Besetzung des Bundesplatzes durch die Klimabewegung: Wo liegt das eigentliche Problem?

 

In der Nacht von Sonntag auf Montag errichteten mehrere hundert Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen auf dem Bundesplatz in Bern ein Zeltlager. Sie wollen sich in zivilem Ungehorsam üben, weil die Politiker den Klimaschutz zu wenig entschlossen vorantrieben. Die Reaktion der Parlamentarier und Parlamentarierinnen, die diese Woche ihre Herbstsession abhalten, lässt nicht lange auf sich warten: Insbesondere bürgerliche Parlamentarier reagierten erzürnt auf die Aktion und eine Mehrheit von National- und Ständerat fordert von der Stadt Bern die unverzügliche Räumung des Platzes.

(Tages-Anzeiger, 22. September 2020)

 

“Wir haben ein Problem”, sagt der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried. Damit hat er zweifellos recht. Nun liegt dieses Problem aber weit weniger bei der friedlichen Besetzung des Bundesplatzes durch ein paar hundert Aktivisten und Aktivistinnen als bei der Tatsache, dass eine gigantische Klimaerwärmung mit unabsehbaren Folgen für das Überleben der gesamten Menschheit auf uns zukommen wird, wenn wir nicht unverzüglich drastische Massnahmen dagegen ergreifen. Das eigentliche Hauptproblem befindet sich nicht auf dem Bundesplatz. Es befindet sich im Bundeshaus selber, wo sich die Mehrheit der Politiker und Politikerinnen nach wie vor weigern, endlich mutig und unvoreingenommen jene Gesetze zu erlassen, die das Problem der Klimaerwärmung nicht bloss wie eine heisse Kartoffel vor sich herschieben, sondern tatsächlich einer Lösung in absehbarer Zeit näherbringen. Das führt uns auch zur Frage der “Illegalität” und der “Legalität”. In einer bis zur Unkenntlichkeit verzerrten Wahrnehmung empfindet offensichtlich die Mehrheit der Bevölkerung ein Zeltlager auf dem Bundesplatz als “illegal”, während zweifellos das Abhalten einer National- und Ständeratssession etwas völlig “Legales” ist. Der Tages-Anzeiger spricht sogar im Zusammenhang mit den Aktionen der Klimajugend von einem “Angriff auf das Zentrum der Macht”. Doch ist nicht die fehlende Entschlossenheit der Politiker und Politikern und das damit verbundene Inkaufnehmen einer tödlichen Bedrohung von Milliarden nach uns geborenen Menschen das eigentliche Illegale und der eigentliche Angriff auf das überhaupt allerhöchste Gut, nämlich das Leben? Radikal und extrem ist nicht die Klimajugend. Radikal und extrem sind all jene Wirtschaftsleute, Politiker und Politikerinnen und Machtträger des Systems, die sich immer noch weigern, die Stimmen der Jugend wahrzunehmen und von ihnen zu lernen. Schade, dass ihnen nichts Gescheiteres in den Sinn kommt, als die jungen Menschen aus ihrem Blickfeld zu verbannen und sich auf diese Weise ihres schlechten Gewissens zu entledigen. Schade, denn es wäre eine einzigartige Chance, wenn sich die Parlamentarier und Parlamentarierinnen vor und nach ihren Sitzungen auf dem Bundesplatz unter die jungen Menschen mischen und sich auf sie einlassen würden, um von ihnen zu lernen, sie hätten es bitter nötig…