Die Schweiz – ein Musterknabe?

Die Schweiz ist es gewohnt, gelobt zu werden. Als innovativer als alle andern, wettbewerbsfähiger als die meisten oder als Recycling-Weltmeisterin. Also nicht nur in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht, sondern auch beim umweltschonenden Umgang mit kostbaren Ressourcen erhält die Schweiz zuweilen Höchstnoten. Da kommt die Warnung der Bertelsmann-Stiftung im jüngst publizierten «Sustainable Development Report 2019» geradezu überraschend. Erst recht, da das Urteil happig ausfällt: Die Schweiz lebe stärker als jedes andere Land der Welt auf Kosten der anderen Länder. Niemand behindere die anderen so stark daran, die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO-Agenda 2030 zu erreichen. Die Bertelsmann-Stiftung ist nicht irgendwer. Und da mit Jeffrey Sachs einer der renommiertesten Ökonomen zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung dem Bericht Pate steht, lässt sich das Verdikt nicht leichtfertig ignorieren. Die Schweizer Medien haben es dennoch getan und die schlechte Nachricht verschwiegen. Es geht in diesem Bericht um sogenannt negative Spillover-Effekte, die nationale Volkswirtschaften durch ihre Verflechtungen mit der Aussenwelt auslösen. Wie wirkt sich ihr Handeln für die Umwelt, die Wirtschaft, die Finanzen, die Gouvernanz und die Sicherheit der anderen Länder aus? Wie belastend sind die Produktions- und Konsumstrukturen für andere Länder – beispielsweise über Palmöl- oder Sojaimporte, wodurch Waldrodungen in tropischen Ländern verstärkt werden? Negativ ins Gewicht fallen auch Tiefsteuerpolitiken, die zur Veruntreuung von Staatsgeldern und zu Korruption verleiten. Bewertet wird auch das Engagement der reichen Länder bei der Entwicklungshilfe, damit sich die armen Länder aus der Armutsfalle befreien können. Im Bereich Sicherheit beurteilt die Bertelsmann-Studie beispielsweise negative Folgen der Exporte leichter Waffen und die Bemühungen für Konfliktprävention und Friedenssicherung. Solche Zusammenhänge haben die Spezialisten hinter dem «Sustainable Development Report 2019» für 160 Länder von Afghanistan bis Zimbabwe nach aktuellem Kenntnis- und Forschungsstand gewichtet. Die Schweiz kommt bei ihnen am schlechtesten weg, knapp vor Singapur. Mit grösserem Abstand folgt auf Rang drei Luxemburg, vor den Vereinigten Arabischen Emiraten, vor Mauritius, Zypern und den Niederlanden, vor Kuwait, Grossbritannien, den USA und Norwegen auf Rang 10. Auch wenn es im Bericht nicht ausdrücklich formuliert ist, liegt die Vermutung nahe, dass dessen Autoren nicht zuletzt von der Schweiz erwarten, dass sie künftig die anderen Länder weniger an der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele hindert.

(www.infosperber.ch)

 

Das zeigt, wie eng im weltweiten kapitalistischen Wirtschaftsgeflecht alles mit allem zusammenhängt. Und es zeigt weiter, dass der Reichtum eines Landes wie der Schweiz – über alle diese kapitalistischen Umverteilungsmechanismen – im Grunde ein «gestohlener» Reichtum ist, erworben auf Kosten anderer, die an ihrer Entwicklung gehindert werden und den Reichtum der Reichen mit ihrer Armut bezahlen. Dass dies vor 100 oder 500 Jahren so war, zu den Zeiten von Sklavenhandel, Kolonialismus und Imperialismus, ist ja hinlänglich bekannt. Dass es aber heute immer noch so ist und die Schweiz bezüglich Profit auf Kosten anderer sogar den Spitzenplatz belegt, muss mehr als zu denken geben…