Arme und Reiche, Arbeitende und Besitzende: Wer profitiert von wem?

 

“Die Reichen”, so Mitte-Ständerätin Andrea Gmür in der “Arena” des Schweizer Fernsehens vom 9. Oktober 2021 zum Thema Steuerpolitik, “finanzieren zu einem grossen Teil den Sozialstaat. Umverteilung darf nicht überstrapaziert werden.” Diese Aussage von Andrea Gmür zeigt, dass eine Behauptung nicht bloss deshalb wahrer wird, wenn man sie bis zum Geht-nicht-mehr wiederholt. Nein, liebe Andrea Gmür, nicht die Reichen finanzieren den Sozialstaat, sondern die Arbeitenden finanzieren die Besitzenden. Das lässt sich einfach erklären: Der Reichtum der Reichen entspringt, auf was für verschlungenen und unsichtbaren Wegen auch immer, letztlich nichts anderem als dem Blut, dem Schweiss und den Tränen all jener Menschen, die täglich schwerste Arbeit verrichten und dennoch viel weniger verdienen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Die Früchte dieser Arbeit finden sich wieder in Unternehmensgewinnen, Dividenden, Erbschaften, Wohnungsmieten und in allen weiteren Formen von Kapitalbeteiligung – kurz in all jenem Geld, das von den Vermögenden “verdient” wird, ohne dass diese auch nur einen Finger dafür krumm machen müssen. Reich wird nicht, wer viel arbeitet. Reich wird, wer viel besitzt. Und so ist es auch alles andere als ein Zufall, dass das reichste Prozent der Bevölkerung 43 Prozent des Gesamtvermögens besitzt  – ein Anteil, der sich sogar laufend noch vergrössert. Wenn Andrea Gmür findet, dass die “Umverteilung nicht überstrapaziert” werden dürfe, dann hat damit sie vollkommen Recht, nur nicht in dem Sinne, wie sie es meint. Tatsächlich findet die Umverteilung nicht von oben nach unten statt, sondern von unten nach oben. Nur so ist zu erklären, dass die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer 709 Milliarden Franken besitzen und ihr Vermögen in den letzten zehn Jahren sogar verdoppeln konnten, während rund 700’000 Schweizerinnen und Schweizer knapp oder sogar unter dem Existenzminimum leben müssen. Sollten Politikerinnen und Politiker nicht Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter der gesamten Bevölkerung sein und nicht bloss Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter von Wirtschaftsverbänden, multinationalen Konzernen und Milliardären?