Der Kapitalismus belohne jene, die der Geselllschaft nützen: Schön wäre es…

Zürcher Jungunternehmer sind mit Corona-Masken so reich geworden, dass sie sich aus dem Gewinn zwei Bentleys und einen Ferrari für mindestens 2,5 Millionen Franken kaufen konnten. So funktioniert der Kapitalismus: Wer der Gesellschaft nützt, profitiert.

(Edgar Schuler, in: Tages-Anzeiger, 26. Juni 2020)

Man muss schon zwei Mal hinschauen, um es zu glauben. Und es steht ja nicht in irgendeinem Boulevardblatt, sondern im Leitartikel einer der führenden Tageszeitungen unseres Landes: Wer der Gesellschaft nütze, der profitiere – so funktioniere der Kapitalismus. Was müssen sich die hunderttausenden Fabrikarbeiter, Serviceangestellte, Krankenpflegerinnen, Gärtner, Coiffeusen, Bauarbeiter, Köche, Verkäuferinnen, Putzfrauen und  Lastwagenfahrer wohl denken, wenn sie diesen Satz lesen? Sie, die täglich schwerste Arbeit verrichten und dennoch von ihrem Lohn kaum leben können oder sogar so wenig verdienen, dass es nicht einmal für das Allernotwendigste ausreicht. Ist die Arbeit, die sie verrichten, nicht genau so oder vielleicht sogar noch nützlicher als das Geschäft jener Zürcher Unternehmer mit dem Kaufen und Verkaufen von Masken? Und hätten sie dann demzufolge auch Anspruch auf einen Bentley oder einen Ferrari? Dass der Kapitalismus jene belohne, die für die Gesellschaft nützlich sind, diese Behauptung kann nur aufstellen, wer die Augen völlig verschliesst gegenüber der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realität. Tatsächlich ist der Kapitalismus jene Gesellschaftsform, in der ausgerechnet jene Menschen, welche die nützlichste und wertvollste Arbeit verrichten und auf deren Schultern das ganze Gebäude lastet, von den Segnungen des Wohlstands, den sie erarbeiten, beinahe gänzlich ausgeschlossen sind. Bis sie alle einen Ferrari oder Bentley besitzen, bis dahin ist noch ein weiter Weg…