«Alles hängt mit allem zusammen»

Keine Region der Erde trifft der Klimawandel so schnell und so stark wie die Arktis. Das Meereseis reflektiert das Sonnenlicht und wirft es zurück in die Atmosphäre. Schmilzt das Eis, wird mehr Sonnenlicht vom Meer absorbiert, das Wasser erwärmt sich schneller, was wiederum dazu führt, dass noch mehr Eis noch schneller schmilzt. Die Temperaturen steigen in der Arktis doppelt bis dreifach so schnell wie im Rest der Welt… Eine der letzten unberührten Regionen der Welt wird von Tag zu Tag weniger unberührbar. Neue Abenteuer locken. Plötzlich tauchen zwischen den kleiner werdenden Eisschollen Familien auf Segelbooten auf. Surfer kommen zum Arktissurfen. Auch die Fische ziehen nach Norden. Und mit ihnen die Fischer. Die Lachszüchter. Die Kreuzfahrer. Die Kupferminen. Die Gasfirmen. Die Öltanker. «Wir haben jetzt Garnelenfischer nördlich des 83. Breitengrades. Und im Sommer Kreuzfahrtreisen mit 7000 Passagieren in Spitzbergen», sagt Birger Ingebrigtsen, Chief of Operations bei der norwegischen Küstenwache. «Zwischen all dem schmelzenden Eis ist eine Menge Geld zu verdienen», sagt der Moderator auf der diesjährigen «Arctic Frontiers»-Konferenz in Tromsø… Zudem werden 22 Prozent aller unentdeckten Öl- und Gasreserven der Welt in der Arktis vermutet. Das Rennen darauf hat begonnen, Russland sprintet vorneweg… «Hier geschieht so vieles, von dem wir noch nicht die Konsequenzen absehen können. Aber alles hängt mit allem zusammen«, sagt der Forscher Tore Haug. Und auf der Konferenz in Tromsø rief Norwegens Aussenministerin Ine Eriksen Søreide den Leuten draussen zu: «Wir haben es hier zuerst gesehen. Und bald trifft es euch.»

(Tages-Anzeiger, 26. Februar 2019)

Das Grundproblem besteht darin, dass sich weltweit die – kapitalistische – Wirtschaft zur herrschenden Vormacht aufgeschwungen hat, der alles andere untergeordnet wird. Die Welt funktioniert nicht nach den Regeln der Gerechtigkeit, der Menschenrechte, der Bescheidenheit, der Demokratie. Sie funktioniert nach den Regeln des grösstmöglichen Profits in der kürzestmöglichen Zeit. Und das weltumspannend, global – während das Politische immer noch weitgehend an die Grenzen des Nationalstaats gebunden ist. So lange die Wirtschaft nicht «entmachtet» und der Politik untergeordnet wird, nützen alle noch so gut gemeinten punktuellen Massnahmen gegen die Klimaerwärmung viel zu wenig. Eigentlich müsste man die heutigen Verhältnisse auf den Kopf stellen: Das Politische müsste sich global vernetzen, die Wirtschaft wäre auf die Grenzen des Nationalstaats zurückzubinden. Denn, wie Tore Haug es sagte: Alles hängt mit allem zusammen…