Mit «Goodies» Lehrlinge ködern

Wer bei Lidl die Lehre macht, bekommt vom Betrieb ein General-Abo geschenkt. Der Detailhändler erhofft sich damit, als attraktiver Ausbildungsbetrieb wahrgenommen werden – der Discounter hat für 2020 knapp 50 Lehrstellen zu besetzen. Doch Lidl ist nicht der einzige Händler, der solche Anreize bietet: Bei Coop gibts unter anderem einen Laptop-Gutschein im Wert von 500 Franken. Die Migros wirbt um Lernende mit zusätzlichen Ferien und finanziellen Vorteilen bei der eigenen Bank. Media-Markt gibt Lehrlingen einen Laptop, den sie nach dem Abschluss behalten dürfen. Manche Firmen locken sogar mit Geldprämien. Der Kleiderhändler Chicorée zahlt für besonders gute Noten Semesterprämien von bis zu 1100 Franken – und 600 Franken beim Lehrabschluss als Detailhandelsfachfrau. Auch bei Ikea Schweiz gibts bei guten schulischen Leistungen ein Geschenk – und Aldi Suisse stellt ausser Erfolgsprämien auch Reisegutscheine in Aussicht. Weshalb sind alle diese Firmen plötzlich so grosszügig? Die Antwort ist einfach: Es wird immer schwieriger, die offenen Lehrstellen im Bereich Detailhandel zu besetzen – derzeit sind schweizweit 7500 Lehrstellen offen und der Markt ist völlig ausgetrocknet.

(www.20minuten.ch)

Vielleicht müsste man sich, statt grosszügig Geschenke zu verteilen, einige grundsätzliche Fragen stellen. Denn der Lehrlingsmangel betrifft ja nicht nur den Detailhandel, sondern vor allem auch Handwerksberufe wie Sanitär, Maurer oder Elektromonteur, Coiffeuse und viele mehr. Drei Massnahmen könnten diesem Missstand Abhilfe schaffen: Erstens die Einführung eines Einheitslohns. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb eine Detailhandelsangestellte weniger verdienen soll als eine Juristin oder eine Kinderärztin – braucht es doch, damit Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes funktionieren, alle beruflichen Tätigkeiten und würde alles wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, wenn die auf den «unteren» Etagen Arbeitenden sich nicht Tag für Tag im Schweisse ihres Angesichts abplagten, um das Leben und Arbeiten auf den «oberen» Etagen überhaupt erst möglich zu machen. Zweitens: Alle beruflichen Tätigkeiten verdienen nicht nur den gleichen Lohn, sondern, damit verknüpft, auch das gleiche gesellschaftliche Ansehen. Es wäre dann nicht mehr eine Frage des «Prestiges», welchen Beruf ein junger Mensch ergreifen würde, ausschlaggebend wären einzig und allein das persönliche Interesse und die vorhandenen Begabungen und Talente. Drittens: Dem Lehrlingsmangel am wirkungsvollsten begegnen würde man mit einer Abschaffung der Gymnasien. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb nicht  jeder junge Mensch nach dem Abschluss der Volksschule eine praktische Berufslehre absolvieren sollte, ein Ausbildungsweg, der auf ideale Weise Praxis und Theorie miteinander verbindet – schon heute können sämtliche Berufe auf diesem Weg, mit entsprechender späterer Fort- und Weiterbildung erlernt werden. Das immense Potenzial arbeitsfähiger junger Menschen im Alter von 16 bis 20 Jahren könnte somit sinnvoll für Wirtschaft und Gesellschaft genutzt werden, statt in einer theoretischen und praxisfernen schulischen «Scheinwelt» zu verpuffen.