Es fehlen alternative Denkschulen

«Frauen mischen die Ökonomie auf» und «In den Wirtschaftswissenschaften ist ein Zeitenwandel im Gange» – so kommentiert der «Tages-Anzeiger» den Sachverhalt, dass zum ersten Mal in der Geschichte die drei Posten der Chefökonominnen von IWF (Gita Gopinath), Weltbank (Pinelopi Goldberg) und OECD (Laurence Boone) von Frauen besetzt sind. Zudem hat mit Emi Nakamura eine Frau die wichtigste Auszeichnung der Ökonomen nach dem Nobelpreis gewonnen: die John Bates Clark Medal der US-Ökonomenvereinigung American Economic Association.

(Tages-Anzeiger, 15. Mai 2019)

Das tönt ja alles sehr verheissungsvoll. Aber bedeuten mehr Frauen an den wirtschaftspolitischen Schaltstellen automatisch auch mehr Gerechtigkeit, faireren Handel, ausbeutungsfreie Geld- und Arbeitssysteme, ein kleineres Gefälle zwischen Arm und Reich, ökologische Wirtschaftsformen, die ein Weiterleben der Menschheit auf diesem Planeten auch noch in 50 und 100 Jahren gewähren? Schön wäre es. Doch ist zu befürchten, dass auch noch so profilierte Frauen, wie sie nun in diese Chefpositionen gewählt worden sind, letztlich nur wiederum ein Teil des – kapitalistischen – Machtapparats sein werden. Dies zeigen die Biographien dieser Frauen, die allesamt durch die renommiertesten – kapitalistischen – Denkschulen gegangen sind. Was fehlt, sind nicht in erster Linie Frauen in Chefpositionen. Was fehlt, sind alternative – antikapitalistische – Denkschulen, die in Demokratien mit ihrem Primat des freien Denkens und der freien Meinungsäusserung eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein müssten. Dass dem nicht so ist, zeigt den wahren Charakter des Kapitalismus: Er tut so, als herrschte hier totale Freiheit. In Tat und Wahrheit aber herrscht nur eine einzige Freiheit, nämlich die Freiheit des Kapitalismus, sich immer wieder aus sich selber heraus zu reproduzieren. Erst wenn tatsächlich Absolventinnen alternativer Denkschulen an die Schalthebel politischer und wirtschaftlicher Machtstrukturen gelangen werden, können wir sagen, die Ökonomie werden «aufgemischt» und ein «Zeitenwandel» komme in Gang…