Archiv des Autors: Peter Sutter

Soll die Schweiz mehr Drohnen beschaffen statt mehr Kampfflugzeuge? Weitaus gescheiter als eine “Drohnendoktrin” wäre wohl eine umfassende Friedensdoktrin…

ETH-Professor Roland Siegwart zeigt sich in der „Sonntagszeitung“ vom 1. Dezember 2024 erstaunt, dass die Schweizer Armee nicht die Beschaffung von Drohnen anstelle von Kampfflugzeugen geprüft hat, denn aus seiner Sicht werden Drohnen in der zukünftigen Kriegsführung eine viel entscheidendere Rolle spielen als Kampfflugzeuge, da sie viel agiler und zudem weit kostengünstiger sind. Auch der Urner Ständerat Josef Dittli fordert eine umfassende „Drohnendoktrin“, welche sowohl den Angriff wie auch die Verteidigung umfasse, zumal die Schweiz in dieser Technologie führend sei. Er hat deshalb im Parlament einen Vorstoss durchgebracht, mit dem das VBS beauftragt wurde, einen „Drohnenbericht“ auszuarbeiten.

Doch während sich Politiker und Fachleute darüber streiten, welche Waffen in einem zukünftigen Krieg die wichtigere Rolle spielen werden, gäbe es doch noch eine andere Frage, die wohl um einiges wichtiger und entscheidender wäre, nämlich die Frage, ob denn Kriege in Zukunft überhaupt noch ein taugliches Mittel sein können, um Konflikte zwischen Ländern zu lösen. Oder ob es nicht viel zielführender und obendrein noch viel kostengünstiger wäre, überhaupt keine Kriege mehr zu führen, weder mit Drohnen noch mit Kampfflugzeugen. Statt einer „Drohnendoktrin“ würde ich eine „Friedensdoktrin“ vorschlagen und statt einen „Drohnenbericht“ viel lieber einen „Friedensbericht“. Denn es stimmt zwar schon, dass die Schweiz in der Entwicklung von Drohnen führend ist. Aber weitaus erfahrener ist sie, historisch gesehen, auf dem Gebiet der Friedensförderung und der gewaltlosen Konfliktlösung. Und wenn schon alle anderen Länder dem Irrsinn militärischer Hochrüstung hinterherrennen, müsste sich die Schweiz halt umso mehr auf ihre ureigenen Traditionen besinnen und umso stärker ihr ganzes Gewicht und Ansehen in die Waagschale werfen, um dem Krieg als primitivstem Mittel der Konfliktlösung endlich ein Ende zu bereiten. Ob es gelingen würde, weiss niemand. Aber versuchen könnte man es doch wenigstens.

Die “neue Härte” der schweizerischen Asylpolitik: Ein Blick 500 Jahre zurück

Folgender Text ist ein Auszug aus meinem neuen Buch EINE BLUME IN DER NACHT – TAGEBUCH EINER AFGHANISCH-SCHWEIZERISCHEN BEGEGNUNG, in dem ich über meine Erfahrungen mit der “neuen Härte” der schweizerischen Asylpolitik berichte. Das Buch wird anfangs 2025 erscheinen. Mehr Informationen: info@petersutter.ch.

Alles Unheil begann am 12. Oktober 1492. Der Tag, an dem Christoph Kolumbus auf der karibischen Insel Guanahani landete und einen neuen Kontinent «entdeckte». Auf die Entdecker folgten unmittelbar die Eroberer, angelockt durch die sagenhaften Reichtümer Mittel- und Südamerikas: Gold, Silber, Edelsteine, fruchtbare Erde, auf der alles wuchs, was man sich nur erträumen konnte, Zucker, Reis, Baumwolle, Kaffee, Kautschuk, Tabak, Kakao, Gewürze, tropische Früchte aller Art. Es wurde zusammengerafft, was immer sich zusammenraffen liess, und eine endlos wachsende Menge an gewinnbringenden Produkten wanderte auf immer grösseren und zahlreicheren Schiffen zu den europäischen Häfen und Handelsstädten, wo mit dem Weiterverarbeiten, dem Verkaufen und der Vermarktung dieser Waren Reichtum geschaffen wurde, wie ihn die Welt noch nie zuvor gesehen hatte. Doch dies war erst der Anfang. Auf Süd- und Zentralamerika folgten Nordamerika, später Afrika, Indien, Süd- und Ostasien, unzählige Inseln im Pazifik, Australien und Neuseeland. Und zu Spanien und Portugal gesellten sich als weitere Kolonialmächte in der Folge vor allem England und Frankreich hinzu, aber auch Belgien, Holland, Italien, Deutschland und schliesslich auch die USA.

«Terra nullius» nannten die Europäer die von ihnen aufgefundenen Territorien: Niemandsland, das von dem in Besitz genommen und nach Belieben ausgeplündert werden durfte, der es als erster «entdeckt» hatte, denn die, welches es zuvor besessen hatten, waren aus der Sicht der Eroberer gar keine wirklichen Menschen, sondern eher so etwas wie Tiere, die zu beherrschen, zu domestizieren und deren Arbeitskraft bis zur totalen Erschöpfung und frühem Tod auszubeuten ihre neuen Herren und Gebieter geradezu als ihren «göttlichen Auftrag» betrachteten, dem sie so eifrig nachzukommen trachteten, dass sie nicht einmal vor den denkbar unmenschlichsten Grausamkeiten zurückschreckten. Schon fünfjährige Kinder wurden gezwungen, in den Silber- und Goldbergwerken Südamerikas zu schuften und meist eines viel zu frühen Todes zu sterben, wenn nicht durch Erschöpfung, dann durch das Einatmen giftiger Dämpfe, durch Gasexplosionen oder den Einsturz nur ganz notdürftig oder gar nicht gesicherter Schächte. Die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohr-, Tabak- und Kaffeeplantagen waren derart hart, dass dies zu einer massiven Dezimierung der indigenen Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte führte, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Fehl- und Unterernährung immer weiter auszubreiten begannen, dadurch, dass auf den Böden, welche zuvor der Eigenversorgung der einheimischen Bevölkerung gedient hatten, fast nur noch Nahrungsmittel für den Export angebaut werden durften.

Unter den wohl schwersten je zuvor begangenen Menschenrechtsverletzungen wurden, nachdem ein grosser Teil der indigenen Arbeitskräfte in Mittel- und Südamerika weggestorben waren, im Laufe von rund drei Jahrhunderten 15 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner zu Zwangsarbeit auf Plantagen und in Bergwerken in Amerika verdammt, um jene Profite zu erschuften, die ausschliesslich in den Taschen der immer reicher werdenden europäischen Oberschichten landeten. Sklavinnen und Sklaven, die sich den unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu verweigern versuchten, wurden gekreuzigt, mit den Füssen an Bäumen aufgehängt, zu Tode gefoltert oder es wurde ihnen Schiesspulver in den After gestopft, das vor schaulustigen Mengen zur Explosion gebracht wurde.

Was die Spanier und Portugiesen in Mittel- und Südamerika vorgemacht hatten, wurde von den Engländern in Nordamerika weitergeführt, wo innerhalb von hundert Jahren praktisch die gesamte Urbevölkerung ausgerottet wurde. Indien verkam unter britischer Herrschaft durch gnadenlose Ausplünderung seiner natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen innerhalb von hundert Jahren von einem der reichsten zu einem der heute ärmsten Länder der Welt. Ganz Afrika nahmen sich die europäischen Kolonialmächte wie nimmersatte Raubtiere zum Frass vor. Im von Belgien unterjochten Kongo wurden Arbeitern, die bis zum Tagesende das geforderte Arbeitssoll nicht erreicht hatten, die Hände abgehackt. Ein Aufstand des von Deutschland versklavten Volks der Herero in Südwestafrika wurde gnadenlos niedergeknüppelt, die Aufständischen in Wüstengebiete vertrieben und von den Wasserstellen weggejagt, sodass Abertausende elendiglich verdursteten. Es war der erste grosse Völkermord des 20. Jahrhundert, den nur 15‘000 der ursprünglich 80’000 Herero überlebten.

Und so verwandelte sich nach und nach der Reichtum des von der Erde, der Natur und dem Klima gesegneten Südens in den Reichtum des Nordens, der in Anbetracht mangelnder Bodenschätze, wenig fruchtbarer Böden und unwirtlicheren Klimas eigentlich viel ärmer sein müsste, stets nach dem Prinzip, sich die Schätze des Südens kostenlos oder – durch möglichst niedrige Preise für Rohstoffe, Sklavenarbeit oder Hungerlöhne – zu möglichst günstigen Bedingungen anzueignen und sie hernach zu Fertigprodukten zu verarbeiten und diese auf dem Weltmarkt mit möglichst profitablen Renditen weiterzuverkaufen. Und das ist bis auf den heutigen Tag so weitergegangen. Kaufen wir bei Starbucks einen Kaffee für zehn Franken, so fliessen neun Franken und 95 Rappen in die Taschen von Handelsketten, Geschäftsbesitzern, multinationalen Konzernen und Börsenspekulanten, während die Landarbeiterin in Honduras, Kenia oder Madagaskar, die im Schweisse ihres Angesichts die Kaffeebohne erntet, von diesen zehn Franken gerade mal fünf Rappen sieht. Früher hatten alle Menschen in Afrika genug zu essen, während es in Europa immer wieder zu Hungersnöten kam. Heute ist es genau umgekehrt. Kein Kontinent leidet so sehr an Mangel- und Unterernährung wie Afrika, gleichzeitig landen in keinem Kontinent so viele Lebensmittel ungebraucht im Müll wie in Europa.

Doch das ist noch längst nicht alles. Dank der so entstandenen Profite konnten sich die Länder des Nordens im Gegensatz zu den Ländern des Südens auch die nötigen Mittel leisten, um ihre Privilegien gegen andere, die sie ihnen vielleicht hätten streitig machen können, abzusichern und zu schützen. Wirtschaftliche Vorherrschaft ging stets Hand in Hand mit militärischer Vorherrschaft und tut es bis heute. War Grossbritannien während 300 Jahren die Weltmacht Nummer eins – sowohl in wirtschaftlicher wie auch militärischer Hinsicht –, so sind es seit dem Zweiten Weltkrieg die USA. So ist es kein Zufall, dass die USA während der vergangenen rund 80 Jahre für die weitaus grösste Anzahl von – grösstenteils völkerrechtswidrigen – Militärschlägen und Kriegen verantwortlich sind, mit rund 50 Millionen Todesopfern und einer zehn Mal so hohen Anzahl Verletzter, dazu zahlreiche verdeckte, meist vom CIA durchgeführte Operationen, mit denen nicht wenige demokratisch gewählte Regierungen gewaltsam gestürzt wurden. Und es ist auch alles andere als ein Zufall, dass fast alle diese Kriege, von Vietnam über den Irak bis zu Afghanistan, Syrien und dem Sudan, in den Ländern des Südens stattfinden, nicht in den Ländern des Nordens, die genug Macht und Mittel besitzen, um dies zu verhindern. Und es ist wiederum auch kein Zufall, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels genau in jenen Ländern am verhängnisvollsten auswirken, die sie – im Gegensatz zu den Industriestaaten mit ihrer wachstumsgetriebenen Produktion von Abgasen und Schadstoffen – am allerwenigsten verursachen. Nebst all den weiteren Verwüstungen, welche 500 Jahre koloniale Ausbeutung hinterlassen haben: Wassermangel, durch Pestizide und andere Chemikalien vergiftete Erde, durch Monokulturen ausgelaugte Böden, auf denen kaum mehr etwas wächst.

Geld ist Macht. Wer mehr Geld hat, hat nicht nur stärkere Waffen, er verfügt auch über die nötigen finanziellen und wirtschaftlichen Instrumente und Machtmittel wie etwa die Weltbank oder den IWF, die für jeden Kredit, den sie einem sowieso schon zutiefst entrechteten und ausgebeuteten Land leihen, einen so hohen Zins abverlangen, dass die Verarmung, die Fremdbestimmung und die Abhängigkeit dieser Länder nur immer noch grösser und grösser wird. In aller Regel verfügen die, welche mehr Geld und damit mehr Macht haben, auch über den grösseren Einfluss auf die Medien, welche weitgehend dazu dienen, die Macht der Mächtigen nicht allzu sehr in Gefahr zu bringen. Ein Beispiel: Jeden Tag sterben weltweit rund 10‘000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs, weil sie nicht genug zu essen haben. Das von den Medien in der westlichen Welt verbreitete, in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verankerte Bild, diejenigen, die zu wenig zu essen hätten, seien selber daran schuld bzw. lebten halt in Ländern mit unfähigen, korrupten Regierungen, seien in technischer Hinsicht hoffnungslos im Rückstand oder seien, im Gegensatz zu uns, immer wieder von besonders verhängnisvollen Naturkatastrophen betroffen, lenkt davon ab, dass alles nicht eine Frage der Mengen ist, sondern eine Frage der Verteilung. In jedem kapitalistischen System, ob klein oder gross, herrscht das Grundprinzip, dass Waren nicht dorthin fliessen, wo die Menschen sie am dringendsten brauchen, sondern dorthin, wo die Menschen genug Geld haben, um diese Waren zu kaufen, und sich deshalb dort die grössten Profite machen lassen. Das führt dazu, dass am einen Ort ein immer grösserer Mangel herrscht, während am anderen Ende immer neue, längst schon überflüssige Dinge erfunden und ausgedacht werden müssen, damit die Menschen überhaupt noch etwas kaufen. Auch das herrschende Justizsystem, das einseitig auf die Ahndung von Individualgewalt ausgerichtet ist und den Einfluss von Systemgewalt gänzlich ausblendet, ist Teil dieses allumfassenden Machtsystems. Um es wiederum an einem Beispiel zu verdeutlichen: Klaut ein Sozialhilfebezüger ein Paar Turnschuhe, dann wird der Sozialhilfebezüger verurteilt, nicht aber das herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das so gravierende soziale Ungleichheiten zur Folge hat, dass eben nur ein stets am finanziellen Limit kämpfender Sozialhilfebezüger auf die Idee kommt, Turnschuhe zu klauen, gewiss aber nicht ein Bankdirektor, der ein so hohes Einkommen hat, dass er oft sogar nicht einmal mehr weiss, was er damit überhaupt anfangen soll.

Richtet man den Fokus auf die historischen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge, muss man unweigerlich zum Schluss gelangen,  dass die reichen Länder des Nordens nur deshalb so reich sind, weil die armen Ländern des Südens so arm sind. All die Privilegien, welche die Menschen in den reichen Ländern geniessen, sind nichts anderes als die Frucht eines mindestens 500 Jahre andauernden Raubzugs, in dem der natürliche Reichtum des Südens in den künstlichen Reichtum des Nordens verwandelt wurde. Deshalb sind Flüchtlinge aus den Ländern des Südens, die in die Länder des Nordens «einzudringen» versuchen, nicht Menschen, die uns etwas «wegnehmen» wollen, sondern nur Menschen, die sich einen ganz winzigen Teil dessen zurückzuholen versuchen, was wir ihnen über Jahrhunderte, unter Anwendung unbeschreiblicher Gewalt, weggenommen haben. Würde sich diese Erkenntnis in der breiten Bevölkerung durchsetzen, hätten die SVP und alle anderen politischen Parteien, die ihre Argumentationen auf einer systematischen Täter-Opfer-Umkehr aufbauen, früher oder später keine einzige Stimme mehr. Aber die, welche heute noch an der Macht sind und ihre Privilegien einzig und allein jahrhundertelanger Ausbeutung und jahrhundertelangen Diebstahls verdanken, werden alles daran setzen, dies zu verhindern.

Engel überall

Seit mir meine damals fünfjährige Enkelin nach dem Tod meiner Frau erklärt hat, dass sie nicht gestorben sei, sondern als Engel weiterlebe, glaube ich an Engel. Ich nehme sie jederzeit und überall wahr. Als würden sie nur darauf warten, dass wir Menschen ihre Liebesbotschaft endlich verstünden. Denn alleine schaffen sie es nicht. Sie brauchen unsere Hände, unseren Körper, unseren Geist, unsere Phantasie. Sie im Himmel und wir auf der Erde – wenn wir uns miteinander verbünden, dann können wir sie schaffen, die neue Welt.

Böses Erwachen nach der Wahl von Donald Trump: Höchste Zeit für eine radikale Selbstkritik

Gross war auch in der Schweiz in linken und intellektuellen Kreisen das Entsetzen über die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Gründe dafür wurden hauptsächlich bei den viel zu vielen “ungebildeten” Menschen gesucht, die sich von diesem “Populisten” und “Demagogen” – einige bezeichnen ihn sogar als “Faschisten” – hätten über den Tisch ziehen lassen. Nur von Selbstkritik war praktisch nichts zu hören.

Dabei wäre es aus linker und intellektueller Sicht höchste Zeit, sich auch ein paar selbstkritische Fragen zu stellen. War Kamala Harris tatsächlich eine glaubwürdige Alternative? Wie geschickt haben sich die Linken und Intellektuellen im Wahlkampf verhalten? Müsste man nicht, statt sich in oberflächlichen Schuldzuweisungen zu verlieren, grundsätzlich die Frage stellen, in was für einer Welt wir denn eigentlich leben und weshalb so viele Menschen offensichtlich schon so verzweifelt sind, dass sie in Politikern wie Donald Trump so etwas wie die letzte Hoffnung auf ein besseres Leben setzen? Müsste man dann nicht, wenn man dieser Frage konsequent nachginge, früher oder später zum Schluss gelangen, dass die Schuld an allem vermutlich nicht vor allem bei einem besonders “demagogischen” Präsidentschaftskandidaten und einem angeblich “ungebildeten” und “manipulierbaren” Volk liegt, sondern möglicherweise viel eher bei einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, welches auf eine immer grössere soziale Ungleichheit, ein immer unverschämteres Hinabdrücken und eine immer arrogantere Entmündigung jener Abermillionen von Menschen hinausläuft, die mit ihrer täglichen Schufterei das ganze Gebäude, auf deren obersten Etagen sich neben den Reichen und Reichsten auch die überwiegende Mehrheit der sogenannten Linken und Intellektuellen sonnen, überhaupt noch vor dem drohenden Zusammenbruch bewahren? Wenn dann ausgerechnet jene, die von der Schufterei und dem täglichen knallharten Überlebenskampf derer an den untersten Rändern der Gesellschaft profitieren und sich auf deren Kosten jeden noch so unnötigen Luxus leisten können, diese dermassen Ausgebeuteten, wie das Joe Biden gegen Ende des Wahlkampfs tat, als “Müll” bezeichnen, dann muss das Fass überlaufen.

Mittlerweile hat sich, genährt durch Armut, Ausbeutung, fehlende Wertschätzung, laufend steigende Lebenskosten und die permanente Konfrontation mit jenen privilegierteren Gesellschaftsschichten, die einen viel schöneren und weniger belasteten Alltag vorleben – den man selbst bei grösster Anstrengung nie erreichen und gegenüber dem man lebenslang im Hintertreffen bleiben wird – ein immenses revolutionäres Potenzial aufgebaut. Und genau dieses scheint nun Trump ganz einfach besser abgefangen zu haben als seine Kontrahentin – indem er sich als Systemkritiker und Gegner des “Establishments” darstellte – obwohl er freilich selber auch ein Teil davon ist -, während Kamala Harris keine eigenen Visionen entfaltete, sondern bloss nachplapperte, was unzählige andere Politikerinnen und Politiker des herrschenden Mainstreams schon lange zuvor vorausgeplappert hatten und höchstwahrscheinlich auch weiterhin ausplappern werden. Die Unzufriedenheit in den benachteiligten Bevölkerungsgruppen ist mittlerweile dermassen gross, dass nur ein Politiker oder eine Politikerin, die Hoffnung auf “neue” und “andere” Zeiten zu wecken vermag, Chancen hat, gewählt zu werden. An jeden noch so kleinen Strohhalm würden sich die Menschen klammern, bloss um die Hoffnung nicht zu verlieren, dass sich etwas ändern wird – denn eigentlich, denken sie, kann es nur besser werden. Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Denn auch Trump wird nicht viel zu verändern vermögen, solange nicht das kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell grundlegend überwunden wird. Und so stürzen die Menschen von einer Hoffnung zur nächsten und sind jedes Mal von Neuem enttäuscht, wenn sich ihre Hoffnungen nicht erfüllen. So wie damals bei Barack Obama, in den insbesondere die Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner immense Erwartungen gesetzt hatten, um anschliessend umso mehr enttäuscht zu sein und nicht mehr eine Demokratin – Hillary Clinton – zu wählen, sondern, mit Donald Trump, einen Republikaner. Gleichzeitig versinken durch diese wiederholten Enttäuschungen und zerstörten Hoffnungen immer mehr Menschen in Resignation und Verzweiflung.

“Es ist die Rache ganz normaler Leute”, sagt Scott Jennings, einst Berater von Ex-Präsident George W. Bush, “die zermürbt und beleidigt wurden. Sie sind kein Müll, keine Nazis. Sie sind einfach gewöhnliche Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, um ihren Kindern ein besseres Leben zu bieten. Diesen Leuten hat man zu erkennen gegeben, dass sie den Mund halten sollen. Dabei haben sie sich nur über Dinge beklagt, die sie im Alltag belasten: Hohe Preise, Kriminalität, die Folgen illegaler Einwanderung.” Sie fühlen sich von den geistigen “Eliten”, den Akademikerinnen und Akademikern, den etablierten, gutverdienenden und bloss auf den Erhalt ihrer eigenen Privilegien und Machtpositionen bedachten Politikerinnen und Politikern im Stich gelassen. Das heisst nicht, dass eine Linke, die wieder erfolgreich politisieren will, auf jede Forderung und sämtliche Ängste der Bevölkerung “populistisch” und unkritisch eingehen müsste. Aber sie müsste alles daran setzen, sich für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und das Wohl der Einzelnen einzusetzen. Und gleichzeitig müsste sie darüber aufklären, dass beispielsweise Kriminalität stets gesellschaftliche Ursachen hat und auch Migrantinnen und Flüchtlinge nichts anderes sind als Opfer des gleichen, auf 500 Jahren Ausbeutung und Kolonialismus beruhenden kapitalistischen Wirtschaftssystems und dass eine nachhaltige Lösung nicht darin bestehen kann, rund um die reichen Länder herum immer höhere Mauern zu bauen, sondern nur darin, eine weltweit gerechte Wirtschaftsordnung aufzubauen, so dass niemand mehr gezwungen ist, seine eigene Heimat zu verlassen, bloss um einigermassen überleben zu können.

Die Menschen an den unteren Rändern der kapitalistischen Klassengesellschaft, die einen Politiker wie Donald Trump zu ihrem Präsidenten wählen, sind nicht dumm. Im Gegenteil, sie durchschauen in aller Regel die Machtspiele der Reichen und Mächtigen sehr genau, besser sogar als all jene, die ein Leben lang – abgeschirmt vom täglichen Überlebenskampf auf der Strasse oder in herabgekommenen Wohnquartieren oder bei Arbeitstagen von 14 Stunden in Fabriken oder auf Gemüsefeldern bei Hitze und Kälte – in irgendwelchen Universitäten herumsitzen und so komplizierte Studien und Bücher verfassen, dass ein normaler Mensch sie nicht einmal verstehen, geschweige denn ihnen irgendeinen Sinn abgewinnen kann. Die Menschen an den unteren Rändern der kapitalistischen Klassengesellschaft würden auch Politikerinnen und Politkern wie Nelson Mandela, Martin Luther King oder Lula da Silva ihre Stimme geben. Aber wenn sie nur die Auswahl zwischen Donald Trump und Kamala Harris haben, dann wählen sie halt das kleinere Übel, und das ist eben der, welcher ein bisschen stärker auf die Pauke haut.

Das gilt ja alles nicht nur für die USA. Wie ja auch der Kapitalismus nicht nur in den USA wütet und immer verrücktere Blüten treibt, wenn auch dort besonders schlimm. Auch die deutsche AfD ist ein Auffangbecken für die immer zahlreicheren Opfer dieses auf reine Profitmaximierung und Ausbeutung von Mensch und Natur fixierte Wirtschaftsmodell, dessen Widersprüche immer klarer zutage treten. Und auch in Deutschland wird die Wut derer, die sich dagegen aufbäumen, nur immer noch stärker, wenn sie von den herrschenden Eliten als dumm, manipulierbar oder gar faschistisch beschimpft werden, ausgerechnet von jenen Eliten, die im Namen von “Demokratie” und “Menschenwürde” mit moralischem Zeigefinger gegen ihre politischen Kontrahenten auftreten, tatsächlich aber nichts anderes sind als Komplizen eines gnadenlosen weltweiten Ausbeutungssystems, an dessen oberem Ende sich immer mehr Multimilliardäre ansammeln und an dessen unterem Ende jeden Tag weltweit rund 10’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs qualvoll sterben müssen, weil sie nicht genug zu essen haben.

Auch der Erfolg der schweizerischen SVP beruht nicht nur auf falschen Versprechen und falschen Hoffnungen, sondern vor allem auf dem Versagen jener linken politischen Kräfte, die sich schon längst von ihren ursprünglichen revolutionären Idealen verabschiedet, sich himmelweit von den Sorgen und Nöten der “einfachen” Menschen entfernt haben und sich lieber in ihre Ferienhäuschen in der Toscana zurückziehen, um dort und an vielen anderen genussvollen Orten von all den Privilegien zu profitieren, welche ihnen das sich nahtlose Einfügen in das kapitalistische Machtsystem beschert hat.

Wie sehr die Linke ihren ursprünglichen revolutionären Schwung verloren hat, zeigt sich ja auf geradezu absurde Weise bei all jenen Themen, auf die sie sich in letzter Zeit immer akribischer fokussiert. Doch mit Gendersternchen lässt sich nun mal weder das Patriarchat noch der mit ihm unauflöslich verbundene Kapitalismus mit sämtlichen seiner Ausbeutungsmechanismen wirkungsvoll überwinden. Und das müsste doch das eigentliche Hauptziel einer glaubwürdigen Linken sein. Und steht sogar immer noch, wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, im Parteiprogramm der schweizerischen Sozialdemokratischen Partei…

Die Revolution kann man nicht mieten, um sie für immer zu behalten. Man muss sie immer wieder neu erkämpfen, jeden Tag ab dem Punkt Null. Jetzt gerade droht das in allen Menschen im tiefsten Inneren steckende revolutionäre Potenzial, die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit, Frieden und einem guten Leben für alle, der Linken ganz gehörig zu entgleiten und in die Hände der Rechten geraten zu sein. Will sie es wieder zurückholen, muss sie sich ganz gehörig auf die Socken machen. Denn die unten sind längst bereit. Nur die oben haben immer noch nicht begriffen, dass die Zukunft der Menschheit nicht in Raffgier und Macht um der Macht willen liegen kann, sondern nur darin, alles Vorhandene möglichst gerecht miteinander zu teilen…

Sonntagszeitung vom 17. November 2024: Wenn die Empörung über die Empörung grösser ist als die Empörung über deren Ursachen…

„Blutrünstige Graffitti“, ein „Klima der Einschüchterung“, „aktivistische Professoren“, „falsche Anschuldigungen“, „extreme Positionen“ – so wird in der Sonntagszeitung vom 17. November die Empörung beschrieben, die bei den Pro-Palästina-Protesten an Westschweizer Unis wahrzunehmen ist. Doch weshalb so viel Empörung?

Rechnet man zu den durch militärische Gewalt getöteten Menschen jene hinzu, die infolge von Hunger und fehlender medizinischer Versorgung bisher ihr Leben verloren haben, sind es rund 90‘000, zu einem grossen Teil Frauen und Kinder, unschuldige Menschen, die mit den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 nichts zu tun haben. Auch wurden Dutzende von Schulen, Krankenhäusern, Moscheen, Geschäften, Bibliotheken und Bildungseinrichtungen zerstört, ebenso der überwiegende Teil der gesamten Infrastruktur wie die Versorgung mit Wasser, Nahrungsmitteln und Energie. Zudem hat die Schweiz als einziges Land der Welt die Zahlungen an das palästinensische Hilfswerk UNRWA ausgesetzt, was den Hungertod von Millionen von Menschen zur Folge haben könnte.

Und da soll man nicht empört sein und nicht in aller Schärfe demonstrieren dürfen gegen ein Regime, das solche Verbrechen begeht, alle bisherigen Forderungen nach einem Waffenstillstand in den Wind geschlagen hat und nicht einmal – erstmalig in der fast 80jährigen Geschichte der UNO – davor zurückschreckt, den UNO-Generalsekretär nicht mehr einreisen zu lassen, obwohl dieser kein anderes Ziel verfolgt, als diesem unermesslichen Leiden endlich ein Ende zu setzen.

14. Montagsgespräch vom 11. November 2024: Die schweizerische Asylpolitik in der Diskussion – Türen öffnen statt Feindbilder aufbauen

Thema des 14. Buchser Montagsgesprächs vom 11. November war die schweizerische Asylpolitik. Eingeladen zu diesem Anlass waren auch zwei Flüchtlinge aus Pakistan und Äthiopien, die zurzeit im kantonalen Ausreise- und Nothilfezentrum Sonnenberg in Vilters leben, sowie die Präsidentin und eine weitere Mitarbeiterin des Solidaritätsvereins Sevelen.

Wie zu erfahren war, leben im Zentrum Sonnenberg Flüchtlinge, deren Gesuch um ein Bleiberecht in der Schweiz abgewiesen wurde, die aber aufgrund schwieriger Umstände nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. Dies bedeute für viele ein jahrelanges Verharren in völliger Perspektivenlosigkeit, ohne Geld, ohne Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung und in beständiger Angst vor einer gewaltsamen Ausschaffung.

Es wurde diskutiert, ob die Schweiz nicht schon zu viele Flüchtlinge aufgenommen hätte. In Anbetracht der Tatsache, dass auf 100 Bewohnerinnen und Bewohner nur ein einziger anerkannter Flüchtling kommt – in Deutschland beispielsweise sind es 3,7 – könne man, so eine Diskussionsteilnehmerin, diese Frage wohl eher verneinen. Eine andere Gesprächsteilnehmerin meinte, sie hätte oft Angst, sich an Orten aufzuhalten, wo es viele Flüchtlinge gäbe, eine Aussage, der eine andere Votantin deutlich widersprach, indem sie berichtete, sie hätte sich schon oft an solchen Orten aufgehalten, es sei ihr aber noch nie etwas passiert.

Ein Diskussionsteilnehmer wies darauf hin, dass der Anteil von Ausländern in den Gefängnissen ausserordentlich hoch sei, dem wurde aber entgegen gehalten, dass die weit überwiegende Mehrheit der Ausländerinnen und Ausländer noch nie ein Delikt begangen hätten und dass man negative Meldungen oft zu sehr in den Mittelpunkt stelle. So etwa wurde erwähnt, dass von den insgesamt 36‘000 in der Schweiz lebenden Afghaninnen und Afghanen nur von zwei Personen innerhalb eines halben Jahres eine schwere Straftat begangen worden sei, dies aber in der öffentlichen Wahrnehmung weitaus mehr Gewicht hätte als die Tatsache, dass weit über 99 Prozent dieser Personengruppe im gleichen Zeitraum kein einziges Delikt begangen hätten. Trotzdem müsse man, so wurde erwähnt, die abwehrende Haltung vieler Einheimischer ernst nehmen und offen darüber diskutieren, denn oft spielten dabei eigene Zukunftsängste eine wichtige Rolle.

Unmut äusserte eine Diskussionsteilnehmerin darüber, dass die grosszügige Aufnahmebereitschaft gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine in keinem Verhältnis stünde zu jener gegenüber Flüchtlingen aus anderen Ländern.

Die Bemühungen um Integration, so ein weiteres Votum, könnten nicht alleine von den ausländischen Menschen verlangt werden, auch die einheimische Bevölkerung müsse ihren Teil dazu beitragen, zum Beispiel dadurch, dass man vermehrt die eigenen Türen öffne und diese Menschen am Alltag teilnehmen lasse, statt sie auszugrenzen und aufgrund vereinzelter schlechter Erfahrungen zu einseitige Vorurteile gegen sie aufzubauen.

Leider gerade ein Aufnahmestopp für Kinder über zwei Jahren…

Die Schweiz im November 2024: Kein Witz…

Joel, der vor drei Wochen zwei Jahre alt geworden ist, hat sich mit der Scherbe eines zerbrochenen Glases eine Schnittwunde am Daumen zugezogen. Die stark blutende Wunde notdürftig mit einem Verband versehen, melden wir uns, weil es Sonntag ist und alle Arztpraxen geschlossen sind, beim Notfalldienst des Kantonsspitals in der Nachbargemeinde. Die Auskunft am Schalter: Heute sei gerade kein Kinderarzt im Dienst, aber nun ja, man werde schauen, ob ein anderer diensthabender Arzt die Wunde anschauen könnte, doch man könne nichts versprechen, alle seien völlig ausgelastet. Aber dann doch noch: Nach zwei Stunden Warten schaut sich ein Arzt die Wunde an und verschliesst sie mit Klebestreifchen. Es wird uns eine Nachkontrolle zwei Tage später beim örtlichen Kinderarztzentrum empfohlen.

Zwei Tage später: Die Frau am Telefon des Kinderarztzentrums teilt uns mit, dass die Praxis infolge Überlastung kürzlich einen Aufnahmestopp verfügt hätte. Neue Kinder würden nur noch aufgenommen, wenn sie jünger als zwei Jahre sind. Pech gehabt, Joel ist drei Wochen zu alt.

Da Joel und seine Eltern erst seit Kurzem in der Schweiz leben und noch keinen Hausarzt bzw. keine Hausärztin finden konnten, rufe ich meine Hausärztin an, ob sie ausnahmsweise Joels Wunde kurz anschauen könnte. Würde sie ja gerne, aber heute und morgen sei alles voll und am Donnerstag und Freitag sei die Praxis geschlossen. Man empfiehlt uns den Notfallarzt in der fünf Kilometer entfernten Nachbarsgemeinde.

Dort heisst es: Aussichtslos, heute und morgen keine freien Termine. Aber wir könnten es ja in L., einer weiteren unserer Nachbargemeinden, versuchen. Dort praktiziere eine Kinderärztin. Das Problem sei nur, dass man sie kaum erreichen könne, da die Stelle ihrer Praxisassistentin zurzeit gerade nicht besetzt sei. Und jetzt, frage ich? Nun ja, heisst es, dann würde uns halt der Notfallarzt gegen Abend noch irgendwo hineinquetschen, aber es könnte sein, dass wir bis zu zwei Stunden warten müssten.

Wir müssen dann nur eine Stunde warten, der Arzt wirft einen kurzen Blick auf die schon gut verheilte Wunde und lässt uns nach einer Minute wieder gehen.

Das schweizerische Gesundheitssystem am 12. November 2024 in der Schweiz, einem der reichsten Länder der Welt. Ich bin fast ganz sicher, drei- oder vierhundert Jahre früher hätte man in jedem noch so kleinen Dorf eine Naturheilerin gefunden, die für eine kleine Schnittwunde am Daumen eines zweijährigen Kindes ein passendes Kräutchen parat gehabt und den Finger mit dem Blättchen einer wohltuenden Pflanze umwickelt hätte. Aber die hat man ja dann alle als Komplizinnen des Teufels zu Tode gefoltert und auf den Scheiterhaufen verbrannt…

Ein altes Land und ein neues Land und dazwischen eine Brücke

Es gibt ein altes Land und ein neues Land und dazwischen eine Brücke. Im alten Land herrscht noch das Patriarchat, Macht und Geld regieren über Liebe und Gerechtigkeit, bei Konflikten greift man zu Waffen statt zur Vernunft, Erwachsene fühlen sich als etwas Besseres im Vergleich mit den Kindern. Im neuen Land verstehen die Menschen die Sprache der Engel, alles ist mit allem verbunden, durchströmt von Liebe, Fürsorge und der Musik des Himmels. Krieg, Ausbeutung, Vorteile der einen auf Kosten anderer gehören für immer der Vergangenheit an. Zwischen dem alten Land und dem neuen Land ist eine Brücke, man sieht sie nicht auf den ersten Blick, es braucht manchmal viel Geduld, um sie zu finden, und vor allem Offenheit und Neugierde auf Neues. Viele Menschen leben schon heute im neuen Land. Ihr Leben hat sich zutiefst gewandelt. Sie sprechen eine andere Sprache, sie denken anders, und wenn sie gegenseitig ihre Gedanken austauschen, stellen sie immer wieder mit grösstem Erstaunen fest, dass sie alle, unabhängig voneinander und auf ganzen verschiedenen Wegen, so etwas wie einen gemeinsamen Schatz gefunden haben, von dem sie schon immer träumten und der jetzt endlich Wirklichkeit geworden ist. Im alten Land aber mauern sich immer noch viele Menschen in ihrem alten Denken und in ihrer alten Sprache ein, bauen sogar die Mauern rund um sich herum immer noch weiter und weiter in die Höhe. Doch immer mehr Menschen finden den Weg zur Brücke, vernehmen immer deutlicher die himmlischen Klänge auf der anderen Seite davon, die Stimmen der Engel, das Lachen der Kinder, das Paradies. So wie sie die Brücke zu überqueren beginnen, so verwandeln sie sich nach und nach aus Wesen des alten Landes und der alten Zeit in Wesen des neuen Landes und der neuen Zeit. Und wer erst einmal im neuen Land angekommen ist, wird nie mehr zurückwollen ins alte Land. Das schafft so unendlich viel Hoffnung in immer noch dunklen Zeiten. Denn an die Ohren selbst jener, welche sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte immer verbissener an der Sprache und dem Denken der alten Zeit festklammern, wird früher oder später die Musik von der anderen Seite der Brücke dringen, ob sie wollen oder nicht. Sie können alles tun, ihre Herzen in noch so kaltes Eis zu legen. Eines Tages wird auch das letzte Eis geschmolzen sein.

Systematische Verhinderung der Revolution

Man könnte es geradezu als Strategie des Kapitalismus bezeichnen, die Menschen in den ärmeren Ländern entweder auszuhungern oder zu Tode erschöpfender Ausbeutung zu unterwerfen und die Menschen in den reicheren Ländern entweder im Luxus zu ertränken, im gegenseitigen Kampf um sozialen Aufstieg oder Abstieg permanent unter Druck zu setzen oder mit dermassen vielen sinnlosen Aktivitäten zu betäuben, dass niemand mehr, weder in den reichen noch in den armen Ländern, genug Zeit und Kraft hat, um die Revolution vorzubereiten.