Das demokratische Recht darauf, ein “Systemveränderer” oder eine “Systemverändererin” zu sein

 

Nicht wenigen bürgerlichen Politikern und Politikerinnen ist die Besetzung des Berner Bundesplatzes am 21. und 22. September 2020 offensichtlich ganz gehörig in die Knochen gefahren und sie überbieten sich seither gegenseitig bei der Bezeichnung der beteiligten Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen mit Begriffen wie “Chaoten”, “Rechtsbrechern”, “Krawallmachern” und “Systemveränderern”. Damit entziehen sie sich jeglicher sachlicher Auseinandersetzung. Wem man nämlich erst mal das Etikett eines “Übeltäters” um den Hals gehängt hat, mit dem wird man bestimmt nicht mehr sprechen und ihm auch nicht mehr zuhören. Dass aber auch der Begriff des “Systemveränderers” zu diesen Negativkategorien zählt, muss doch einigermassen zu denken geben, ist doch die Systemveränderung nichts anderes als das tägliche Brot in fast jeder seriös betriebenen beruflichen Tätigkeit. Erzielt der Arzt mit seiner Therapie keinen Erfolg, dann wird er das Konzept – das System – überprüfen und unter Umständen eine neue Strategie einschlagen. Wenn das Auto nicht mehr fährt, wird die tüchtige Automechanikerin nicht nur den Motor, sondern auch die gesamte Steuerung und Elektronik – eben das System – kontrollieren und die nötigen Massnahmen ergreifen. Wenn ein Geschäft Kunden verliert, dann wird ein Berater beigezogen, um mögliche Schwachstellen des Unternehmens – des Systems – aufzudecken und Verbesserungsvorschläge zu präsentieren. Was für die medizinische Therapie, für das kaputte Auto und die serbelnde Firma gilt, soll ausgerechnet für die aller grösste “Firma”, nämlich unser Wirtschaftssystem, nicht gelten? Wenn Tag für Tag mehrere Fussballfelder grosse Waldflächen abbrennen, sich immer grössere eben noch fruchtbare Gebiete in Wüsten verwandeln, sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich Tag für Tag immer weiter vergrössern – dann soll das alles nicht Anlass dazu sein, innezuhalten, den Ursachen nachzugehen, das System zu hinterfragen, unabhängige Berater und Beraterinnen beizuziehen? Wer andere als “Systemveränderer” bezichtigt, erweist sich als im tiefsten Sinne undemokratisch. Er stellt nämlich das herrschende – kapitalistische – Wirtschafts- und Gesellschaftssystem über die Demokratie, indem er alle, welche dieses System in Frage stellen,  als “undemokratisch” brandmarkt und ihnen somit das vorwirft, was er selber ist. Nichts kann einer echten Demokratie lieber sein als gute Ärzte, gute Automechanikerinnen, gute Unternehmungsberater – und gute “Systemveränderer” und “Systemveränderinnen”, die den Mut und die Ausdauer haben, nicht nur kranke Mitmenschen, Autos und serbelnde Firmen von Grund auf kritisch zu überprüfen, sondern auch unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als Ganzes.