Der Sonderbericht des Weltklimarats und die Angst vor dem eigenen Mut

Eigentlich wollten sie es alle sagen, aber getraut haben sie sich dann doch nicht: Es braucht einen Kurswechsel in der globalen Land- und Forstwirtschaft. Nichts anderes war zwischen den Zeilen des Sonderberichts des Weltklimarats IPCC, der gestern der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, herauszulesen. Denn, so viel ist klar, wenn im bisherigen Stil weitergemacht wird, sind die Folgen unabsehbar: Ein Viertel der eisfreien Landoberfläche läuft Gefahr zu verwüsten oder ist teilweise schon zerstört, Dürren und Starkniederschläge werden sich mit der globalen Erwärmung weiter häufen, Wassermangel und Wildfeuer werden Bauern unter anderem im Mittelmeerraum und in Afrika in ihrer Existenz bedrohen, immer mehr Menschen – bereits heute ist es eine halbe Milliarde – werden in Regionen leben, die allmählich unfruchtbar werden – vor allem in Süd- und Ostasien, um die Sahara-Region, insbesondere in Nordafrika.

(Tages-Anzeiger, 9. August 2019)

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche den Sonderbericht des Weltklimarats erarbeitet hatten, wussten schon, weshalb sie nicht Klartext sprachen und darauf verzichteten, offen und unmissverständlich einen Kurswechsel in der globalen Land- und Fortwirtschaft zu fordern. Hätten sie dies nämlich getan, dann hätten sie im gleichen Atemzug die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems fordern müssen, denn die aktuelle Landwirtschafts- und Forstwirtschaftspolitik ist nichts anderes als fester Bestandteil des weltumspannenden kapitalistischen Machtsystems, in dem Profit, Wachstum und Gewinnsteigerung die oberste Maxime sind und nicht das Wohl der Erde, der Natur, der Tiere, der Pflanzen, des Wassers, der Erde, des Menschen – und schon gar nicht des Lebens zukünftiger Generationen. Zu sehr scheinen selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich dermassen eingehend mit den gravierenden ökologischen Veränderungen unserer Tage auseinandersetzen, selber noch im eigenen kapitalistischen Denken gefangen zu sein und nicht genug Mut zu haben, aus diesem selbergebauten Denkgefängnis auszubrechen. Wie gut, gibt es die Klimajugend, die keine Angst zu haben scheint, mit bisherigen Denkschablonen und Tabus zu brechen und mit ihrer Forderung «System Change not Climate Change» die Sache haargenau auf den Punkt bringt.