Preisabsprachen: Als wäre es eine Todsünde

Gemäss Wettbewerbskommission (Weko) haben zwölf Bündner Baufirmen zwischen 2004 und 2010 mehrere Hundert kantonale und kommunale Strassenbauprojekte untereinander aufgeteilt. Es geht um ein Auftragsvolumen von mindestens 190 Millionen Franken. Gemäss Frank Stüssi, stellvertretender Direktor der Weko, erhöhten sich die Preise durch die Absprachen um mindestens 8 bis 10 Prozent. Für Kanton und Gemeinden entstand also ein Schaden von bis zu 19 Millionen Franken. Die Baufirmen trafen sich teilweise wöchentlich im Geheimen. Im Vorfeld eines Treffens berechneten alle Teilnehmer ihren Preis für einen bestimmten Auftrag. Der Durchschnitt aus diesen Preisen wurde dann als tiefste Offerte eingereicht. Die beteiligten Unternehmen wurden von der Weko mit total 11 Millionen Franken gebüsst.

(Tages-Anzeiger, 4. September 2019)

Ist es denn so verwerflich, wenn sich Firmen, die im gegenseitigen Konkurrenzkampf  um Aufträge stehen, gegenseitig absprechen, um sich nicht wie Freiwild gegeneinander ausspielen zu lassen? Überlässt man nämlich alles schrankenlos dem «freien Markt», so wird jede Firma, um einen Auftrag zu bekommen, gezwungen, Leistungen anzubieten, die möglichst schneller und billiger sind als jene der Konkurrenz, was sich nicht nur auf die Löhne, die Arbeitszeiten und die Gesundheit der Arbeiter auswirkt, sondern auch auf die Qualität der geleisteten Arbeit. Gegenseitige Absprachen sind ein Mittel, um realistische und menschenwürdige Bedingungen durchzusetzen, die Gesundheit der Arbeiter zu schonen, eine gute Qualität zu gewährleisten und die Aufträge auf möglichst viele verschiedene Anbieter zu verteilen – dies alles freilich zu einem Preis, der über jenem liegt, den man in einem möglichst schrankenlosen freien Markt dem «günstigsten» Anbieter hätte zahlen müssen. Was soll daran so schlecht sein? Letztlich entspringen die gegenseitigen Absprachen doch einem zutiefst menschlichen und sozialen Grundbedürfnis, nämlich dem der Verweigerung, sich als Anbieter zu gegenseitigen Feinden machen zu lassen, die, um überleben zu können, gezwungen sind, sich gegenseitig in den Boden drücken zu lassen.