Ausgerechnet sie, die sich ein Leben lang um Alte und Kranke kümmern, werden sich im Alter keine menschenwürdige Pflege leisten können

 

“Tausende Pflegekräfte”, so Holger Schmidt in den ARD-Tagesthemen vom 7. April 2021, “haben sich wegen der überaus belastenden Arbeitsbedingungen und der schlechten Entlohnung in den vergangenen zwölf Monaten aus dem Beruf verabschiedet. Das zutiefst Ungerechte ist: Wenn die Pflegefachkräfte selber alt werden, können sie nur die Minimalrente erwarten. Ausgerechnet Menschen, die sich ihr Leben lang um Alte und Kranke gekümmert haben, werden sich dann aus eigener Kraft nicht einmal eine menschenwürdige Pflege leisten können.” Die Pflegefachleute sind nicht die Einzigen, die eine Dienstleistung erbringen, von der sie selber nicht profitieren können. Genau gleich geht es dem Koch und der Serviceangestellten in einem Erstklasshotel, welche sich den Wein und die Speisen, welche sie kochen und servieren, selber gar nicht leisten könnten. Auch für das Zimmermädchen wäre eine Übernachtung in jenem Hotel, wo sie Tag für Tag bis zur Erschöpfung die Zimmer herrichtet, viel zu teuer. Auch der Bauarbeiter wird sich das Haus, das er bei Regen und Kälte, oft mit Schmerzen in Rücken und Beinen, gebaut hat, selber niemals kaufen können, es wäre viel zu teuer. Genau gleich geht es dem Fabrikarbeiter, der mit dem Auto der Luxusklasse, das er zusammengebaut hat, selber niemals wird fahren können. Auch die Coiffeuse wird sich kaum jene Spezialfrisur mit allen möglichen Zusatzbehandlungen leisten können, welche ihre Kundin in Anspruch nimmt. Das Gleiche gilt für den Lastwagenfahrer, der Luxusmöbel transportiert, die niemals in seiner Wohnung stehen werden. Und auch die Kinder, die Männer und die Frauen, die unter Lebensgefahr in der afrikanischen Erde nach Diamanten schürfen oder im Indischen Ozean nach Perlen tauchen, werden zeitlebens nie mehr etwas von jenen Schätzen sehen, die sie zutage befördert haben und die später in den Einkaufsmeilen westeuropäischer Städte hinter einbruchsicherem Glas verschwunden sein werden. Dies alles ist doppelt und dreifach ungerecht: Nicht nur, dass die einen viel härter arbeiten müssen als die anderen. Sondern auch, dass sie trotzdem viel weniger Geld verdienen. Und erst noch, dass sie vom Genuss der Dienstleistungen und der Waren, die sie herstellen, selber ausgeschlossen bleiben. Dies liesse sich nur ändern durch die Einführung eines Einheitslohns: Dann hätten alle die gleich langen Spiesse und alle könnten sich das, was sie selber produzieren, selber auch tatsächlich leisten. Übertriebener Luxus würde dann wohl ebenso der Vergangenheit angehören wie extreme Armut, welches nur die Kehrseiten eines Wirtschaftssystems sind, welches nur deshalb für einige wenige so “erfolgreich” ist, weil es für so viele andere nichts als Bitterkeit und Armut bedeutet.