Fadenscheinige Argumente gegen einen Mindestlohn

Im Kanton Genf gilt seit der Volksabstimmung vom September 2020 der höchste Mindestlohn der Welt. Er beträgt 23 Franken pro Stunde. Wahrlich kein fürstlicher Lohn, wenn man ihn zum Beispiel mit dem Lohn eines Lehrers, einer Zahnärztin oder eines Rechtsanwalts vergleicht. Und doch geht selbst dieser bescheidene Mindestansatz zahlreichen bürgerlichen Politikern und Politikerinnen zu weit: SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr und CVP-Ständerat Erich Ettlin, unterstützt von prominenten Vertreterinnen und Vertreter der SVP, der FDP und der Mitte, haben zwei gleichlautende Motionen gegen die Durchsetzung von Mindestlöhnen eingereicht. Begründet wird das Anliegen unter anderem mit dem Beispiel eines Ostschweizer Bauunternehmens, das einen Auftrag auf einer Genfer Baustelle ausübe. Um sicherzustellen, dass alle ihre Angestellten den Mindestlohn verdienten, müsste die Firma erst “aufwendige Abklärungen treffen”, bevor sie überhaupt mit der Arbeit beginnen könnte. Fadenscheiniger geht es nun wirklich nicht mehr. Muss diese Firma nicht so oder so, bevor sie den Auftrag ausführen kann, “aufwendige Abklärungen treffen”? Muss sie nicht alle Pläne an das geltende Baugesetz anpassen und peinlichst genau daran achten, dass materielle, technische und ökologische Auflagen eingehalten werden? Muss sie nicht den Baugrund untersuchen, damit das Fundament auch sicher standfest gebaut werden kann? Muss sie nicht beim Einkauf von Geräten, Baumaterialien und Fahrzeugen alle Offerten peinlichst genau überprüfen, um sich sodann für das günstigste Angebot zu entscheiden? Muss sie nicht den Transport von Materialien, Maschinen und Angestellten aus der Ostschweiz bis nach Genf sorgfältigst planen und kalkulieren, damit nicht zu hohe Kosten anfallen? Und da soll dann die Einhaltung der Mindestlöhne so viel schwieriger und komplizierter sein? Da gäbe es wohl eine viel bessere Idee: Man führt den Mindestlohn nicht nur in einzelnen Kantonen, sondern schweizweit ein – dann wären alle anderen Probleme ganz von selber gelöst…