Zwei Milliarden Klimaflüchtlinge

Mohammed Ibrahim besass 60 Kamele. Sie waren die Lebensgrundlage seiner Familie. 55 davon sind gestorben. Verdurstet. Nun lebt er am Tschadsee, dem wichtigsten Frischwasservorkommen in Zentralafrika. 25’000 Quadratkilometer umfasste die Fläche des Lebensspenders noch in den 1960er Jahren. Doch sein Schicksal gleicht dem der Kamelherde von Ibrahim: Heute umfasst er noch 2500 Quadratkilometer Fläche – er ist um erschreckende 90 Prozent geschrumpft. Mohammed Ibrahims Geschichte zeigt, was gemäss Experten für einen Fünftel bis einen Viertel der Menschheit bis im Jahr 2050 Wirklichkeit werden wird. Denn Ibrahims Wanderung durch Niger, Nigeria und Tschad war eine Flucht aus unbewohnbar gewordenen Landstrichen nach einem Ort, in dem Leben überhaupt noch möglich ist… In Indonesien dagegen hat es nicht zu wenig, sondern zu viel Wasser: Sämtliche 17’000 Inseln des Archipels und 18’000 Kilometer Küste werden bis 2050 im Meer versunken sein. Das Meer vor Jakarta steigt jedes Jahr zwischen vier bis sechs Millimeter an. Doch die Megacity, die mit ihrem Umland für rund 30 Millionen Menschen Heimat ist, wird nicht nur vom Meer bedroht, sondern auch regelrecht verschluckt: Der Grundwasserspiegel sinkt jedes Jahr um drei bis 20 Zentimeter, wie der Klimabeauftragte des Inselstaates, Professor Rahmat Witoelar, erklärt. Er rechnet damit, dass bis 2050 65 Prozent der Bevölkerung seines Landes aus ihren angestammten Wohnorten flüchten müssen… Überflutungen, Erdrutsche, Wirbelstürme und dann wieder Dürreperioden – die südlichen und nördlichen Erdteile leiden jetzt schon ganz konkret unter den Folgen der Erderwärmung. Und in der Nähe der beiden Pole tickt eine weitere Zeitbombe: Der Permafrost muss umbenannt werden, denn permanent ist er schon längst nicht mehr. Betrug die Schmelze im sibirischen Permafrostgebiet im Jahr 1996 noch rund 45 Zentimeter Bodentiefe, sind es heute mit 87 Zentimetern bereits das Doppelte. «Wir werden hier unsere ganze Infrastruktur verlieren», sagt der Klimaökologe Nikita Zimov. Bei einer Wasseraufbereitungsanlage, die er als Beispiel zeigt, sind die Fundamente innert weniger Jahre freigelegt worden, das Erdreich, in dem das Gebäude befestigt war, ist einfach weggebrochen…  Experten erwarten bis 2050 bis zu zwei Milliarden Flüchtende, weil das Klima die Lebensgrundlage dieser Menschen zerstören wird.

(Monique Ryser, www.infosperber.ch)

Und dann sind genau jene, die bei jeder Gelegenheit gegen Flüchtlinge und Migranten hetzen, an vorderster Front mit dabei, wenn es darum geht, den menschlichen Einfluss auf die Klimaerwärmung in Frage zu stellen. Ist es wohl ihr heimlicher Wunsch, möglichst viele weltweite Flüchtlingsströme auszulösen – um aus der daraus entstehenden Fremdenfeindlichkeit politisches Kapital schlagen zu können?