.

Generalstreik 2019

Unvorstellbar, was Solidarität alles bewirken könnte. Alle, die weniger als 5000 Franken pro Monat verdienen, müssten in einen landesweiten Generalstreik treten. Ei, würde das schnell gehen. Die Wirtschaft und die öffentlichen Dienste drohten, innerhalb weniger Tage in sich zusammenzubrechen, ein Chaos unbeschreiblichen Ausmasses würde sich abzeichnen. Um das abzuwenden, wären alle Mittel recht, um an das fehlende Geld zu gelangen und allen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen einen Minimallohn von 5000 Franken zu garantieren. Man könnte das Geld zum Beispiel bei den 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizern holen – ihr Gesamtvermögen, auf die gesamte Bevölkerung verteilt, beträgt pro Kopf nicht weniger als 79’400 Franken. Oder man könnte es, wenn das noch nicht genügen würde, bei all jenen holen, die pro Monat mehr als 6000 Franken verdienen. Weitere Geldquellen wären aufzuspüren, der Phantasie wären keine Grenzen gesetzt. Und dann, wenige Tage später, würde alles wieder funktionieren, der Kehricht würde wieder abgeführt, die Kassen in den Supermärkten wären wieder besetzt und auch die Gestelle würden wieder aufgefüllt, auch auf den Feldern und in den Fabriken würde wieder gearbeitet. Hotels und Restaurants wären wieder in Betrieb, in den Spitälern, Pflegeheimen und Altersheimen würde man sich wieder um die Alten und Kranken kümmern. Alles wäre wieder wie vorher. Doch nicht ganz: Denn es gäbe ab sofort in der ganzen Schweiz keinen Lohn mehr unter 5000 Franken.

Kündigung per SMS

Diese Woche erhielten 13 Frauen, die beim Onlinehändler Zalando in Arbon als Packerinnen tätig waren, ihre Kündigung innerhalb von fünf Tagen. Die Frauen, die für Zalando zu einem Stundenlohn von 23 Franken gearbeitet hatten, konnten es nicht fassen. Sie erhielten die Kündigung nicht in Briefform, auch nicht mündlich, sondern – per SMS! Mit einem SMS, das nicht einmal eine persönliche Anrede enthielt, sondern den einzigen Satz: «Hiermit kündigen wir Ihren Einsatz auf Freitag, den 10. Mai 2019.» Ohne Erklärung, ohne Begründung, ohne Entschuldigung, ja selbst ohne ein «Es tut uns leid, dass…»

(www.20minuten.ch)

Man stelle sich einmal vor, man würde einer Ärztin, einem Abteilungsleiter in einem Supermarkt oder einem Lehrer in dieser Form kündigen, einfach so per SMS und ohne Erklärung. Unvorstellbar! Das Beispiel zeigt, dass wir, auch wenn wir auf unsere Schweizer Demokratie noch so stolz sind, in unseren Köpfen doch immer noch zutiefst in einer Klassengesellschaft leben. In einer Klassengesellschaft, in der Packerinnen eines Onlinehändlers auf einem der untersten Ränge leben, dort, wo man mit den Menschen fast alles machen kann, was man will: sie härteste körperliche Arbeit zu Tiefstlöhnen verrichten lassen, ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, sie mit engen Zielvorgaben permanent unter zeitlichen Druck und Stress setzen und ihnen, sobald es sie nicht mehr braucht oder wenn sie der immensen Belastung nicht mehr gewachsen sind, per SMS auf die Strasse werfen.

Arbeitsverhältnisse dürfen keine Machtverhältnisse sein. Jeder und jede Beschäftigte hat den gleichen Anspruch auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und – in letzter Konsequenz – den gleichen Lohn. Denn keine berufliche Tätigkeit kann funktionieren ohne alle anderen. Auch ein so mächtiger Konzern wie Zalando baut seinen ganzen Reichtum und seinen ganzen Erfolg auf denen auf, die ganz unten sind. Würden die Packerinnen, Fabrikarbeiterinnen und Transporteure ihren Dienst versagen, würde das ganze Unternehmen innerhalb weniger Sekunden in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Wenn schon, müssten die Packerinnen mehr verdienen als die in der Administration und auf den Chefetagen Tätigen. Denn es ist wohl um einiges anstrengender, von früh bis spät Pakete herumzuschleppen und retournierte Artikel zu reinigen, als vor einem Computer zu sitzen und Telefonanrufe zu beantworten…

Konkurrenzprinzip auf die Spitze getrieben

12’000 Chinesinnen und Chinesen reisen in verschiedenen Gruppen an sechs Tagen in der Schweiz herum und besuchen ihre Wunschdestinationen, teilt Luzern Tourismus mit. Die Touristen sind Angestellte der amerikanischen Firma Jeunesse Global, eines weltweit tätigen Unternehmens mit Hauptsitz in Florida. Dieses hat seine erfolgreichsten Verkäuferinnen und Verkäufer in China zu einer «Belohnungsreise» eingeladen.

(Tages-Anzeiger, 9. Mai 2019)

Höchstwahrscheinlich haben all jene Angestellten, die zuhause bleiben mussten, ebenfalls ihr Bestes gegeben. Wenn sie «faul» wären, dann wären sie nämlich gar nichts erst angestellt bzw. bereits wieder entlassen worden. So funktioniert das kapitalistische Konkurrenzprinzip: Alle geben ihr Bestes, alle strengen sich an, alle wollen erfolgreich sein, doch nur die Besten werden belohnt, durch Anerkennung, durch Lob, durch Geschenke, durch Boni, durch höhere Löhne, durch beruflichen und sozialen Aufstieg, usw. Und weil jeder hofft, selber eines Tages zu den Besten und Erfolgreichsten zu gehören, ist er bereit, auch noch so grosse Strapazen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Das Gleiche im Spitzensport, wo sich junge Menschen über Jahre härtesten Trainings buchstäblich körperlich ruinieren, am Ende des Tages aber doch nur ein paar wenige von ihnen auf dem Podest stehen. Das Gleiche in der Schule, die ebenfalls einem Wettlauf gleicht, bei dem sich alle aus Leibeskräften die beste Mühe geben, am Ende aber wiederum nur ein par wenige mit guten Noten, Anerkennung und Lob dafür belohnt werden. Die grosse Widersprüchlichkeit des Konkurrenzprinzips besteht darin, dass die «Guten» nur deshalb «gut» sein können, weil die «Schlechten» «schlecht» sind. In die Schweiz reisen zu können, macht die 12’000 Chinesen und Chinesinnen nicht zuletzt deshalb stolz, weil alle übrigen Angestellten der Firma nicht mitreisen dürfen. Der Podestplatz im Kunstturnen ist nur deshalb so begehrt, weil er von allen anderen Konkurrentinnen und Konkurrenten nicht erreicht wurde. Die gute Note in der Schule hat nur deshalb einen so hohen Stellenwert, weil sie von den meisten Mitschülerinnen und Mitschülern nicht erreicht wurde. Mit anderen Worten: Die «Verlierer» bezahlen mit ihren Strapazen, ihren Enttäuschungen und ihren Misserfolgen den Erfolg und den Triumph der «Gewinnerinnen» und «Gewinner». Würden aber, wenn man das Konkurrenzprinzip abschaffen würde, die Menschen immer noch so viel leisten wie im heutigen kapitalistischen System, in dem sich alle gegen alle in einem permanenten Wettstreit befinden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nur einen Blick auf die ersten Lebensjahre des Menschen werfen. Kinder leisten in dieser Zeit eine unglaubliche Lernarbeit, sie sind dabei zugleich äusserst effizient und äusserst erfolgreich. Nie geht es dabei darum, dass ein Kind besser oder schneller sein möchte als ein anderes. Der Motor zur Leistung kommt aus seinem Allerinnersten, der Mensch will arbeiten, will tätig sein und braucht hierfür keine Konkurrenten und Konkurrentinnen. Und so würde wohl auch die Arbeitswelt bestens funktionieren, wenn alles auf Kooperation statt auf Konkurrenz aufgebaut wäre. Es würden dann nicht mehr die 12’000 «tüchtigsten» Angestellten der Firma Jeunesse Global in die Schweiz reisen, sondern es würden alle Angestellten ein Wochenende in einem chinesischen Wellnesshotel geschenkt bekommen…

Kapitalistisches Einheitsmenu

Allmählich begeben sich die schweizerischen politischen Parteien auf ihre Startpositionen für das Rennen in die Parlamentswahlen vom Oktober dieses Jahres. Doch was läuft hier eigentlich ab? So gross die Unterschiede zwischen den einzelnen Parteiprogrammen auf den ersten Blick scheinen mögen, so klein sind sie bei näherer Betrachtung. Denn alle Parteien – von der SVP bis zur SP – bewegen sich auf dem Boden und im Denkgerüst des Kapitalismus, keine der Parteien stellt den Kapitalismus grundsätzlich in Frage, auch nicht die SP, die zwar die «Überwindung des Kapitalismus» in ihr Parteiprogramm aufgenommen hat, in ihrer Alltagspolitik aber kaum etwas davon spüren lässt. Und so müssen wir uns schon fragen, ob man das Ganze noch wirklich als echte Demokratie bezeichnen kann. Denn in einer echten Demokratie müsste man nicht nur über die kleinen, sondern vor allem auch über die grossen Fragen debattieren können. Zum Beispiel über die Frage, ob wir weiterhin in einem kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem leben wollen oder nicht. Diese und viele, viele weitere Fragen, die damit zusammenhängen, bleiben aus der politischen Diskussion ausgeklammert und so wird sich, ganz unabhängig davon, wie viele Prozentpunkte die einzelnen Parteien in den Wahlen erreichen werden, an den bestehenden Verhältnissen kaum etwas Grundsätzliches ändern. In dieser Demokratie, die eigentlich eine Scheindemokratie ist, die so tut, als hätten wir eine echte Auswahl, während in Tat und Wahrheit die verschiedenen Parteien doch nichts anderes sind als einzelne Fraktionen einer grossen kapitalistischen Einheitspartei.

Ein Fass voller Löcher

Nicht nur in der Schweiz wird fleissig gebaut, auch weltweit entstehen ständig neue Städte, Strassen, Flughäfen oder künstliche Inseln. Für all das wird Sand gebraucht, denn der Rohstoff ist Hauptbestandteil in Beton, Asphalt und Glas. Weil der Bauboom gigantisch ist, wird auch gigantisch viel Sand verbraucht. Bis zu 50 Milliarden Tonnen sind es weltweit in nur einem einzigen Jahr, schätzen die Experten der UNO-Umweltbehörde. Jedes Jahr steigt der Verbrauch um weitere 5.5 Prozent. Ein Beispiel ist Singapur: Der ehrgeizige Stadtstaat hat seine Landfläche in den letzten 60 Jahren um ein Viertel vergrössert und will weiter wachsen. Treibstoff des Baubooms ist Sand.

Den Sand hat das Land selbst nicht. Das hat Singapur zum grössten Sandimporteur der Welt gemacht. Das Problem ist nur, dass der Rohstoff endlich ist. Zwar gibt es in Wüsten mehr als genug der feinen Körner, doch Wüstensand ist zu rund, zu wenig griffig und daher für den Bau unbrauchbar. Es bleibt nur der Sand, den Flüsse und Küsten zu bieten haben, doch der wird langsam knapp. Die Natur kommt mit der Produktion nicht mehr nach. Die Folgen des Abbaus können dramatisch sein. In Marokko beispielsweise haben Schmuggler nach Angaben der UNO-Umweltbehörde den Sand an einem Küstenstreifen schon so weit abgetragen, dass nur noch Steine übriggeblieben sind. Für den Tourismus ist die Region somit verloren. Der Abbau von Dünen an Meeresküsten führt auch zu mehr Überschwemmungen. Und am Fluss Mekong trägt der Sandabbau in Laos, Thailand oder Kambodscha schon jetzt dazu bei, dass das riesige Flussdelta in Vietnam abgetragen wird. Dadurch geht fruchtbares Land für den Reisanbau verloren, der Millionen von Menschen ernährt.

Doch weil der Rohstoff Sand begehrt und die Regulierung vielerorts schwach ist, geht der Raubbau weiter. Die UNO wirbt nun für internationale Regeln, die den Abbau begrenzen. Sie appelliert an Bauunternehmen, nach Ersatzstoffen zu suchen, Asche etwa oder Sägemehl. Denn sonst sei der ganze Fortschritt buchstäblich auf Sand gebaut.

(www.srf.ch)

Das dramatische Beispiel zeigt, dass alles, was eine noch so «grüne» Politik im Köcher hat, viel zu kurz greift. Förderung erneuerbarer Energien, CO2-Abgaben auf Flugtickets, Elektromobile statt Benzinautos, Recycling von Rohstoffen, Fleisch aus tiergerechter Haltung – alles gut und recht, aber wirksam aufhalten lässt sich damit die kapitalistische Zerstörungswut nicht im Entferntesten. Es ist wie ein Fass voller Löcher: Ist das eine Loch gestopft, fliesst das Wasser bei den anderen Löchern nur umso stärker heraus. Was wir brauchen, sind nicht Pflästerli, um die einzelnen Löcher zu stopfen – diesen Wettlauf würden wir nie gewinnen. Was wir brauchen, ist ein neues Fass, sprich: eine neue Wirtschaftsordnung, die sich den Gesetzen der Natur und der Erde unterwirft. Genau so, wie wir das, wären wir nicht so überheblich, von den alten Kulturvölkern, welche Tiere und Pflanzen als höchste Gottheiten verehrten, hätten lernen können…

«Unser Sicherheitsnetz ist fast zum Zerreissen gespannt.»

680 Wirbeltierarten sind seit dem Jahr 1500 ausgestorben – aufgrund menschlicher Aktivitäten. Bis zu einer Million weitere Spezies von Tieren und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht, sie könnten teilweise bereits innert der nächsten Jahrzehnte verschwinden. Urbane Flächen haben sich seit 1992 mehr als verdoppelt, und jedes Jahr gelangen zwischen 300 und 400 Millionen Tonnen Schwermetalle, Lösungsmittel, giftige Rückstände und andere Abfälle aus Industrieanlagen ins Wasser. Global erreichen 80 Prozent der Abwässer ungereinigt die Natur, über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind verschwunden: Das sind nur einige der erschreckenden Zahlen, mit denen der erste globale Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES aufwartet. Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild. «Die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und jene der Ökosysteme nimmt rasch ab, ebenso wie viele fundamentale Leistungen, die wir von der Natur beziehen», fasst Sandra Díaz von der Universidad Nacional de Córdoba in Argentinien einige seiner Kernaussagen zusammen. «Unser Sicherheitsnetz ist fast zum Zerreissen gespannt.» Es braucht, so das Fazit der Fachleute, einen grundlegenden Wandel in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um Biodiversität und die Leistungen der Natur für den Menschen – und damit unsere Zukunft – zu sichern.

(www.nzz.ch)

Kein Wunder, ist von verschiedensten Seiten immer wieder die Forderung zu vernehmen, wir sollten keine Kinder mehr in die Welt setzen, da sie ohnehin keine Zukunft mehr hätten. Tatsächlich braucht es eine Unmenge an Optimismus, um angesichts solcher Katastrophenmeldungen nicht in eine bodenlose Resignation zu verfallen. Und dennoch, trotz allem: Resignation hat nur da ihren Platz, wo wir nicht mehr an etwas anderes zu glauben wagen als an die Fortsetzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das uns mit seiner unersättlichen Profitgier und seinem sinnlosen Wachstumswahn überhaupt erst an diesen Punkt gebracht hat, an dem wir uns heute befinden. Es ist genau so, wie es der oben zitierte Bericht des Weltbiodiversitätsrats sagt: Es braucht einen grundlegenden Wandel in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, um die Zukunft der Menschheit zu sichern. Vielleicht die grösste Herausforderung, vor der die Menschheit jemals gestanden ist. Der Beginn eines neuen Zeitalters. Das Ende des Kapitalismus. Alles andere wäre tatsächlich nichts anderes als eine Bankrotterklärung des Menschen.

 

Das Arte