159 Millionen Pakete und der Trugschluss eines unbegrenzten Wachstums

 

Gemäss “St. Galler Tagblatt” vom 11. Dezember 2020 wurden bis am 30. November 2020 159 Millionen Pakete von der Post transportiert, 11 Millionen mehr als während des ganzen Jahres 2019, und da ist die Weihnachtspost grösstenteils noch nicht einmal dabei. Ein Teil der Zunahme ist zweifellos mit der Coronakrise und den vermehrten Onlinebestellungen zu erklären. Aber eben nur ein Teil. Denn die Paketflut hat schon lange vorher von Jahr zu Jahr zugenommen: 2010 wurden 108 Millionen Pakete transportiert, zwei Jahre später waren es schon 111, weitere drei Jahre später 115, 2016 waren es bereits 122, im folgenden Jahr 129, dann 138 und im Jahr 2019 bereits 148! So grosse Mehrbelastungen gehen an den Angestellten nicht spurlos vorbei. Gemäss einer aktuellen Umfrage der Gewerkschaft Syndicom beklagen sich rund 70 Prozent der Angestellten, dass sie das hohe Paketvolumen “eher fest” oder “sehr fest” belaste. Besonders viele klagen über Rückenbeschwerden. Ein grosses Problem bildet auch das Gewicht der Sendungen: Obwohl die Suva ein Höchstgewicht von 25 Kilo empfiehlt – nach Alter und Geschlecht des Angestellten abgestuft -, gibt es immer häufiger Pakete, die 30 oder sogar 40 Kilo schwer sind und oft über weite Wege und Treppen bis zur Haustür geschafft werden müssen. Zwar empfiehlt die Post ihren Paketboten, sich gegenseitig zu helfen, auf der anderen Seite aber gibt es für schnell arbeitende Angestellte Leistungsprämien, weshalb dann niemand ein Interesse hat, seinem Kollegen zu Hilfe zu kommen und dafür auf die Leistungsprämie verzichten zu müssen. Alle sind am Anschlag, auch die Versandhäuser: “Wenn die Post die Pakete nicht mehr verarbeiten kann”, sagt Patrick Kessler, Präsident des Schweizer Handelsverbands, “kommt es bei den Händlern zu Paketstaus. Das würde in einem Dominoeffekt enden und schliesslich das gesamte System zum Einsturz bringen.”… Doch es ist ja nicht nur die Menge transportierter Pakete, die von Jahr zu Jahr wächst. Wäre nicht die Coronapandemie dazwischen gekommen, dann hätte man ähnliche Wachstumskurven auch in unzähligen anderen Segmenten feststellen können, in Fortsetzung einer seit Jahrzehnten ungebrochenen Entwicklung: immer mehr Autos auf unseren Strassen, immer mehr zurückgelegte Flugkilometer, immer mehr Neubauten, immer mehr Modeartikel, immer mehr und in immer kürzeren Abständen verkaufte Elektronikgeräte, ein immer höherer Verbrauch von Rohstoffen, Bodenschätzen und Edelmetallen, immer höhere Abfallberge. Und es gibt wenige Anzeichen dafür, dass sich daran, wenn die Coronapandemie erst einmal überstanden ist, grundsätzlich etwas ändern wird. Doch Hand aufs Herz: Unbegrenzt kann dies doch nicht einfach immer so weitergehen. Eines Tages werden auch noch die stärksten Postangestellten angesichts einer unbeschränkt wachsenden Paketflut zusammenbrechen. Eines Tages werden auch noch die aller letzten Quadratmeter unbebauten Bodens von Häusern und Strassen zugepflastert sein. Eines Tages werden auch die letzten seltenen Metalle zur Herstellung von Computern und Handy aufgebraucht sein. Unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt ist schlicht und einfach nicht möglich und muss, wenn wir uns nicht eines Besseren besinnen, früher oder später zu einer ungeahnten Katastrophe führen, die sich mit nichts vergleichen lässt. Das Beispiel der jährlich wachsenden Paketflut zeigt, dass es nicht nur die kapitalistischen Unternehmen sind, welche mit der Produktion von Waren den unersättlichen Wachstumsmotor antreiben, nein, es sind wir alle, die diesen Wachstumsmotor zusätzlich antreiben, indem wir diese Waren in immer grösserer Menge kaufen, obwohl wir das meiste davon gar nicht unbedingt nötig haben. Könnte die Coronakrise der Anlass dafür sein, dies alles kritisch zu überdenken? Zu wünschen wäre es, dringender denn je…