Berufe und Arbeitswelt: Sollte nicht jedes Kind seine Zukunftsträume verwirklichen können?

 

Fragt man Kinder, was sie später einmal werden möchten, dann stehen Traumvorstellungen wie Pilot, Schauspielerin, Computerspezialistin, Sängerin, Schriftsteller, Tierärztin, Innenarchitektin oder Profifussballer an vorderster Stelle. Kinder, die Kehrichtmänner, Fabrikarbeiter oder Putzfrauen werden möchten, sucht man vergebens. So wäre es zwar eine wunderbare Vorstellung, dass jedes Kind das Recht haben müsste auf eine freie Entfaltung seiner Begabungen und Zukunftsträume. Doch wer, wenn dann alle eines Tages Schauspielerinnen und Tierärzte wären, würde dann noch das Gemüse ernten, das wir täglich auf unserem Teller haben? Wer würde dann noch die Strassen und die Häuser bauen, die wir befahren und in denen wir wohnen? Wer würde dann noch die Toiletten in den Zügen und in den Restaurants putzen, die wir täglich benützen? Wer würde dann noch in den Fabriken arbeiten, um all die Güter herzustellen, die wir täglich brauchen? Die kapitalistische Arbeitswelt geht mit den Zukunftsträumen der Kinder sehr willkürlich um. Sie gesteht einem Teil der Kinder die Möglichkeit zu, jene Berufe zu erlernen, die sie sich schon als Kinder gewünscht haben. Einer viel grösseren Zahl von Kindern aber verweigert sie genau so kategorisch eben dieses Recht und weist ihnen berufliche Tätigkeiten zu, die sie sich niemals gewünscht haben, die sie auch niemals freiwillig ergriffen hätten und die sie nicht mit Freude und Begeisterung verrichten, sondern bloss, weil man ja schliesslich von irgendetwas leben muss. Wäre es nicht viel gerechter, allen Kindern und späteren Erwachsenen das gleiche Recht zuzugestehen? Es wäre ganz einfach. Während der halben Arbeitszeit – täglich halbtags bzw. an zweieinhalb Tagen pro Woche – arbeitet jede und jeder in einem Beruf, der mit den kindlichen Zukunftsträumen und den individuellen Begabungen im Einklang steht, also ein frei gewählter Beruf, der mit Freude und Begeisterung verrichtet wird. Während der übrigen Zeit würde man dann einer beruflichen Tätigkeit nachkommen, die niemand freiwillig verrichten würde, die aber von jemandem erledigt werden muss, wenn Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes funktionieren sollen. So wäre die halbtags als Zahnärztin Tätige während des anderen halben Tages bei der städtischen Kehrichtabfuhr zu finden, der halbtags als Lehrer Tätige würde während des anderen halben Tages die Gestelle im Supermarkt auffüllen und den halbtags als Webdesigner Tätigen sähe man während des anderen halben Tages bei der Beschäftigung und dem Spazierengehen mit Alten und Pflegebedürftigen. Nicht nur, dass auf diese Weise persönliche Erfüllung in einer selbergewählten beruflichen Tätigkeit und der Dienst an der Gemeinschaft für alle Menschen gleichberechtigt im Einklang stünden. Auch würde die heutige Hierarchie in der Berufswelt, in der es so genannt “höhere”, angesehenere und besser bezahlte Tätigkeiten gibt und auf der anderen Seite “niedrigere”, weniger angesehene und schlechter bezahlte Tätigkeiten, mit einem solchen Arbeitsmodell wohl endgültig der Vergangenheit angehören, denn jeder, der eine “höhere” berufliche Tätigkeit ausüben würde, wäre auch wieder irgendwo beim Verrichten einer “niedrigeren” beruflichen Tätigkeit anzutreffen, gegenseitige Wertschätzung und Respekt vor der Arbeit, die der andere Mensch verrichtet, würden gleichermassen wachsen. Und das Leben wird insgesamt um vieles bunter und vielfältiger, wenn man nicht Tag für Tag bis zum Überdruss auf dem gleichen Bürostuhl Seite an Seite mit dem immer gleichen Arbeitskollegen sitzt oder Tag für Tag bis zum Überdruss Haare schneidet oder am Fliessband die immer gleichen  Handgriffe verrichtet…