Finnland und Neuseeland: Kapitalismus contra Demokratie

Zuerst Neuseeland, dann Finnland: In beiden Staaten sind junge Frauen an die Regierungsspitze gewählt worden, die ihr Land mit neuen Ideen in die Zukunft führen wollen. In Neuseeland hat die 2017 gewählte Premierministerin Jacinda Ardern (39) versprochen, das Bruttoinlandprodukt durch einen Wohlfühlindex zu ersetzen. In Finnland will die im Dezember 2019 eingesetzte Ministerpräsidentin Sanna Marin (34) ebenfalls die Sparbremse lösen und den Wohlfahrtsstaat ausbauen. Nun aber erleiden beide Regierungschefinnen einen Rückschlag. In Neuseeland liegt der Grund bei einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Und in Finnland hat die Finanzratingsagentur Fitch dafür gesorgt, dass der jungen Ministerpräsidentin nun ein eisiger Wind ins Gesicht bläst. Fitch hat nämlich vergangene Woche das 2018 ausgesprochene Versprechen, Finnland von AA+ wieder in die Top-Position AAA anzuheben, zurückgenommen. Jan von Gerich, Chefanalyst beim Finanzinstitut Nordea, kommentiert auf Twitter: «Fitch hat die Aussichten Finnlands aus Gründen wie der lockeren Finanzpolitik der Regierung, der Stagnation der Strukturreform, der Verwässerung des Wettbewerbspakts und der Zunahme der politischen Instabilität herabgestuft.» Man müsse alles unternehmen, um den entgegengesetzten Kurs einzuschlagen. Für die beiden jungen Hoffnungsträgerinnen in Neuseeland und Finnland bedeutet das eine Schlappe. Sie waren gekommen, um mit grossem Enthusiasmus und neuen Ideen das Steuer herumzureissen. Nun werden sie von der Realität eingeholt.

(www.blick.ch, 30. Januar 2020)

Die Beispiele zeigen, wie eng die roten Linien sind, welche der Kapitalismus der Demokratie setzt. Demokratie mag gut und recht sein, so lange man sich an die kapitalistischen Regeln hält und diese nicht verletzt. Kommen durch demokratische Wahlen Volksvertreter oder Volksvertreterinnen an die Macht, deren Ideen und Visionen kapitalistischem Profit- und Gewinndenken diametral widersprechen, dann schlägt der Kapitalismus gnadenlos zu und lässt die unliebsamen Politiker und Politikerinnen erbarmungslos im Regen stehen. Besonders krass ist es im Fall von Finnland: Die Ratingagentur Fitch verweigerte dem Land eine Aufstufung seiner Kreditwürdigkeit wegen “lockerer Finanzpolitik”, “Stagnation von Strukturreformen”, “Verwässerung des Wettbewerbspakts” und “Zunahme der politischen Instabilität”. Nicht die finnische Bevölkerung und die von ihr gewählte Regierung bestimmen also den zukünftigen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Kurs des Landes, sondern eine private, demokratisch nicht legitimierte Institution in den fernen USA, für die Finnland nichts anderes ist als eines von weltweit rund 200 kapitalistischen Ländern, das bitteschön so wie alle anderen brav zu gehorchen hat. Umso begrüssenswerter der Mut, mit dem diese Frauen an der Spitze von Finnland und Neuseeland offensichtlich nicht so schnell bereit sind, ihre Visionen aufzugeben. Mögen es doch in Bälde schon viele andere ihnen gleichtun – damit sich die über Jahrhunderte gebauten Mauern früher oder später nicht mehr zu wehren vermögen gegen die unzähligen neuen Pflanzen, die an allen Ecken und Enden aus ihnen hervorspriessen, um sie eines Tages endgültig zum Einsturz zu bringen…