Archiv des Autors: Peter Sutter

Einheitslohn: «völlig einleuchtend und völlig überzeugend»

«Siehst du», sagte ich, «das war schon bei den afrikanischen Ureinwohnern so, bevor die Weissen kamen: Tagsüber ging man auf die Jagd. Die einen erlegten mehr Tiere, die anderen weniger, die Dritten gar keine. Aber am Abend, wenn das Feuer brannte, teilte man die ganze Beute gleichmässig auf alle Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes auf, egal, ob sie viel, wenig oder gar nichts gejagt hatten. Das ist doch nichts anderes als ein Einheitslohn. Übertragen auf eine nationale Gemeinschaft wie die Schweiz würde das heissen: Alle geben ihr Bestes, von der Putzfrau über den Schuhverkäufer bis zur Ärztin und zum Rechtsanwalt. Dabei wird ihre Beute sehr unterschiedlich sein, je nach Sparte und Branche, je nach betriebswirtschaftlichem Erfolg, je nach Wertschöpfung. Aber am Ende des Tages könnten doch alle ihre Beute zusammentragen und alles Erbeutete gleichmässig unter alle verteilen. Das wäre der Einheitslohn. Tönt doch logisch, oder nicht?» – «Absolut logisch, einleuchtend und völlig überzeugend», sagte S., die bisher zur zugehört hatte. «Aber es wird sich niemals realisieren lassen, davon bin ich zutiefst überzeugt.»

Wie war das mit dem Frauenstimmrecht? Mit der Abschaffung der Sklaverei? Mit dem Verbot der Kinderarbeit? Gab es da nicht auch genau die gleichen Stimmen, die das alles total überzeugend und einleuchtend fanden, dennoch nicht an eine Realisierung glaubten? Und was ist mit den Atomwaffen? Und überhaupt mit Waffen? Seltsam, technisch und wissenschaftlich befindet sich die Menschheit auf einem Niveau, von dem frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten. Gesellschaftliche Visionen dagegen, die auch nur ein klein wenig über das Althergebrachte und Gewohnte hinausgehen, lösen bloss Skepsis und Kopfschütteln aus. Weshalb eigentlich? Wo klemmt es?

Unten gibt es eine Kommentarspalte. Mich würde extrem wundernehmen, was die Leser und Leserinnen meines Blogs zur Idee eines Einheitslohns meinen.

Carola Rackete: Verkehrte Welt

In der Nacht auf den 29. Juni durchbricht Carola Rackete, die junge deutsche Kapitänin des Flüchtlingsschiffs Sea-Watch 3, nach einem langen Patt mit 40 Migranten die Hafenblockade in Lampedusa. Der Notstand an Bord sei nach siebzehn Tagen auf See untragbar geworden, so Rackete. Es sei zu befürchten gewesen, dass sich einige ihrer Passagiere aus Verzweiflung das Leben nehmen würden. Darum habe sie beschlossen, ohne Erlaubnis in den Hafen zu fahren. Unmittelbar darnach wird Carola Rackete verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Nun wartet sie auf den Bescheid aus dem zuständigen Gericht von Agrigent. Bereits angeklagt ist sie für mögliche «Begünstigung der illegalen Einwanderung», ein Vergehen, das nach italienischem Recht mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Zudem riskieren Rackete und die Sea-Watch 3 eine Geldstrafe von bis zu 50’000 Euro, weil sie das Anlegeverbot missachtet haben. Sollte hingegen im besten Falle am Ende nichts an Rackete hängen bleiben, könnte sie immer noch des Landes verwiesen werden. Für fünf Jahre könnte der italienische Innenminister Salvini die Kapitänin aus Italien verbannen – «aus Gründen der nationalen Sicherheit».

(Tages-Anzeiger, 1. Juli 2019)

Seit 500 Jahren ist Afrika jeden Tag ein bisschen ärmer geworden, damit Europa ein bisschen reicher werden konnte. Endlos ist die Geschichte von den Gemetzeln an der afrikanischen Urbevölkerung, von der Versklavung unzähliger Millionen von Afrikanern und Afrikanerinnen, von der gnadenlosen Ausbeutung afrikanischer Bodenschätze und der millionenfachen Abholzung der afrikanischen Wälder. Mit dem, was der europäische Mensch dem afrikanischen Menschen im Laufe dieser Zeit angetan hat, könnte man nicht bloss ganze Bücher, sondern sogar ganze Bibliotheken füllen. Und obwohl alle diese Verbrechen, all dieser Völkermord, die Plünderei und die Versklavung eines ganzen Kontinents durchaus mit den Greueln des Nationalsozialismus zu vergleichen sind, hat, was die Ausplünderung Afrikas betrifft, nie auch nur ansatzweise eine so umfassende historische Aufarbeitung und Wiedergutmachung stattgefunden, wie dies beim Nationalsozialismus der Fall ist. Weshalb? Weil das nationalsozialistische Machtsystem zusammenbrach und es einen radikalen Neuanfang gab, während die Ausbeutung Afrikas nie ein Ende gefunden hat, sondern auch in unseren Tagen nahezu ungehindert weitergeht. Nur so ist die Absurdität zu erklären, dass man einerseits all jene Menschen, welche der jüdischen Bevölkerung während der Nazizeit zur Seite standen oder ihnen zur Flucht aus Deutschland verhalfen, heute als Heldinnen und Helden feiert, während man eine junge deutsche Kapitänin, die genau das Gleiche tut – nur dass es diesmal keine Juden sind, sondern Afrikanerinnen und Afrikaner -, ins Gefängnis wirft….

Die heutige Wirtschaftsordnung: Im 19. Jahrhundert steckengeblieben

Der Meeresspiegel steigt, die Gletscher schmelzen, das Klima wird extremer. Christian Mumenthaler, Chef des Rückversicherers Swiss Re, der jedes Jahr Milliarden bezahlt für Schäden durch Waldbrände, Wirbelstürme, Überschwemmungen und dergleichen: «Der Klimawandel ist ein grosses Problem für die Menschheit». Eine andere Sprache spricht freilich der kürzlich veröffentlichte «BP Statistical Review of World Energy 2019», der jüngste Weltenergiebericht des Ölkonzerns BP. Die Daten zeigen für das vergangene Jahr das stärkste Wachstum des globalen Energiekonsums (+2,9 Prozent) seit 2010. Das ist fast doppelt so stark wie der Durchschnitt der vergangenen sechs Jahre (+ 1,5 Prozent) und bedeutet auch, trotz Zuwächsen bei den erneuerbaren Energien, mehr CO2. Laut BP-Chef Bob Dudley gibt es «wenig Zweifel, dass das gegenwärtige Tempo des Fortschritts nicht im Einklang steht mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens». Was ist vergangenes Jahr punkto Energie passiert? Die Erdölförderung und der Erdölverbrauch haben jeweils historische Höchstmengen erreicht. Allein die USA haben ihre Förderung um ein Sechstel ausgeweitet. Ähnlich sieht es aus bei der Erdgasgewinnung. Neben den USA weiteten hier auch Russland und der Iran die Produktion deutlich aus. Insgesamt nahmen Gasförderung und Gasverbrauch vergangenes Jahr um jeweils über 5 Prozent zu. Das sind die höchsten Zuwachsraten seit über 30 Jahren. Bei der Kohle lagen 2018 sowohl der Verbrauch (+ 1,4 Prozent) als auch die Förderung (+ 4,3 Prozent) nach drei Jahren des Rückgangs zum zweiten Mal in Folge über den Vorjahreswerten. Die Konsequenzen bei den CO2-Emissionen sind die gleichen wie in den Vorjahren. 2018 wurden insgesamt 33’685 Millionen Tonnen CO2 neu in die Atmosphäre ausgestossen. Das sind 645 Millionen Tonnen oder annähernd 2 Prozent mehr als im Vorjahr, es ist der grösste Zuwachs seit sieben Jahren und beinahe die Hälfte mehr als der Durchschnitt der sechs Jahre davor (+ 1,4 Prozent). Das entspricht den CO2-Emissionen, wenn man die Zahl der Autos auf der Erde um ein Drittel erhöhen würde. Der BP-Chefökonom Spencer Dale schreibt: «Es besteht ein wachsendes Missverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Forderungen nach Massnahmen gegen den Klimawandel und dem tatsächlichen Tempo des dabei erzielten Fortschritts.»

(W&O, 29. Juni 2019)

Politiker, Politikerinnen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen in wachsender Zahl zur Überzeugung, dass es mit der Energieverschwendung, dem Rohstoffverschleiss, dem CO2-Ausstoss und anderen Bedrohungen des Ökosystems nicht mehr lange so wie bisher weitergehen kann, ausser man setzt das Überleben der Menschheit in 50 oder 100 Jahren ganz bewusst aufs Spiel. Doch trotz aller Erkenntnis: Die kapitalistische Profit- und Wachstumsmaschine brummt ungestört weiter, und sogar noch ungehemmter und schneller denn je. Wir scheinen es mit einem goldenen Käfig zu tun zu haben, den wir uns selber gebaut haben und aus dem wir aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden. Selbst der BP-Chefökonom signalisiert diese Doppelbotschaft, diese selbst auferlegten Zwänge, diese Zerrissenheit zwischen Einsicht und Handeln, indem er von einem «wachsenden Missverhältnis» zwischen diesen beiden Polen spricht. Im Klartext: Lassen wir diesen kapitalistischen Motor weiterbrummen – und sein Tempo wird naturgemäss immer weiter zunehmen -, dann ist die Aussicht auf ein Überleben späterer Generationen äusserst gering. Sollen wir warten, bis wir am Abgrund stehen? Oder nicht gescheiter jetzt schon damit beginnen, die bestehende profit-, konkurrenz- und wachstumsorientierte Wirtschaft nach und nach in eine Wirtschaft des Teilens, der Kreisläufe, der Bescheidenheit und des Gemeinwohls umzuformen? Im Bereich der Technik und Forschung befinden wir uns schon bald im 22. Jahrhundert, so rasant folgt eine Neuerung der nächsten. Im Bereich der Wirtschaft dagegen sind wir noch im 19. Jahrhundert steckengeblieben. Diese ungeheure Diskrepanz gilt es wettzumachen, indem alle Phantasie, Kreativität und Erfindungsgabe der Menschen über alle Grenzen hinweg dazu aufgebracht werden müsste, um unsere Wirtschaftsordnung in der Weise umzubauen, dass sie nicht nur die Bedürfnisse der heutigen Menschen erfüllt, sondern zugleich auch die Bedürfnisse der Erde, der Natur, der Tiere und der zukünftigen Generationen…

Früh übt sich: Lohnunterschiede je nach Lehrberuf

Tiefe Lehrlingslöhne werden in Liechtenstein vor allem Coiffeusen (durchschnittlich 476 Franken in drei Lehrjahren), Bekleidungsgestalterinnen (623 Franken), Wohntextilgestalterinnen (633 Franken), Kosmetikerinnen (650 Franken) sowie Drogistinnen (762 Franken) bezahlt. Spitzenlöhne verzeichnen hingegen Berufe in der Baubranche wie zum Beispiel Grundbauer (1660 Franken). Weitere gut bezahlte Lehrberufe sind Landwirt (1133 Franken), Hotelfachmann und Koch (beide 1033 Franken) oder Fleischfachmann (991 Franken).

(Wirtschaftregional, 29. Juni 2019)

Man beachte: Mit tiefen Lehrlingslöhnen müssen sich vor allem Frauen abfinden. Männliche Lehrlinge verdienen in typischen «Männerberufen» bis zu fast viermal so viel! So werden die jungen Berufsleute schon ganz von Anfang an daran gewöhnt, in eine Arbeitswelt hineinzuwachsen, in der dann bis zum äussersten Exzess die Bestverdienenden – wiederum vorwiegend Männer – bis dreihundert mal mehr verdienen als die am schlechtesten Verdienenden. Was für eine grenzenlose Ungerechtigkeit. Ich bin fast ganz sicher, würde man ein fünfjähriges Kind, das von alledem noch nichts weiss, fragen, was ein «gerechter» Lohn sei, dann würde das Kind wohl sagen, alle müssten gleich viel verdienen. Denn jede und jeder trägt einen unverzichtbaren Teil am gesamten Funktionieren der Gesellschaft bei. Mehr zur Idee eines Einheitslohns hier: https://www.petersutter.ch/2018/12/was-ist-ein-gerechter-lohn.html

«Die Dynamik des Profits muss durch die Freude an der Dienstleistung ersetzt werden.»

Vor 22 Jahren feierte der damalige Migros-Chef Peter Everts den Kauf der Warenhauskette Globus als «Meilenstein» in der Firmengeschichte von Migros. Doch das sind längst vergangene Zeiten. Heute hat der Detailhandelsriese Migros mitgeteilt, dass er Globus, der seit Jahren rote Zahlen schreibe, verkaufen wolle. Ebenfalls auf der Verkaufsliste stehen das Möbelhaus Interio und der Dekoartikelverkäufer Depot. Und dies, obwohl Migros 2018 einen Reingewinn von einer halben Milliarde Franken erzielte.

(10vor10, Schweizer Fernsehen, 27. Juni 2019)

Eigentlich wären das ja ideale Voraussetzungen: Migros erzielt einen Jahresgewinn von einer halben Milliarde Franken und könnte sich somit unter seinen zahlreichen Tochterfirmen, die rentabel sind und zu diesem Gewinn beitragen, durchaus auch zwei oder drei Zweige leisten, die negative Zahlen schreiben. Dies umso mehr, als sowohl Globus wie auch Interio und Depot über ein überaus breites, qualitativ hochstehendes und bei der Stammkundschaft sehr beliebtes Angebot verfügen. Das wäre ja Quersubventionierung, werden die Verfechter der «reinen Lehre» der freien Marktwirtschaft ausrufen. Doch was soll an einer solchen Quersubventionierung so schlecht sein? Wenn die Stärkeren die Schwächeren stützen und umgekehrt die Schwächeren von den Stärkeren profitieren – ist dies nicht eine im Grunde geniale Idee, die auch dem ursprünglichen Genossenschaftsgedanken der Migros ganz und gar entsprechen würde? Denn es geht ja nicht nur um die produzierte Ware und die Kundschaft, es geht auch um unzählige Arbeitsplätze, die verloren zu gehen drohen, da es, zumindest im Moment, gar keine potenziellen Käufer für Globus, Interio und Depot zu geben scheint. Logisch, denn wer will schon eine Firma kaufen, die bloss Verluste einfährt. Somit sind die drei «Sorgenkinder» bei der Migros genau am richtigen Platz. Hätten soziale, kulturelle und ethische Kriterien das gleiche Gewicht wie rein ökonomische, dann müsste die Migros stolz darauf sein, drei so traditionsreiche und wertvolle Firmen ihr eigen zu nennen, selbst wenn sie im rein ökonomischen Sinn nicht gewinnbringend sind. Ganz im Sinne des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler, der sagte:

«Die Dynamik des Profits muss durch die Freude an der Dienstleistung ersetzt werden.»

… «dass man Geld nicht essen kann»

Nach drei Jahren mit Überschwemmungen, Wirbelstürmen und Bränden in nie erlebter Intensität wächst auch in den USA unter Politikern und Behörden die Einsicht, dass die Klimakrise kein Zögern mehr erlaubt. Bereits aber stellt sich die bange Frage, ob genügend Mittel für ein Investitionspaket vorhanden sind, um die Küstenregionen von New York bis nach New Orleans abzusichern. Während Grossstädte Notfallpläne und Investitionen von Dutzenden von Milliarden Dollar vorbereiten, dürfte es kleineren, ärmeren Gemeinden schwerfallen, die erforderlichen Dämme und Pumpwerke zu finanzieren… Zu den am stärksten betroffenen Regionen gehören Florida, New York und die Golfküste. Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio legte kürzlich einen Notfallplan mit einem Budget von zehn Milliarden Dollar vor. Geschützt werden soll primär das Finanzzentrum der Wallstreet und der US-Notenbank, und zwar so, dass der südliche Teil von Manhattan mit Erdaufschüttungen um 170 Meter weit ins Meer erweitert wird.

(Tages-Anzeiger, 27. Juni 2019)

Muss es tatsächlich so weit kommen, wie es bereits vor vielen hundert Jahren die Cree-Indianer prophezeit haben? «Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.»

 

Härteste Arbeit trotz brütender Hitze: Das wahre Gesicht des Kapitalismus

Heute Nachmittag: über 38 Grad. Die heissesten Tage seit Jahren. Besonders krass trifft es die Strassenarbeiter. Und ganz schlimm ist es auch für die Dachdecker. «Heute Nachmittag», sagt einer von ihnen, «wird die Temperatur auf dem Dach bis zu 60 Grad ansteigen.» Doch weit und breit nichts von hitzefrei bzw. arbeitsfrei, auch nicht für ein paar wenige Stunden während der allergrössten Hitze.

(Radio SRF1, Nachrichten, 26. Juni 2019)

Hier zeigt der Kapitalismus sein wahres Gesicht. Die Profitmaximierungsmaschine darf keinen Moment stillstehen, im allgemeinen Konkurrenzkampf aller gegen alle gibt es keine Pausen. Wer das Tempo nicht mithält, bleibt gnadenlos auf der Strecke. Dabei hat die Produktivität über die letzten Jahrzehnte um ein Vielfaches zugenommen – immer weniger Arbeiterinnen und Arbeiter erbringen eine immer grössere Leistung. Doch nichts davon scheint bei den Arbeiterinnen und Arbeitern anzukommen, sondern landet in immer grösserem Umfang in den Taschen der Reichen und Reichsten, aufgerechnet bei denen, die jetzt in klimatisierten Büros und Sitzungszimmern sitzen, während sich jene, die diesen Mehrwert und diese Profite überhaupt erst erwirtschaften, unter der brütenden Hitze mit härtester Arbeit zu Tode quälen.

Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte

«Aber wir Jusos haben auch einen grossen Vorteil. Wir können sicher sein, auf der richtigen Seite zu stehen. Denn es kann nicht sein, dass Menschen verhungern, wenn andere Millionen verdienen. Dass wir daran glauben, dass die Welt anders sein könnte, als sie heute ist, macht uns stark. Das ist, was uns von all den Politikern mit ihren abgedroschenen Parolen unterscheidet: unser Glaube an die Veränderung. Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte.»

(Tamara Funiciello, ehemalige Juso-Präsidentin, TAM 23. Juni 2019)

Danke, Tamara, für diese klaren Worte. Dank dir und vielen, vielen weiteren Jusos, die den Glauben an die Überwindung des Kapitalismus noch nicht aufgegeben haben, können wir unseren schweizerischen Politapparat immer noch als Demokratie bezeichnen. Gäbe es eure Stimmen nicht, dann wäre nämlich das, was übrig bleiben würde – von der SVP über die CVP bis zur SP – nichts anderes als ein kapitalistischer Einheitsbrei mit einigen geringfügigen Schattierungen und unsere politischen Parteien wären nichts anderes als Fraktionen einer grossen kapitalistischen Einheitspartei. Dass ihr den Mut habt, aus diesem Apparat auszubrechen, gibt tatsächlich Hoffnung, dass die «Welt eines Tages anders sein könnte, als sie heute ist.» Selbst der ehemalige Schweizer Bundesrat Pascal Couchepin sagte, er sei froh, dass es die Jusos gebe. Ihre Visionen seien interessant, das bringe alle weiter. Dieser Austausch zwischen den Generationen sei wichtig…

Armut und Reichtum: Die beiden Kehrseiten der kapitalistischen Medaille

Die Zahl der Millionärshaushalte ist im vergangenen Jahr weiter gewachsen. Weltweit stieg sie laut der Unternehmensberatung Boston Consulting Group um zwei Prozent auf 22,1 Millionen. Zwei

Drittel der Millionäre leben in den USA. Dahinter folgen mit den meisten Millionärshaushalten China (1,3 Millionen), Japan (1,1 Millionen) und die Schweiz (0,5 Millionen). Mit 0,4 Millionen Reichen landeten Grossbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Deutschland auf Platz fünf. Allerdings

dürfte sich das Bild in den kommenden Jahren deutlich verändern. In Asien und in Afrika dürfte die Zahl der Millionäre bis 2023 um zehn Prozent zulegen. In Südamerika um neun Prozent. Weltweit werde die Zahl der Millionäre dann auf 27,6 Millionen zulegen. Drei Promille der Weltbevölkerung besitzen der Studie zufolge etwa die Hälfte des weltweiten Vermögens. Das private Finanzvermögen in Bargeld, Aktien, Wertpapieren und Fonds sei 2018 um 1,6 Prozent auf gut 179 Billionen Euro gewachsen. Angeführt werde die Liste von US-Amerikanern mit 74 Billionen und Chinesen mit 18 Billionen Euro.

(www.nau.ch)

Rufen wir uns in Erinnerung, dass noch auf keinem Baum bis anhin Geld gewachsen ist und auch bis anhin noch nie Geld in einer Tiefseemuschel gefunden wurde, dann bedeutet dies, dass das Geld, welches sich in immer grösserer Menge in den Händen der Reichen und Reichsten befindet, an irgendwelchen anderen Orten fehlen muss. Zum Beispiel bei Millionen von Plantagenarbeitern in Afrika und Südamerika, die als Lohn bloss einen winzigen Bruchteil dessen erhalten, was für die von ihnen geschaffenen Früchte in den Ländern des Nordens bezahlt wird. Zum Beispiel bei Millionen von chinesischen Fabrikarbeiterinnen, die 14 oder 15 Stunden pro Tag bis zur Erschöpfung schuften, um jene Spielwaren und Textilien herzustellen, die in den europäischen und nordamerikanischen Supermärkten zu Spottpreisen verscherbelt werden. Zum Beispiel bei Köchen, Zimmermädchen, Coiffeusen, Verkäuferinnen, Serviceangestellten, Pflegerinnen, die selbst in einem so reichen Land wie der Schweiz von ihrem Land nicht einmal anständig leben können. Reichtum und Armut, die beiden Kehrseiten der kapitalistischen Medaille, unauflöslich miteinander verbunden. Die UNO und zahllose Hilfs- und Entwicklungsorganisationen haben sich die Bekämpfung der Armut auf ihre Fahnen geschrieben. Tatsächlich aber kann die Armut nur dann wirksam bekämpft werden, wenn man gleichzeitig auch den Reichtum mit ebenso grosser Anstrengung bekämpft.

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

Wiedereinführung der PTT?

Die Aufsichtsbehörde Postcom kritisiert monopolähnliche Zustände bei der Post. Private Anbieter wie DHL, Quickmail, FedEx usw. seien gegenüber der Post benachteiligt. Ein Beispiel seien die Postfachanlagen, bei welchen viel zu hohe Preise bezahlt werden müssten. Ebenfalls problematisch seien Briefkästen in Mehrfamilienhäusern, die häufig hinter einer Glaswand angeordnet seien und zu denen nur die Post Zutritt habe. Auch gewähre die Post Grosskunden «kombinierte Rabatte» auf leichte Briefe sowie auf schwere Sendungen und Pakete, was unfair sei, da die Konkurrenz solche Kombirabatte gar nicht anbieten könne, weil sie keine leichten Briefe spedieren dürfe.

(www.srf.ch)

Mir hat noch niemand den tieferen Grund für die Zerschlagung des ehemaligen Monopolbetriebs PTT erklären können. In meiner Erinnerung war die PTT ein durch und durch funktionierendes Unternehmen, mit einer ausgezeichneten flächendeckenden Grundversorgung, fairen Preisen und anständigen Löhnen. Ich sehe nichts, was sich daran seit der Liberalisierung und der Zulassung sich gegenseitig konkurrenzierender Betriebe zum Guten gewendet hätte. Dies scheint auch die grosse Mehrheit der Leserinnen und Leser obigen Artikels so zu sehen: «Einfach nur noch krank», schreibt K.W., «einen gut organisierten und funktionierenden Betrieb zu Gunsten internationaler Abzocker zu riskieren.» Für diesen Kommentar erhielt K.W. 192 Zustimmungen und nur gerade 27 Ablehnungen. Ob die Zeit wohl bald wieder reif ist für die Wiedereinführung der PTT als staatlichem Monopolbetrieb?