Als wäre nicht auch das Muttersein ein vollwertiger, höchst anspruchsvoller und zudem gesellschaftlich höchst wichtiger, geradezu unerlässlicher Beruf…

 

Echo der Zeit, Radio SRF1, 2. April 2023: Interview mit Martin Schröder, Professor für Soziologie an der Universität des Saarlandes und Autor des Buchs “Wann sind Frauen wirklich zufrieden?” Schröder zitiert eine Studie, bei der 21’000 Bewerbungen in sechs Berufen in sechs Ländern ausgewertet wurden. Das Fazit, so Schröder: “Im Schnitt werden eher die Frauen als die Männer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Frau an sich scheint also nicht das problematische Kriterium zu sein. Was man aber durchaus immer wieder sieht, ist, dass Mütter bzw. Frauen, welche Gefahr laufen, bald Mutter zu werden, durchaus bei gleichen Qualifikationen für weniger kompetent gehalten und weniger oft eingestellt werden.”

Kapitalismus in Reinkultur. Frauen also, die einen “richtigen” Beruf ausgeübt oder womöglich schon einem “richtigen” Beruf Karriere gemacht haben, werden gegenüber Frauen, die “nur” Mütter gewesen sind bzw. “Gefahr laufen”, Mutter zu werden, bevorzugt. Als wäre nicht auch das Muttersein ein vollwertiger, höchst anspruchsvoller und zudem gesellschaftlich höchst wichtiger, geradezu unerlässlicher Beruf, der wohl nur deshalb so wenig gesellschaftliches Ansehen geniesst, weil er zum Nulltarif geleistet wird.

Dieser Sachverhalt drängt Frauen dazu, so schnell wie möglich nach einer Geburt wieder ins Erwerbsleben einzusteigen, nur um ja nicht den Anschluss zu verpassen. Also die Kinder so schnell wie möglich ab in die Kita, das hektische Hin- und Herschieben der Kinder wird finanziellen Interessen zuliebe bereitwillig in Kauf genommen, die unendlich vielen kleinen Wunder des Aufwachsens, Lernens, Forschens und Entdeckens überlässt man professionellem Betreuungspersonal und begnügt sich im Extremfall damit, die Kinder am Morgen aufzuwecken und am Abend wieder ins Bett zu bringen.

Vieles spricht dafür, zumindest eine Zeitlang auf eine ausserhäusliche Erwerbsarbeit zu verzichten und sich vollumfänglich den Kindern zu widmen. Allerdings wären hierfür mehrere Rahmenbedingungen unerlässlich. Erstens bräuchte es existenzsichernde Mindestlöhne, so dass keine Familie bzw. kein Haushalt gezwungen wäre, einem Zweit- oder Drittjob nachzugehen. Zweitens bräuchte es eine Gleichstellung von Frauen- und Männerlöhnen, so dass wahlweise der Mann oder die Frau den Familien- und Haushaltjob übernehmen oder ihn, was wohl die ideale Lösung wäre, zwischen sich aufteilen könnten. Drittens könnte der Beruf als Familienfrau oder Familienmann auch dadurch “aufgewertet” werden und zu einer finanziellen Entlastung führen, indem grosszügiges Kindergeld ausgerichtet würde. Viertens dürfte das Kriterium, Mutter zu sein oder “Gefahr” zu laufen, es zu werden, niemals für einen Arbeitgeber einen Hinderungsgrund bilden, eine Frau einzustellen. Fünftens müsste jedes Unternehmen verpflichtet werden, einer Frau, der die Erfahrung im ausserhäuslichen Erwerbsleben über Jahre gefehlt hat, die nötige Geduld, Zeit und Aufmerksamkeit entgegenzubringen, damit sie wieder auf den neuesten Stand gebracht werden könnte. Und sechstens sollte keine Frau – und kein Mann – für seine Familienzeit bestraft werden durch eine tiefere Rente im Alter. Die Familienarbeit müsste jeder anderen Arbeit gleichgestellt werden durch entsprechende Zuschüsse an die Altersvorsorge.

Forderungen und Ideen, die auf den ersten Blick utopisch klingen mögen. Doch das ist nur so, weil wir uns an all die bestehenden Absurditäten so sehr gewöhnt haben, dass wir uns einbilden, dies sei das einzige Mögliche. Tatsächlich aber ist diese Realität noch immer zutiefst geprägt von einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur, in der ein Banker – wohlweislich stets ein Mann – für so ziemlich den überflüssigsten Job zehn oder zwanzig Millionen Franken verdient, während sich die Mutter und Hausfrau, die so ziemlich die gesellschaftlich wichtigste Arbeit verrichtet, sich immer noch zum Nulltarif abstrampelt. Von den Kindern, die niemand gefragt hat, unter welchen äusseren Bedingungen sie aufwachsen möchten, schon gar nicht zu reden. Und doch wären gerade sie die ersten, die man fragen müsste. Denn, wie der frühere schwedische Premierminister Olof Palme sagte: “Weil unsere Kinder unsere einzige reale Verbindung zur Zukunft sind, und weil sie die Schwächsten sind, gehören sie an die erste Stelle der Gesellschaft.”