Plädoyer für die Arbeit der Hausfrau und des Hausmanns

 

“50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts und zahlreicher Debatten über Gleichstellung später dominiert nach wie vor das traditionelle Rollenmodell: Bei rund 70 Prozent der Paare mit Kleinkindern arbeitet er Vollzeit, sie gar nicht oder Teilzeit, wie Zahlen des Bundesamtes für Statistik zeigen.” Soweit ein Kommentar im “St. Galler Tagblatt” vom 10. März 2021 zu einem Urteil des Bundesgerichts, wonach sich Frauen nach einer Scheidung wieder schneller in den Arbeitsmarkt eingliedern sollten. Habe ich richtig gelesen? Bei rund 70 Prozent der Paare mit Kleinkindern arbeiten die meisten Frauen gar nicht oder höchstens Teilzeit? Was für eine Beleidigung all jener Frauen, die “nur” Hausfrauen sind, sich “nur” um die Pflege und Erziehung ihrer Kinder kümmern, “nur” den Haushalt besorgen und “nur” kochen, waschen, putzen und aufräumen. Wenn ich bei meiner Schwiegertochter und ihren vier Kindern zu Besuch bin, dann habe ich jedenfalls nie den Eindruck, sie würde “nicht arbeiten”. Ganz im Gegenteil: Ihre Arbeitstage sind lange und anstrengend, oft kommt sie nicht einmal nachts zur Ruhe und so etwas wie eine Pause, in der sie auch mal eigenen Gedanken und Beschäftigungen nachgehen kann, gibt es frühestens am Abend, wenn alle Kinder im Bett sind. Die Arbeit, die von “Nur-Hausfrauen” geleistet wird, ist immens und gar nicht genug hoch einzuschätzen. Man könnte wohl sogar sagen, dass dieser Beruf einer der wichtigsten und elementarsten ist. Denn egal, ob jemand später einmal als Ingenieur, als Architektin, als Bauarbeiter oder als Krankenpflegerin arbeiten wird, sie alle waren einmal ein Kind, das nur deshalb gross werden konnte, weil es getragen von Liebe, Geduld und Aufmerksamkeit aufwachsen durfte. Dass sich auch Väter zunehmend in diese Aufgabe einbringen, ist zwar höchst erfreulich, vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es sich dabei nach wie vor um eine kleine Minderheit handelt. Aber es ist noch viel krasser: Frauen bewältigen nicht nur den Löwenanteil von Haus- und Familienarbeit, sie kümmern sich zusätzlich häufig um kranke oder pflegebedürftige Nachbarn, Eltern oder Schwiegereltern und engagieren sich in Vereinen und Hilfsorganisationen, und dies alles zum Nulltarif: Der Anteil der Frauen an dieser so genannten Care-Arbeit beträgt in der Schweiz zurzeit über 61 Prozent, die Anzahl der von Frauen in diesem Bereich geleisteten Arbeitsstunden beläuft sich schweizweit jährlich auf über 8200 Millionen. Emanzipation darf nicht bloss darin bestehen, dass möglichst viele Frauen in Branchen und Berufsfelder vordringen, die bisher den Männern vorbehalten waren. Sie darf sich auch nicht darauf beschränken, dass die Frauen möglichst schnell nach der Geburt ihrer Kinder wieder einer ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen. Emanzipation muss vor allem auch darin bestehen, dass die Arbeit einer Hausfrau oder eines Hausmannes vollständige gesellschaftliche Gleichwertigkeit, Wertschätzung und in letzter Konsequenz auch die entsprechende Entlöhnung erfährt. Hoffentlich dauert es nicht noch einmal 50 Jahre, bis der Beruf der Hausfrau und des Hausmannes das genau gleiche Ansehen und die genau gleiche Bedeutung geniessen wie jeder andere Beruf.