Kapitalistische Wirtschaft als Religion?

Gemäss einer Befragung von Travail Suisse fühlen sich 42 Prozent der Befragten in ihrer Arbeit häufig gestresst, das sind zwei Prozent mehr als vor einem Jahr. 17 Prozent machen sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, drei Prozent mehr als vor einem Jahr. Grösser geworden ist auch die Unzufriedenheit bezüglich Gesundheit, sie hat von 38,9 auf 40,7 Prozent zugenommen. Auch bei der Sicherheit (von 32,4 auf 33,4 Prozent) und bei der Motivation (von 30 auf 31,2 Prozent) sind die Unzufriedenheitsraten angestiegen. Dazu der Kommentar von Roland A. Müller, Direktor Schweizer Arbeitgeberverband: «Die Arbeitnehmer empfinden offensichtlich die generellen Rahmenbedingungen, die globalen Arbeitsbedingungen, generell die wirtschaftliche Situation zum Teil als Belastung. Das kann der einzelne Arbeitgeber nicht ändern, weil er eben Teil der Wirtschaft ist.»

(Fernsehen SRF1, Tagesschau, 11. November 2019)

Hoppla. Eine solche Aussage hätte ich vielleicht von einem chinesischen Parteifunktionär erwartet. Von einem mittelalterlichen Bischof könnte sie auch stammen. Oder vom französischen König Louis XIV zur Zeit des Absolutismus. Ist sich Roland A. Müller bewusst, was er da gesagt hat? Da kann der Einzelne nichts machen, das ist die Wirtschaft. Amen. Eine höhere Macht, auf die wir keinen Einfluss haben. Das ist nichts weniger als Totalitarismus, das Gegenteil von Demokratie. Und spricht den Einzelnen von jeglicher Verantwortung und Schuld frei. Wahrscheinlich würde Roland A. Müller in Bezug auf den Klimawandel ähnlich argumentieren: Ja, es ist schlimm, aber da kann der Einzelne nichts machen, weil wir eben alle Teil der Wirtschaft sind…