Berufliche Auszeiten als gesellschaftliches Grundrecht für alle

 

76 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer, so der “Tages-Anzeiger” vom 2. Februar 2021, können in ihrem Job ihre Talente und Neigungen nicht genügend ausleben und wünschen sich eine mehrmonatige Auszeit – dies das Ergebnis einer von Martin J. Eppler, Professor für Kommunikationsmanagement an der HSG, durchgeführten Studie. Eppler schlägt vor, vermehrt wieder auf die eigene “innere Stimme” zu hören, um möglichst viel von dem, was man sich schon als Kind erträumte, in die tägliche berufliche Arbeit einfliessen zu lassen. Als besonders positives Beispiel erwähnt Eppler einen Mitarbeiter von Goldman Sachs, der sich entschlossen hatte, ein Jahr in einem Kloster zu leben. Goldman Sachs hätte ihm den vollen Lohn als Beitrag an seine persönliche Weiterentwicklung gezahlt. Im Kloster hätte der Mann seine Freude am Lernen wiederentdeckt und anschliessend noch einen Master in Kinderpsychologie und Politologie erworben. Nun, worüber Eppler hier berichtet, ist wohl das, was sich unzählige andere auch erträumten. Doch nicht alle Menschen können bei Goldman Sachs arbeiten. Was ist mit einer Verkäuferin, einem Bauarbeiter, einer Krankenpflegerin, einem Fabrikarbeiter? Wünschten diese sich nicht auch gelegentlich eine Auszeit und die Gelegenheit, das zu verwirklichen, wovon sie als Kinder dereinst geträumt hatten? Und hätten sie eine solche Auszeit nicht mindestens so sehr verdient wie der Bankangestellte oder die Hochschulprofessorin, die sich dank ihres guten Lohnes eine Auszeit selbst dann leisten kann, wenn sie während dieser Zeit keinen Lohn bezieht? Eine Auszeit von zum Beispiel einem Jahr nach jeweils zehn Jahren beruflicher Tätigkeit sollte nicht davon abhängen, ob man das Glück oder das Pech hat, bei einer gutbetuchten Firma tätig zu sein oder bei einer, die immer hart ums Überleben kämpft. Eine solche Auszeit und die Chance, immer wieder einen Teil seiner Kindheitsträume zu verwirklichen, sollte ein gesellschaftlich verankertes Grundrecht für alle sein. Und ich bin überzeugt, dass sich das sogar finanziell lohnen würde, denn, wie auch Martin J. Eppler sagt: “Etwas zu tun, bei dem ich richtig enthusiastisch bin, hilft mir, meinen eigenen Wesenskern zu erkennen und meine Energien viel besser fliessen zu lassen.” Es wäre ein Segen für alle…