Der Sturm auf die Statuen von Rassisten und Sklavenhaltern: Doch so einfach können wir uns nicht aus der Geschichte davonstehlen

Von den USA über Grossbritannien bis Belgien ist ein nie da gewesener Bildersturm im Gange: Ausgelöst durch die brutale Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten, werden allerorten Statuen berühmter Persönlichkeiten, die durch Sklavenhandel und Rassismus reich wurden, besprayt, eingehüllt, geschleift, geköpft oder ins Meer geworfen. Auch in der Schweiz gibt es Bemühungen, Statuen uns Porträts von Profiteuren des rassistischen Kolonialismus aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Diese Aufarbeitung müsste aber noch viel weiter gehen. Denn die Verbrechen, welche vom britischen Sklavenhändler Edward Colston, vom belgischen König Leopold II, vom Schweizer Bankier David De Pury und ihren zahllosen Gesinnungsgenossen begangen wurden, sind nicht bloss das böse Werk einzelner Übeltäter. Nein, sie bildeten nichts anderes als die Grundlage und die Wurzeln jenes über die Jahrhunderte immer weiter in die Höhe geschossenen kapitalistischen “Baumes”, von deren Früchten wir, die reichen Länder des Nordens, bis heute mit profitieren. Sonst wäre nicht zu erklären, weshalb die Schweiz als Land ohne Rohstoffe und mit einer so kargen Erde, dass sie sich nicht einmal zur Hälfte aus eigener Kraft ernähren kann, heute das reichste Land der Welt ist, während ausgerechnet jene Länder, die über die reichsten Bodenschätze und die fruchtbarste Erde verfügen, zu den ärmsten Ländern der Welt gehören. Wenn man David de Pury köpfen wollte, dann müsste man eigentlich auch das schweizerische Bankensystem und die multinationalen Konzerne köpfen, ja letztlich uns alle, die wir auch heute noch von all jenen längst vergangenen Verbrechen profitieren. Denn, wie es der Journalist Andreas Tobler so treffend formulierte: “Indem wir Statuen damaliger Sklavenhalter köpfen, können wir uns nicht aus der Geschichte davonstehlen.” Was vorbei ist, können wir allerdings nicht mehr ändern. Was wir aber können, ist, dafür zu sorgen, dass der kapitalistische Baum nicht noch immer weiter in die Höhe schiesst und immer noch wildere Blüten treibt. Hierzu bedürfte es aber einer tiefgreifenden Umgestaltung unseres bisherigen, von der Macht des Geldes und von der gegenseitigen Ausbeutung bestimmten Wirtschaftssystems. Einer Umgestaltung, die weit radikaler wäre als das Köpfen und ins Meer Werfen längst verstorbener Bösewichte.