Altersvorsorge: Auf der Suche nach der verlorenen sozialen Gerechtigkeit

 

“Steht die Pensionierung vor der Tür”, schreibt das “Tagblatt” vom 4. April 2022, “ist das in der Regel ein Grund zur Freude. Doch diese wird gerade bei Frauen allzu oft getrübt: Bei rund einem Drittel fällt die zweite Säule ganz weg, es bleibt nur die erste Säule, die AHV. Betroffen sind vor allem Frauen, die im Tieflohnbereich arbeiten, sowie Frauen, die gleichzeitig mehrere Arbeitgeber haben, wie zum Beispiel Haushaltshilfen, welche nicht obligatorisch versichert sind. Ständerat und Nationalrat tüfteln gegenwärtig an neuen Modellen, um diesen Benachteiligungen der Frauen wenigstens ein Stück weit entgegenzuwirken. Doch bei alledem bleibt die Systemlogik der eigentliche Pferdefuss: Aus einem kleinen Lohn lässt sich keine grosse Rente zaubern, solange jeder für sich alleine sparen muss.” Was hier als “Systemlogik” bezeichnet wird, ist in Tat und Wahrheit eine himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit. Die in für Frauen typischen Tieflohnbereichen geleistete Arbeit trägt nämlich zur Gesamtbilanz der gesamten Volkswirtschaft genau so viel bei wie die Arbeit, die zum Beispiel eine Lehrerin, ein Bankangestellter oder ein IT-Spezialist leistet. Demzufolge müssten die betroffenen Frauen entsprechend ihrer gesellschaftlichen Leistung auch am erzielten Gesamtprofit einen fairen Anteil haben. Dass in vielen gesellschaftlich essenziellen, so genannten “systemrelevanten” Berufen so wenig verdient wird, wäre schon genug ungerecht. Dass aber die davon Betroffenen auch noch im Alter durch viel zu niedrige, kaum existenzsichernde Renten noch einmal “bestraft” werden, widerspricht erst recht jeglichem Anspruch auf eine minimale gesellschaftliche Teilhabe. Der Blick darauf, wie Reichtum zustande kommt, offenbart diese Ungerechtigkeit in ihrem vollen Ausmass: Wenn die reichsten 300 Schweizerinnen und Schweizer über ein Vermögen von 812 Milliarden Franken verfügen – was weit mehr ist als das gesamte Bruttosozialprodukt der Schweiz innerhalb eines Jahres -, dann ist nur der kleinste Teil dieser unvorstellbar riesigen Summe aus eigener Kraft verdient. Der weitaus grössere Teil entsteht aus mehr oder weniger transparenten Umlagen aller Art und vor allem dadurch, dass Millionen von Menschen weniger verdienen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre – dieser “Mehrwert” wandert unaufhörlich aus den Taschen der Armen in die Taschen der Reichen. Einfach gesagt: Den Reichtum der Reichen finanzieren die Armen mit ihrer Arbeit. Die vielgelobte schweizerische “Solidarität” ist eine Einbahnstrasse: Sie funktioniert nicht von oben nach unten, sondern ausschliesslich von unten nach oben. Es ist daher nicht übertrieben, zu sagen, dass es sich beim Reichtum der Reichen also sozusagen um “gestohlenes ” Geld handelt. Wenn schon – was ein genug grosser Skandal ist – viele Menschen aufgrund ihrer Arbeitssituation benachteiligt sind, dann sollten sie doch wenigstens im “Ruhestand” nicht noch einmal zusätzlich benachteiligt werden. Die einzige wirklich gerechte Lösung wäre eine Art Volkspension, in welche alle Erwerbstätigen ihrem Einkommen entsprechend einzahlen und aus der alle, ob “Reich” oder “Arm”, die gleich hohe Rente beziehen würden. Eine zweite und eine dritte Säule wären damit hinfällig und die bittere Bilanz der heutigen Situation, wonach sich, solange jeder für sich alleine sparen muss, aus kleinen Löhnen keine grossen Renten zaubern lassen, würde damit endgültig der Vergangenheit angehören.