Auf dem Weg zu einer anderen, besseren Welt: sichtbare und unsichtbare Formen von Gewalt

 

An einer unbewilligten Demonstration gegen die Coronamassnahmen nahmen am 27. März 2021 in Zürich auch Linksextreme teil. Diese wehren sich vor allem dagegen, dass die finanziellen Folgen von Corona auf diejenigen abgewälzt werden, die sowieso schon sozial benachteiligt sind. Aber die Linksextremen gehen in ihren Forderungen noch viel weiter: “Während der Coronakrise”, so Adrian Oertli, Experte für Linksextremismus, in der Gratiszeitung “20minuten” vom 29. März 2021, “haben viele Junge begonnen, die Gesellschaft radikal zu hinterfragen. Sie glauben nicht mehr daran, dass unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme im jetzigen System gelöst werden können, sie wollen einen Systemsturz und sehen keinen anderen Weg, das System zu ändern, als durch den gewalttätigen Widerstand.” Nun ist sich wohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darin einig, dass Gewalt niemals, auch wenn die dahinterliegenden Visionen einer freien und gerechten Gesellschaft noch so edel sein mögen, ein Mittel zur Veränderung der Gesellschaft sein darf. Doch wenn wir uns bloss darauf beschränken, Gewalt als politisches Mittel zu verurteilen, machen wir es uns zu einfach. Es gibt nämlich nicht nur sichtbare, sondern auch unsichtbare Gewalt. Auch der ganz “normale” und angeblich “gewaltfreie” Alltag kann Gewalt ausüben. Die Flugreise auf die Malediven, der Verzehr von Fleisch, der Konsum von Luxusgütern, die wir uns nur dank gnadenloser Ausbeutung von Mensch und Natur leisten können – all dies sind ebenfalls Formen von Gewalt und erst noch weit schlimmer als jene, die sich mit ein paar Knallpetarden, ein paar eingeschlagenen Fensterscheiben und ein paar umgekippten Mülleimern manifestiert, weil sie nämlich nicht nur das Leben der hier und heute lebenden Menschen bedroht, sondern nichts weniger als die Lebensgrundlagen ganzer zukünftiger Generationen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich lehne Gewalt in jeder noch so “geringfügigen” Form ab, weil Gewalt immer nur Gegenwalt hervorruft und nie den Weg ebnet zu etwas von Grund auf anderem und Besserem. Wenn wir aber die “sichtbaren” Formen von Gewalt, welche von extremistischen politischen Gruppierungen verübt wird, verhindern wollen, dann geht dies nur, wenn wir nicht mehr länger die Augen verschliessen vor all den “unsichtbaren” Formen von Gewalt, die das kapitalistische Wirtschaftssystem tagein tagaus auf ganz “alltägliche” und “normale” Weise ausübt. Wir dürfen die Ungeduld, die Sehnsucht und die Vision einer neuen, besseren Welt nicht einigen wenigen “Extremisten” überlassen, jeder und jede trägt hier und heute schon die Verantwortung für die Welt, die wir unseren Kindern und Kindeskindern überlassen. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.”