Dringend nötige Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens: Damit niemand mehr am Abend an einem leeren Esstisch sitzen muss..

Nicht nur in Brasilien und Mexiko, sondern auch in Bolivien, Peru, Argentinien und Kolumbien wütet das Coronavirus wie nie zuvor. Viele Länder hatten zwar früh reagiert und entschiedene Vorsichtsmassnahmen getroffen. Aber alte Probleme der Region sind in der Pandemie zur tödlichen Bedrohung geworden. So haben Millionen Menschen in Lateinamerika keinen festen Job oder Arbeitsvertrag. Sie können sich eine Quarantäne nicht leisten, denn bleiben sie zuhause, verdienen sie nichts – und abends bleibt der Esstisch leer.

(Tages-Anzeiger, 4. August 2020)

Sich eine Quarantäne nicht leisten können, heisst nichts anderes als: es sich nicht leisten können zu überleben, sondern gezwungen sein, Lebensbedingungen zu akzeptieren, die möglicherweise zu einer schweren Erkrankung oder gar zum Tod führen können. Vogel friss oder stirb – nach dieser Devise sahen sich schon vor der Coronaepidemie weltweit Milliarden Menschen Tag für Tag vor die Wahl gestellt, entweder einer Arbeit nachzugehen, und sei sie noch anstrengend, gefährlich oder entwürdigend, oder aber keine Arbeit zu haben und am Abend an einem leeren Esstisch zu sitzen. Eigentlich eine direkte Fortsetzung der früheren Sklavenarbeit, denn diese Milliarden von Menschen hätten ja niemals freiwillig diese unmenschliche und entwürdigende Arbeit verrichtet, wenn sie nicht die einzige Alternative zu Armut, Hunger und Elend gewesen wäre. Höchste Zeit, dies zu ändern. Hierfür würde sich wohl nichts besser eignen als die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, um Leben und Arbeit zu entkoppeln und jedem Menschen, unabhängig davon, ob er einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht, ein Leben in Anstand und Würde zu garantieren, damit niemand mehr, aber wirklich niemand mehr am Abend an einem leeren Esstisch sitzen müsste. Den Gegnern eines solchen Modells bleibt meist, nachdem alle anderen Einwände entkräftet werden konnten, nur noch das Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bewohner und Bewohnerinnen dieses Planeten wäre nicht finanzierbar. Doch dieses Argument ist leicht zu entkräften: Führen wir uns nur mal vor Augen, was für astronomische Geldsummen an den Börsen und Aktienmärkten gehandelt und in Riesenblasen rund um den Globus gejagt werden. Schauen wir uns an, wie viel Geld weltweit für militärische Rüstung ausgegeben wird. Sehen wir uns die Ausgaben für die Raumfahrt an. Vergegenwärtigen wir uns, wie viel Geld in einer unendlichen Zahl von Luxusprodukten steckt, die sich ausschliesslich das reichste Fünftel der Menschheit leisten kann. Rechnen wir aus, wie viele Menschen weltweit um ein Vielfaches mehr verdienen, als für ein gutes Leben notwendig wäre. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten wir uns locker leisten, und dies weltweit. Was für ein Segen wäre das für die Menschheit! Stellen wir uns vor, jeder Mensch hätte jederzeit die freie Wahl, ob er einer Erwerbsarbeit nachgehen wollte oder nicht. Niemand wäre mehr gezwungen, einer Arbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen nachzugehen und sich gegen seinen Willen und alle Menschlichkeit ausbeuten zu lassen. Könnten wir aus der gegenwärtigen Coronakrise mit all ihren verheerenden Auswirkungen etwas Besseres lernen als dies?