Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für Entwicklungshilfe?

Bundesrat Cassis will die Schweizer Entwicklungshilfe neu ausrichten. Zukünftig sollen vor allem jene Länder in den Genuss von Entwicklungshilfegeldern gelangen, die ein Wirtschaftswachstum ausweisen. Jan Atteslander vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse unterstützt diese Stossrichtung: Wirtschaftswachstum haben bereits hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit, es sei auch Aufgabe der Entwicklungsländer selber, eine entsprechende Entwicklung anzustreben. Es gäbe, so Atteslander, dazu keine Alternative.

(www.srf.ch)

Bundesrat Cassis will also ausgerechnet jene Länder mit Geld belohnen, die – aus seiner Sicht – ohnehin schon auf «Erfolgskurs» sind. Und was ist mit allen anderen Ländern, die kein Wirtschaftswachstum ausweisen, gehen sie zukünftig leer aus? Bräuchten sie nicht umso mehr Unterstützung für ihre Entwicklung? Und überhaupt: Gäbe es nicht noch andere Kriterien als das Wirtschaftswachstum, die man heranziehen könnte, um die Kreditwürdigkeit eines Landes zu definieren? Zum Beispiel, wie viel das Land in Bildung, Gesundheit und Sozialprogramme investiert. Oder, welche Massnahmen das Land trifft, um das Gefälle zwischen Arm und Reich zu verringern. Oder, wie konsequent das Land gegen Misswirtschaft und Korruption vorgeht. Oder, wie nachhaltig und umweltfreundlich Rohstoffabbau, Industrie und Landwirtschaft betrieben werden. In einer Zeit, da das kapitalistische Wachstumsmodell angesichts der drohenden Klimakrise immer mehr in Frage zu stellen ist, in einer solchen Zeit ausgerechnet das Wirtschaftswachstum als Hauptkriterium für die Vergabe von Entwicklungshilfe zu definieren, ist mit dem besten Willen nicht nachvollziehbar. Und wenn dann die Economiesuisse noch nachdoppelt und sogar behauptet, es gäbe zum kapitalistischen Wachstumsmodell keine Alternative, dann zeigt dies erst recht die Blindheit und Rückwärtsgewandtheit unserer heutigen «Wirtschaftselite». Natürlich gibt es zum Kapitalismus eine Alternative. Es muss eine solche geben, ausser man hat sich bereits damit abgefunden, dass die Menschheit die nächsten 100 Jahre ohnehin nicht überlebt. Wie diese Alternative aussehen wird, das wissen wir heute allerdings noch nicht oder höchstens in ein paar wenigen Ansätzen. Umso wichtiger, auch Staaten, Volkswirtschaften und Wirtschaftsmodelle zu unterstützen, die noch nicht blindlings auf den kapitalistischen Wachstumspfad eingeschworen sind und vielleicht gerade deshalb über günstigere Voraussetzungen verfügen, von Grund auf neue, kreative und zukunftsträchtige Wege zu erproben.