Überwindung des Kapitalismus: ein Flop?

Der Rücktritt von Parteipräsident Christian Levrat löst innerhalb der Partei eine breite Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der SP aus. Auch der Tages-Anzeiger befasst sich mit diesem Thema. Und zieht eine Bilanz der bisherigen SP-Politik. Dabei werden drei Tops und drei Flops genannt. Einer der Flops ist aus Sicht des Tages-Anzeigers das Ziel einer «Überwindung des Kapitalismus» – ein Postulat, das «gegen den Willen des Parteipräsidenten» und nur auf Druck der Juso ins Parteiprogramm aufgenommen worden sei. Nicht wenigen SP-Politikern und -Politikerinnen am «rechten» Rand der Partei wäre es am liebsten, wenn die Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus lieber heute als morgen wieder aus dem Parteiprogramm verschwinden würde.

(Tages-Anzeiger, 13. November 2019)

Wenn wir die heutige Welt betrachten, dann haben all jene Probleme, unter denen die Menschheit am meisten leidet, mit der globalen Dominanz des auf permanente Profitmaximierung und Ausbeutung von Mensch und Natur ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaftssystems zu tun – von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich bis hin zum Klimawandel. Dennoch bewegen sich Politiker und Politikerinnen sowie politische Parteien weltweit fast ausschliesslich immer noch im Denksystem des Kapitalismus – mit dem Resultat, dass wir die grossen Probleme weiter vor uns herschieben und keiner dauerhaften Lösung näherkommen. Es braucht daher eine radikal neue Herangehensweise, eine Überwindung des herrschenden Denksystems, eben: eine Überwindung des Kapitalismus. Nichts wäre daher so falsch, als wenn die SP auf das Ziel einer Überwindung des Kapitalismus verzichten würde. Im Gegenteil: Mit diesem Ziel vermittelt die SP über das politische Alltagsgeschäft hinaus eine Vision, welche mit der Zeit sogar immer mehr Menschen, die sich heute für Politik nicht interessieren oder aufgrund ihrer Lebenssituation bereits resigniert haben, begeistern könnte. Denn die Zahl jener Menschen, die spüren, dass sich heute ganz grundsätzlich zu vieles in eine falsche Richtung bewegt, wird wohl in Zukunft kaum kleiner, sondern eher immer grösser werden.