Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen: Die fragwürdige Unterscheidung zwischen”erklärbaren” und “unerklärbaren” Gründen

 

Frauen verdienen durchschnittlich immer noch rund 20 Prozent weniger als Männer. Gewerkschaften und Frauenorganisationen fordern seit Langem gleichen Lohn für gleiche Arbeit – bis anhin offensichtlich ohne Erfolg. Dabei wird in der Argumentation selbst von jenen Kreisen, die gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern, stets zwischen “erklärbaren” und “unerklärbaren” Lohndifferenzen unterschieden. “Erklärbare” Gründe seien zum Beispiel die berufliche Stellung, die Ausbildung und die Branche. Diese “erklärbaren” Grunde würden 54,5 Prozent sämtlicher vorhandener Lohndifferenzen sozusagen rechtfertigen, womit dann die eigentliche Diskriminierung “nur” noch bei rund zehn Prozent liege. 

Diese Unterscheidung zwischen “erklärbaren” und “unerklärbaren” Gründen erscheint mir äusserst fragwürdig und beschönigend. Denn für ein objektives Bild müsste man nicht nur Männer- und Frauenlöhne innerhalb der gleichen Branche miteinander vergleichen, sondern man müsste auch die Löhne in typischen Männerberufen mit jenen in typischen Frauenberufen miteinander vergleichen. Logisch, hat eine Serviceangestellte nicht die gleiche berufliche Stellung wie ein Informatiker. Auch war ihre Ausbildungszeit weit kürzer als jene des Informatikers. Und ja, sie arbeiten in total verschiedenen Branchen. Aber ist das alles genug Rechtfertigung dafür, dass der Informatiker zwei bis drei Mal so viel verdient wie die Serviceangestellte? Das gleiche Bild ergibt sich, wenn wir eine Krankenpflegerin mit einem Chirurgen vergleichen, eine Detailhandelsangestellte mit dem Abteilungschef eines Supermarkts oder eine Kitaangestellte mit einem Universitätsdozenten. Und erst recht krass wird es, wenn wir an einen der typischsten Frauenberufe denken, nämlich den Beruf der Hausfrau, in dem zwar überdurchschnittlich viel gearbeitet, aber rein gar nichts verdient wird… 

Dass in typischen Frauenberufen so viel weniger verdient wird als in typischen Männerberufen, ist Ausdruck einer gewaltigen systembedingten Diskriminierung der Frauen und dürfte auf keinen Fall unter dem Vorwand “erklärbarer” Lohnunterschiede weggesteckt werden. In Tat und Wahrheit beträgt die tatsächliche Diskriminierung der Frauen nicht weniger, sondern viel, viel mehr als jene 20 Prozent, die wir der Statistik entnehmen. Gerechtigkeit wird nicht schon an jenem Tage erreicht sein, an dem eine Informatikerin gleich viel verdient wie ein Informatiker. Gerechtigkeit wird erst an jenem Tage erreicht sein, an dem eine Coiffeuse gleich viel verdient wie ein Versicherungsbeamter, eine Krankenpflegerin gleich viel wie ein Chefarzt, eine Kitaangestellte gleich viel wie ein Hochschuldozent und eine Verkäuferin gleich viel wie der CEO eines multinationalen Konzerns. Denn es werden zwar alle möglichen und unmöglichen Argumente für bestehende Lohnungleichheiten zwischen den verschiedenen beruflichen Tätigkeiten ins Feld geführt, Tatsache aber ist, dass es, damit Gesellschaft und Wirtschaft funktionieren können, sämtliche Berufe braucht und alle aufeinander angewiesen und voneinander abhängig sind und es daher nicht einzuleuchten vermag, weshalb nicht auch alle, die an allen Ecken und Enden ihren Beitrag zum Gelingen des Ganzen leisten, den gleichen Anteil am Kuchen bekommen sollten, den alle miteinander gebacken haben.