Entweder ist alles im Gleichgewicht oder es ist alles durcheinander

Sollte die Politik nicht nur Gesinnungsgrün, sondern auf richtig Grün umschalten, wird sie ziemlich sicher auch ungerechter werden. Die Idee der Gleichheit, insbesondere was den Wohlstand betrifft, muss dann auch offiziell vom Tisch. Ökologisch gesehen genauso wichtig, wie dass wir Reichen unseren Wohlstand runterschrauben, ist, dass die, die noch nicht so viel haben wie wir, nicht noch mehr bekommen.

(Christoph Zürcher, NZZ am Sonntag Magazin, 27. Oktober 2019)

Es wäre fatal, wenn Massnahmen zum Klimaschutz dazu führen würden, dass sich die sozialen Gegensätze zwischen Arm und Reich weiter vertiefen. Wir würden dann in einer Welt leben, in der sich ein Viertel der Menschheit weiterhin jedes mögliche und unmögliche Luxusvergnügen leisten könnten, während die übrigen drei Viertel davon ausgeschlossen blieben. Das kann und darf auf keinen Fall das Ziel einer wirksamen und zugleich möglichst gerechten Klimapolitik sein. Deshalb müssen die Klimafrage und die soziale Frage miteinander gekoppelt und gleichzeitig gelöst werden. Was würde das konkret bedeuten? Sämtliche Lebensgüter, die Nahrung, die Rohstoffe, all das, was die Erde hervorbringt, um uns ein gutes Leben zu ermöglichen, aber auch alle öffentlichen Dienste, welche die materielle, medizinische und soziale Versorgung gewährleisten, all das muss gerecht und gleichmässig auf sämtliche Bewohner und Bewohnerinnen der Erde verteilt werden. Es gibt keine einzige plausible Rechtfertigung dafür, dass ein Kind, bloss weil es in Afrika und nicht in Europa geboren wurde, ein schlechteres Leben haben sollte. Alles ist unter alle zu teilen. Zu dieser Vision einer grenzenlosen globalen Gerechtigkeit gehört auch, so utopisch dies im Moment auch klingen mag, die Vision eines globalen Einheitslohns pro Arbeitsstunde. Denn es lässt sich durch nichts begründen, dass ein kongolesischer Minenarbeiter und eine chinesische Fabrikarbeiterin weniger verdienen sollte als ein schwedischer Computerspezialist oder eine kanadische Zahnärztin. Wenn wir es erst einmal verinnerlicht haben, dass alles allen gehört, dann ist die Einführung eines Einheitslohns nur logisch. Und damit wäre auch die Klimafrage gelöst: Alle Menschen weltweit hätten beim Erwerb von Gütern, Lebensmitteln und Freizeitangeboten die genau gleich langen Spiesse. Alle Menschen hätten Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu medizinischer Grundversorgung, zu ausreichender Ernährung und Bildung. Aber Privatautos gäbe es dann höchstwahrscheinlich nicht mehr und Flugzeuge zu Ferienzwecken erst recht nicht. Auch so absurde Dinge wie das Reisen auf einem Kreuzfahrtschiff würden dann endgültig der Vergangenheit angehören. Das heisst nichts anderes, als dass durch die Lösung der sozialen Frage auch die Klimafrage gelöst wäre, nicht auf der Grundlage wachsender Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern, ganz im Gegenteil, auf der Grundlage grenzenloser sozialer Gerechtigkeit. Denn der Friede mit der Erde und mit der Natur ist untrennbar verbunden mit dem Frieden und der Gerechtigkeit zwischen den Menschen. Entweder ist alles im Gleichgewicht oder es ist alles durcheinander.