Grossbritannien in der Coronapandemie: Jahrelange Sparpolitik hinterlässt ihre Spuren…

 

Schreckliche Bilder aus Grossbritannien zur Zeit der Coronapandemie: Dutzende von Ambulanzen stauen sich vor den Spitaleingängen, Patientinnen und Patienten müssen oft stundenlang in der Kälte warten, bis sie eingelassen werden. Das Pflegepersonal ist hoffnungslos überlastet. Chris Whitty, medizinischer Chefberater der britischen Regierung, warnt vor einem baldigen Zusammenbruch des Nationalen Gesundheitsdienstes. Doch dass es zu solchen Zuständen kommen konnte, liegt nicht nur an der täglich wachsenden Zahl Coronakranker. Es liegt auch daran, dass das britische Gesundheitssystem seit Jahren einem rigorosen Sparprogramm unterworfen worden ist. So etwa standen beim Ausbruch der Coronapandemie gerade mal insgesamt 5000 Beatmungsgeräte zur Verfügung, nicht einmal sieben pro 100’000 Einwohner, womit Grossbritannien auf Platz 24 von 31 europäischen Ländern lag. Auch bei der Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern wurde jahrelang gespart. Die Folgen dieser Sparpolitik zeigen sich auch bei der Anzahl Krankenhausbetten: Grossbritannien verfügt über 228 Krankenhausbetten pro 100’000 Einwohner, drei Mal weniger als Deutschland. Dies hatte zur Folge, dass der Nationale Gesundheitsdienst bereits in den vergangenen Jahren immer wieder auch schon bei den ganz gewöhnlichen Grippewellen an den Anschlag kam. Die tieferliegende Ursache von alledem liegt im Finanzierungssystem des britischen Gesundheitswesens: Es gibt keine gesetzliche Krankenversicherung, das Gesundheitswesen ist Teil der allgemeinen Haushaltspolitik und daher direkt von dieser abhängig. Unter der seit Jahren betriebenen Politik des “schlanken Staates” leidet dann eben auch der gesamte öffentliche Bereich inklusive Gesundheitswesen. Hier zeigt sich der kapitalistische Staat in seiner ganzen Widersprüchlichkeit: Während Grossbritannien in Bezug auf sein nationales Gesamtvermögen an Immobilien, Aktien und Bargeld mit über 14 Milliarden Dollar weltweit auf Platz vier liegt und die britische Wirtschaft jedes Jahr um 1,3 bis 2,6 Prozent wächst, bekommt der grosse Teil der Bevölkerung kaum etwas davon zu spüren. Im Gegenteil: Die sozialen Gegensätze verschärfen sich weiter von Jahr zu Jahr, die Armut breitet sich immer weiter aus. Gleichzeitig zählen bereits 54 Britinnen und Briten zum exklusiven Club der Milliardäre und die reichsten fünf von ihnen besitzen mehr als die 12,6 Millionen Ärmsten des Landes. Selbst die Queen mit ihrem Riesenvermögen figuriert erst auf Platz 262 der reichsten Briten und Britinnen. Das vielgelobte Ziel des “Wachstums”, dem sich der kapitalistische Staat verschrieben hat, trägt eben ganz unterschiedliche Gesichter und je nachdem, auf welcher Seite man sich befindet, ist es ein Segen oder ein Fluch. Denn wie der Reichtum wächst, wächst eben auch die Armut. Wie die Menge der Güter wächst, die auf den Strassen hin- und hergeschoben werden, wachsen auch die Sorgen und Nöte jener Menschen, die am untersten Rand der Gesellschaft leben. Wie die Bürohäuser und Wolkenkratzer in den Himmel wachsen, so wächst auch die Zahl jener Menschen, die nicht bloss eine schlechte, sondern überhaupt keine Arbeit mehr haben. Man muss schon sehr gutgläubig sein, wenn man hoffen möchte, dass der “freie Markt”, wie man so schön sagt, dies alles früher oder später schon wieder in Ordnung bringen wird. Wird er zweifellos nicht. Besser heute als morgen müssten wir uns daher Gedanken machen, wie eine Welt jenseits des Kapitalismus aussehen könnte, in der nicht mehr Wachstum um jeden Preis und Anhäufung von Reichtum in den Händen einiger weniger die obersten Maximen wären, sondern das Gemeinwohl, die soziale Gerechtigkeit und das gute Leben für alle.