Kemala Harris und die Flüchtlinge an der mexikanisch-amerikanischen Grenze: Zeit für ein neues Kapitel der Geschichte

 

#SRFglobal, das Auslandmagazin des Schweizer Fernsehens SRF, beleuchtete am 1. April 2021 die Flüchtlingssituation an der Südgrenze der USA. Erwähnt wurde auch die Rolle der US-Vizepräsidentin Kemala Harris, die zu dieser Thematik wie folgt öffentlich Stellung nahm: “Ich habe den Auftrag erhalten, mich um das Flüchtlingsproblem an der Südgrenze der USA zu kümmern, um die Menschen, die ihre Heimatländer Mexiko, El Salvador, Guatemala und Honduras verlassen auf der Suche nach einem besseren Leben. Ich werde mich um die Ursachen der Migration kümmern. Das wird nicht einfach sein – aber es ist notwendig.” #SRFglobal ging im Folgenden den internen Ursachen der Migration wie Armut, Korruption, Drogenhandel, fehlende Bildung, Gewalt und Unterdrückung der Frauen ein. Zweifellos wesentliche Ursachen dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen, um ihr Glück in einem Land zu suchen, das ihnen im Vergleich zu ihrem bisherigen Leben geradezu als “Paradies” erscheinen muss. Wenig oder fast gar nicht aber ging der Beitrag auf die externen Gründe der Migration ein, nämlich auf das Wohlstandsgefälle zwischen Norden und Süden. So wenig nämlich Afrika bloss deshalb arm ist, weil die dortigen Regierungen korrupt sind oder die Menschen zu wenig gebildet sind oder zu wenig fleissig arbeiten würden, so wenig sind die Menschen Mittel- und Südamerikas bloss deshalb so arm, weil sie so schlechte Regierungen haben oder zu wenig gute Schulen oder zu viel Gewalt auf den Strassen. Nein, sowohl Afrika wie auch Mittel- und Südamerika sind vor allem deshalb so arm, weil ihre nördlichen “Gegenspieler”, USA und Kanada auf der einen Seite, Europa auf der anderen, so reich sind. Der Reichtum im Norden und die Armut im Süden sind die beiden gegenseitig voneinander abhängigen Kehrseiten jenes kapitalistischen Wirtschaftssystems, das seine Wurzeln im Kolonialismus, in der Sklavenarbeit, der Ausbeutung von Rohstoffen, der industriellen und militärischen Vorherrschaft und dem internationalen Finanzsystem hat. Heute noch, wie vor 500 Jahren, werden die Kakaobohnen, zu Hungerlöhnen geerntet, vom Süden in den Norden geliefert, dort zu feinster Schokolade verarbeitet und zum hundertfachen Preis wieder verkauft. Und was für die Kakaobohne gilt, das gilt für tausend weitere Produkte, Rohstoffe und Bodenschätze, welche das Blut und die Tränen des Südens unaufhörlich in das Gold des Nordens verwandeln, das Elend der Slums im Süden in die goldenen Fassaden der endlos wachsenden Wolkenkratzer des Nordens, wo das Geld schon längst immer weiter von ganz alleine in die Höhe wächst, Millionen von Menschen nicht einmal mehr arbeiten müssen und dennoch immer reicher werden, während die Menschen im Süden sich zu Tode rackern und dennoch nicht einmal genug Geld verdienen, um sich einmal pro Tag eine Mahlzeit leisten zu können. Noch immer, wie vor 500 Jahren, befinden sich die Länder des Südens im Würgegriff der Länder des Nordens. Auch heute noch, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam zeigt, verdienen die Länder des Nordens im Handel mit den Ländern des Südens das Fünfzigfache dessen, was sie ihnen in Form von “Entwicklungshilfe” wieder zurückgeben. Und deshalb können die Stacheldrahtzäune, die Mauern und die Minenfelder zwischen den Ländern des Nordens und den Ländern des Südens noch so hoch gebaut werden – die Menschen werden nicht aufhören und werden, im Gegenteil, in immer grösserer Zahl den Weg aus der Hölle ins Paradies zu finden versuchen. Kemala Harris tut gut daran, sich nicht nur um die Folgen der Migration zu kümmern, sondern vor allem um deren Ursachen. Das wird, um es mit den Worten der US-Vizepräsidentin zu sagen, nicht einfach sein, aber notwendig. Und es wird, alles andere wäre nutzlos, nicht mehr und nicht weniger bedeuten als ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit, in dem nicht nur die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, zwischen Schwarz und Weiss, zwischen Arbeiterinnen und Unternehmern, sondern auch zwischen den Ländern des Südens und den Ländern des Nordens endlich Wirklichkeit geworden sein wird.