Coronakrise: Haben nur Pflegende und Detailhandelsangestellte eine Lohnerhöhung verdient?

Lieber bestehende Arbeitsplätze erhalten, als höhere Löhne, diese Haltung vertritt der Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse und nennt als Beispiel das Gastgewerbe. Allerdings gebe es auch Branchen, in denen höhere Löhne gerechtfertigt seien. So hätten die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen und im Detailhandel stark zur Bewältigung der Coronakrise beigetragen, hier sei eine Lohnerhöhung von einem Prozent angebracht.

(www.srf.ch)

Soll sich das Personal im Gesundheitswesen und im Detailhandel tatsächlich mit einer so lächerlichen Lohnerhöhung von gerade mal einem Prozent zufriedengeben? Bedenklich, dass selbst Gewerkschaften in ihren Forderungen derart bescheiden geworden sind. Noch viel bedenklicher aber erscheint mir die Argumentation, wonach es Branchen gäbe, die stark zur Bewältigung der Coronakrise beigetragen hätten, und andere, bei denen dies offensichtlich nicht der Fall sei. Wie könnte man denn die Coronakrise überwinden, wenn nicht Abertausende von Zimmerleuten, Maurern, Malern und Installateuren all die Spitäler gebaut hätten, in denen die Coronakranken gepflegt werden? Wer hat all die Schutzanzüge und all die Masken genäht, die zum Schutz sowohl der Kranken wie auch der Pflegenden unentbehrlich sind? Wer reinigt Betten, Räume, Toiletten und Geräte in den Spitälern, damit möglichst keine Ansteckungsgefahr besteht? Wer sorgt tagtäglich dafür, dass wir alle, ob Kranke, Gesunde, Schutzbedürftige oder Pflegende, stets ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind? Und wer transportiert all die Güter, die nicht nur im Kampf gegen das Coronavirus, sondern ganz allgemein zur Sicherung der Lebensqualität notwendig sind, über Tausende von Kilometern tagtäglich von Stadt zu Stadt, von Land zu Land? Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Und alle diese Tätigkeiten werden zu Löhnen verrichtet, die nicht selten noch um einiges tiefer sind als jene des Pflegepersonals und der Detailhandelsangestellten. Fairerweise müsste man auch für sie alle eine Lohnerhöhung fordern, Corona hin oder her. Denn so lange hierzulande die höchsten Einkommen rund 300 Mal höher sind als die niedrigsten, so lange es eine halbe Million Menschen gibt, die so wenig verdienen, dass sie davon nicht einmal leben können, und so lange die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer ein Privatvermögen von über 700 Milliarden Franken besitzen, so lange ist das Feilschen um winzige Lohnerhöhungen einzelner schlecht gestellter Branchen reine Erbsenzählerei. Von Gerechtigkeit könnten wir erst dann sprechen, wenn all jene, die mehr verdienen und mehr besitzen als der Durchschnitt, zumindest einen Teil davon abgäben zu Gunsten all jener, die weniger verdienen und weniger besitzen als der Durchschnitt. Aber bis dahin ist wohl noch ein weiter Weg…