Es ist schwer vorstellbar, dass die Amerikaner Bernie Sanders zum Präsidenten wählen würden. Sanders schwebt ein totaler Umbau Amerikas vor. Er möchte das Gesundheitswesen verstaatlichen, die Studiengebühren abschaffen sowie Studentendarlehen von 1,6 Billionen Dollar erlassen, er will allen Bürgern einen Job garantieren, bei grossen Firmen einen Fünftel des Aktienkapitals der Belegschaft übergeben und das Fracking verbieten. Fachleute schätzen die Kosten seiner Revolution auf 60 Billionen Dollar für das kommende Jahrzehnt. Zahlen sollen dafür Konzerne und Reiche.
(NZZ am Sonntag, 16. Februar 2020)
Wenn die Kosten das einzige Argument gegen das politische Programm von Bernie Sanders sind, dann lässt sich dieses leicht entkräften. Ist doch alles, was wir heute an Kosten „einsparen“, ein blosses Hinausschieben in eine immer gefährlicher und unsicher werdende Zukunft. Beispiel Klimawandel: Schon in fünf oder zehn Jahren könnten die durch die Klimaerwärmung, durch Dürren, Unwetter und den ansteigenden Meeresspiegel verursachten Kosten jene 60 Billionen Dollar, die Bernie Sanders Programm angeblich verursachen werden, um ein Mehrfaches übersteigen. Beispiel Finanzsystem: Ein höchst zerbrechliches Gebilde, das schon in wenigen Jahren in sich zusammenbrechen und ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reissen könnte. Beispiel soziale Kluft zwischen Arm und Reich: Volksaufstände wie im Irak, in Chile oder Argentinien sind wohl erst der Anfang, früher oder später werden auch in den USA und in vielen weiteren Ländern des Nordens die von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffenen Menschen auf die Strassen gehen, ungeahnte soziale Erschütterungen könnten die Folge sein. Beispiel militärische Rüstung: Immer höhere Summen werden weltweit für sinnlose militärische Aufrüstung verschleudert, wobei die USA beinahe so viel Geld ausgeben wie alle anderen Länder zusammen. Doch das Produzieren der Waffen ist nur das eine – das andere ist die Horrorvorstellung, dass diese Waffen eines Tages auch tatsächlich zum Einsatz kommen könnten und dann höchstwahrscheinlich Kosten verursachen würden, die man sich gar nicht mehr vorzustellen vermag. Ein US-Präsident, der für eine Politik des sozialen Ausgleichs, für griffige Massnahmen gegen den Klimawandel und für internationale Dialogbereitschaft anstelle gegenseitiger Drohungen und eines immer massloseren Wettrüstens einsteht, ein solcher US-Präsident würde uns zukünftige gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und menschliche Kosten ersparen, die jene 60 Billionen Dollar, die sein politisches Programm erfordern würde, um ein Vielfaches übersteigen würden.