Ostersonntag und der vorauseilende Gehorsam allzu eifriger Staatsdiener

Ostersonntag bei herrlichem Wetter. Der Parkplatz in Wasserauen auf dem Alpstein ist gut gefüllt. Wandervolk schwärmt nach allen Seiten aus. Dies sehr zum Missfallen der Polizei: “Mit dem Karfreitag und dem Karsamstag bin ich sehr zufrieden”, so Roland Koster, Mediensprecher der Kantonspolizei AI, “aber mit dem heutigen Ostersonntag bin ich nicht zufrieden, die Leute haben sich leider nicht an den Aufruf des Bundesrates gehalten, zuhause zu bleiben. Wir stellen auch fest, dass das jetzt nicht die üblichen Wanderer sind, die auch sonst den Alpstein besuchen. Das sind Leute, die sich sonst eher an einem Fluss oder im Flachland bewegen. Und auch das Schuhwerk deutet darauf hin, dass dies nicht die typischen Wanderer sind.” Allerdings, so räumt Koster ein, seien die Abstandsregeln vollumfänglich eingehalten worden und es hätte keine einzige Busse ausgesprochen werden müssen.

(Tagesschau, Schweizer Fernsehen SRF1, 12. April 2020)

Habe ich etwas falsch verstanden? Bis jetzt bin ich davon ausgegangen, dass, solange die Abstandsregeln eingehalten werden, Spazieren, Joggen und Wandern im Freien nicht verboten sind. Wäre das alles wirklich verboten, dann hätte ja der Bundesrat irgendwann eine Ausgangssperre verhängen müssen. Hat er aber nicht. Der Nutzen einer solchen Ausgangssperre wäre auch gar nicht einzusehen, dient doch die Bewegung im Freien nicht nur der Gesundheit und dem psychischen Wohlbefinden, sondern vor allem auch der Stärkung des Immunsystems. Was also führt den Mediensprecher der Kantonspolizei AI zur Aussage, er sei mit dem Verhalten der Wandersleute “nicht zufrieden”, obwohl sich alle an die Abstandsregeln hielten und keine einzige Busse ausgesprochen werden musste? Und wie kommt er auf die Idee, diese Wandersleute aufgrund ihres Schuhwerks als “nicht echte” Wanderer zu bezeichnen, sondern als Leute, die sich üblicherweise eher “im Flachland” oder “an Flüssen” aufhalten? Koster scheint zu jenem – offensichtlich wachsendem – Teil der Bevölkerung zu gehören, die sich darin gefallen, andere zu diffamieren, zu denunzieren oder, im Extremfall, sogar zu kriminalisieren. Wie jener ältere Passant, der eine vorbeilaufende Joggerin mit wüstesten Beschimpfungen eindeckte. Oder wie jene Gruppe von Jugendlichen, die sich einem älteren Ehepaar in den Weg stellten und ihnen damit drohte, sie bei der Polizei anzuzeigen. Oder wie jene zahlreichen Leser und Leserinnen der Gratiszeitung “20 Minuten”, die “fehlbare” Mitbürgerinnen und Mitbürger aufspüren und dann die entsprechenden Fotos und Videoaufnahmen der Redaktion zuschicken. Unglaublich, wie rasch eine freiheitlich-demokratische Ordnung angesichts einer äusseren Bedrohung in etwas umzukippen droht, was man schon eher als Anfänge einer Diktatur bezeichnen müsste – blinder vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Staat, Bespitzelungen, Denunziantentum, Verfolgung und Ächtung Andersdenkender…