«Entweder du spielst mit oder du gehst unter.»

Es sind vor allem die Grossverteiler – allen voran Migros und Coop -, die vom Geschäft mit Gemüse aus ökologischem Anbau profitieren. Zusammen sind Coop und Migros eine Marktmacht: Sie verkaufen rund 80 Prozent aller Bioprodukte in der Schweiz. Die zwei Grossverteiler stehen an der Spitze der Wertschöpfungskette. Sie diktieren die Preise, geben Richtlinien vor und bestimmen die Lieferanten. Dann folgt der Zwischenhändler, das Bindeglied zwischen Landwirten und Grossverteiler. Zuunterst in der Hierarchie: die Biobäuerinnen und Biobauern. Für viele von ihnen gerät der Bioboom zum Überlebenskampf. «Das Geschäft ist brutal hart geworden», sagt Gemüsebauer T.. Grossverteiler und Zwischenhändler würden auf den Verkaufspreis drücken. Der Preiszerfall kann am Beispiel der Süsskartoffel aufgezeigt werden. Vor zwei Jahren haben Produzenten pro Kilo noch 5 Franken erhalten. Danach sank der Preis auf 4.50 Franken, und seit letztem September erhalten die Bauern noch 3.20 Franken. Damit müssen sie sämtliche Kosten decken: Saatgut, Biodünger, Maschinen- und Arbeitskosten. T. spricht von einem Nullsummenspiel… Der Landesindex der Produzentenpreise für landwirtschaftliche Produkte ist zuletzt um 2 Prozent gesunken, während die Konsumentenpreise für Frischgemüse um fast fünf Prozent gestiegen sind. Das heisst, der Bauer verdient im Schnitt weniger, während sich die Margen der Grossverteiler vergrössern… Der Zürcher Bauernverband (ZBV) hat die Gewinnverteilung auf Produzenten und Grossverteiler für verschiedene Produkte analysiert. Das Resultat ist für die Landwirte ernüchternd. Bei der Kartoffel sei der Gewinn des Grossverteilers fünfmal höher als beim Produzenten. Bei Eiern verdienen Migros und Coop das 9-Fache, bei Äpfeln gar das 28-Fache. «Die oben in der Verwertungskette», so ZBV-Geschäftsführer Ferdi Hodel, «nehmen sich so viel raus wie möglich. Die Landwirte sind als Produzenten lediglich Restgeldempfänger.» Die Landwirte würden das volle Risiko für Produktion und allfällige Ernteausfälle tragen. Der Grossverteiler bekomme die Ware fertig geliefert und müsse sie nur noch vermarkten… Bauer T. steht unter Druck. Der letztjährige Hitzesommer verursachte hohe Mehrkosten. 1500 Franken zahlte er für Wasser, das er aus dem Hydranten bezog – pro Hektare. «Hätte meine Frau keine Arbeit ausserhalb des Hofs, würden wir nicht durchkommen», sagt T. Die Abhängigkeit vom Grossverteiler sei gross, andere Absatzkanäle könnten das Geschäft nicht ersetzen. «Entweder du spielst mit«, sagt T., «oder du gehst unter.»

(Tages-Anzeiger, 17. Mai 2019)

Verkehrte – kapitalistische – Welt. Und überall – vom Handwerker über die Fabriken bis zur Landwirtschaft – das Gleiche: Wer die elementare Arbeit verrichtet, ohne welche der gesamte «Überbau», die gesamte Wertschöpfungskette von der Vermarktung bis zum Verkauf der Produkte gar nicht möglich wäre, muss sich mit dem geringsten Teil der Entlöhnung, den unwirtlichsten Arbeitsbedingungen und dem grössten Risiko abfinden – während auf den oberen Rängen der Macht- und Ausbeutungspyramide immer grössere Profite abgeschöpft werden. Eigentlich müsste man alles Bisherige auf den Kopf stellen und die Macht denen zurückgeben, welche das Fundament des ganzen goldenen Gebäudes in täglicher Plackerei errichten. Oder sie alle müssten nur für zwei, drei Tage in einen landesweiten Streik treten. Wetten, dass die leeren Gestelle in den Supermärkten dann so einiges an gesellschaftlicher Bewegung auslösen würden…