Die Frage der Gerechtigkeit nicht unter den Tisch wischen

 

Essen in einem Restaurant. Übernachten in einem Hotel. Skiferien in Davos oder St. Moritz. Golfspielen oder Tennisspielen. Ein Konzert-, Theater- oder Kinobesuch. Eine Reise auf die Kanarischen Inseln. Ja, wir müssen, in Zeiten von Corona, auf viel Liebgewonnenes verzichten. Nur zu leicht vergessen wir dabei aber, dass alle diese Vergnügungen einem grossen Teil der Bevölkerung nicht erst seit Corona, sondern auch zuvor schon versagt gewesen waren: Nicht weniger als 660’000 in der Schweiz lebende Menschen waren gemäss einer Erhebung von Caritas bereits im Jahre 2018 von Armut betroffen, eine armutsbetroffene Einzelperson hatte gerade mal monatlich durchschnittlich 2’286 Franken zur Verfügung – für alles, was es zum Leben braucht, inklusive Wohnungsmiete und Krankenkassenprämie. Da konnte man vom Essen im Restaurant, von Skiferien in Davos und erst recht von einer Reise auf die Kanarischen Inseln nicht einmal träumen. Wenn heute breit und ausführlich darüber diskutiert wird, ob man die Skigebiete über Weihnachten öffnen soll, wie viele Personen im Restaurant am gleichen Tisch sitzen dürfen und ob Kinos, Theater und Konzertsäle in Betrieb bleiben sollen, dann hat dies alles freilich grösste Berechtigung, geht es doch nicht nur um die Bedürfnisse von Gästen, Kunden und Kundinnen, sondern vor allem auch um die Existenzfrage für Abertausende Angestellte, Kulturschaffende, Restaurantbesitzer und zahllose Kleinbetriebe. Trotz aller dieser Diskussionen sollten wir aber die Frage, in was für einer Schweiz wir zukünftig leben wollen, nicht unter den Tisch wischen. Jetzt, wo alles aufgerüttelt und durcheinandergewirbelt wird, sollte auch die Frage der Gerechtigkeit aufgerüttelt und durcheinandergewirbelt werden. Damit wir, wenn dann alles einmal überstanden ist, nicht mehr in einem Land leben, wo die reichsten 300 Menschen mehr als 700 Milliarden Franken besitzen, während über 650’000 Menschen Abend für Abend jeden Rappen zwei Mal umdrehen müssen, um überhaupt noch etwas Essbares auf dem Tisch zu haben.