Zwei Jobs und immer noch nicht genug zum Leben

Wenn andere ihren Feierabend geniessen, geht für E. (35) die Arbeit noch einmal von vorne los. Die Schweiz-Albanerin kümmert sich als Gouvernante um Zimmermädchen in einem Zürcher Nobelhotel, am Abend steht sie bei McDonald’s an der Kasse: «Das Geld reicht sonst nicht aus für unsere vierköpfige Familie. Ich sehe meine Kinder kaum. Wenn ich morgens um fünf Uhr aufstehe und zur Arbeit gehe, schlafen sie noch.» Da auch ihr Mann arbeitet, sind die Kinder oft auf sich alleine gestellt. «Einen betreuten Mittagstisch können wir uns nicht leisten.» Ganz ähnlich wie E. geht es immer mehr Menschen in der Schweiz: Neue Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Im 1.Quartal 2019 hatten 393’000 Beschäftigte zwei oder mehr Jobs. Das sind 8,7 Prozent aller Arbeitnehmenden – so viele wie noch nie. Ihre Zahl steigt seit Jahren: Waren es 1991 noch rund vier Prozent, sind es heute mehr als doppelt so viele. Und: Frauen sind deutlich häufiger mehrfacherwerbstätig als Männer. Mehr als jede zehnte weibliche Berufstätige hat zwei oder mehr Jobs, von den Männern gerade mal jeder Zwanzigste. Am weitesten verbreitet ist Mehrfacharbeit unter Hilfskräften, namentlich in der Reinigungsbranche oder auf dem Bau. Die Gewerkschaften sprechen von «prekären Arbeitsverhältnissen» – prekär bedeutet so viel wie unsicher oder problematisch. Meist verdienen die Betroffenen mit nur einem Einkommen zu wenig zum Leben, sagt Gabriel Fischer von Travailsuisse: «Ein Job alleine reicht ihnen nicht.»

(www.blick.ch)

Verrückt. Selbst wenn E. sich in zwei oder mehr Jobs rund um die Uhr abrackert, verdient sie immer noch weniger als andere mit einem einzigen Job. Und während Spitzenlöhne explodieren, Aktienkurse und Dividenden in den Himmel steigen und sich ein wachsender Bevölkerungsteil Reicher und Reichster immer teurere Luxusvergnügungen leisten können, steigt gleichzeitig die Zahl jener, die, wie E., selbst von zwei Jobs ihre Familie kaum ausreichend ernähren können, immer weiter an. Das ist Kapitalismus pur: Je mehr Reichtum und Luxus sich auf den oberen Rängen der gesellschaftlichen Machtpyramide anhäufen, umso mehr fehlt es auf den unteren Rängen selbst am Lebensnotwendigsten. Zustände, die früher oder später eigentlich zu einer Revolution und einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse führen müssten…

Und die Kinder? Das sind dann genau jene, deren Eltern man als «bildungsfern» bezeichnet und denen man vorwirft, sie seien zu wenig präsent und würden sich zu wenig um ihre Kinder kümmern. Auf dass schön alles beim Alten bleibt und diese Kinder, wenn sie dann einmal erwachsen sind, wohl auch wieder in zwei oder drei Jobs arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen…