Wahlen in Sachsen-Anhalt: Weshalb den Linksparteien die Wählerinnen und Wähler davon laufen

 

Landtagswahlen im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt. Die CDU erreicht einen Wähleranteil von 36 Prozent, die AfD 22,5 Prozent, die Linke 11 Prozent, die SPD 8,5 Prozent, die Grünen 6,5 Prozent und die FDP ebenfalls 6,5 Prozent. Auch wenn sich viele über den deutlichen Vorsprung der CDU gegenüber der AfD freuen, kann das Ergebnis nicht darüber hinweg täuschen, dass die politische Linke bei diesen Wahlen eine vernichtende Niederlage hinnehmen musste. Nicht einmal bei jenem Bevölkerungssegment, dessen Interessen sie traditionellerweise vertritt, hat die Linke gepunktet: Von den in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Wählerinnen und Wählern haben sich 38 (!) Prozent für die AfD entschieden, 20 Prozent für die CDU und nur 12 Prozent für die Linke und gerade mal 9 Prozent für die SPD, die frühere Hochburg der Arbeiterschaft und Vorkämpferin sozialer Gerechtigkeit. Doch nicht nur im deutschen Sachsen-Anhalt laufen die “kleinen” Leute den traditionellen Linksparteien scharenweise davon und landen schliesslich bei populistischen und rechten bis rechtsextremen politischen Kräften und Parteien. Auch Donald Trump wurde vornehmlich von den “kleinen” Leuten in abgehängten und von Arbeitslosigkeit stark betroffenen Gebieten zum US-Präsidenten gewählt. Auch Marine Le Pen, die reelle Chancen als Nachfolgerin des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat, gewinnt ihr Wählerpotenzial vornehmlich aus den “unteren” Bevölkerungsschichten. Und selbst die schweizerische SVP wird heute zu einem grossen Teil von Bürgerinnen und Bürgern gewählt, welche noch vor zehn oder zwanzig Jahren ihre Stimme der Sozialdemokratie gegeben hätten. Was läuft da schief? Weshalb gelingt es den Linksparteien immer weniger, ihr traditionelles Wählerpotenzial abzurufen? Und welches ist das Geheimrezept der Rechtsparteien, mit dem sie ihre wachsenden Wahlerfolge erzielen? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach und lässt sich auf ein einziges Wort reduzieren. Dieses Wort ist der Kapitalismus. Denn all die Sorgen und Nöte, schwere Arbeit bei schlechtem Lohn, geringe gesellschaftliche Wertschätzung, wachsender Leistungsdruck und Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit, Abbau öffentlicher Einrichtungen, all das, worunter die Menschen leiden und was sie in immer grösserer Zahl in die Hände der Populisten und Heilsversprecher vom rechten politischen Rand treibt, das sind die ganz logischen und zwangsläufigen Folgen jenes kapitalistischen Wirtschaftssystems, das auf der Ausbeutung von Menschen und Natur zwecks endlosem Wachstum und unaufhörlicher Profitmaximierung beruht. Die traditionellen “Linksparteien” können sich noch so anstrengen, noch so viele gute Ideen haben – gefangen im kapitalistischen System, wird es für jeden Millimeter, den sie an sozialem Fortschritt erkämpfen, immer gleich wieder zwei Millimeter geben, welche sie wieder zurückschlagen. Diese systembedingte Machtlosigkeit ist der Grund dafür, dass sich immer mehr Menschen von den traditionellen “Linksparteien” abwenden und eine neue politische Heimat suchen, so widersprüchlich, konzeptlos und nicht selten sogar verlogen diese auch sein mag. Grundlegend ändern würde sich das erst in dem Augenblick, da all jene Bewegungen, Parteien und politischen Kräfte, die sich der sozialen Gerechtigkeit und dem guten Leben für alle verschrieben haben, aus dem Schatten des Kapitalismus heraustreten würden und das in die Tat umzusetzen begännen, was unter anderem sogar im Parteiprogramm der schweizerischen Sozialdemokratie festgeschrieben steht: die Überwindung des Kapitalismus. So könnte die politische Linke jene Glaubwürdigkeit und Faszination wiedererlangen, die ihr heute fehlen. Und sie würde den populistischen und nationalistischen Kräften und Parteien den Boden unter den Füssen wegziehen. Dass die Zeit für einen so grundlegenden Wandel längst schon reif wäre, zeigt eine unlängst vom Edelman-Kommunikationsbüro durchgeführte Umfrage, wonach 55 der Deutschen finden, der Kapitalismus richte mehr Schaden als Nutzen an. Und da sich die kapitalistische Wachstumsspirale naturgemäss immer schneller dreht, wird auch das Leiden unter dem Kapitalismus naturgemäss immer schneller zunehmen – bis hin zum Klimawandel, der ebenso eine ganz logische und direkte Folge der kapitalistischen Wachstums- und Ausbeutungslogik ist. Gewiss, der Kapitalismus kann nicht von heute auf morgen überwunden werden. Aber hier und heute kann, als erster Schritt, eine grosse, breite Debatte darüber beginnen, so dass am Ende eines Wahltags wie heute in Sachsen-Anhalt, nicht bloss darüber diskutiert wird, welche Partei wie viele Wählerprozente gegenüber vor vier Jahren gewonnen oder verloren hat, sondern vor allem darüber, in was für einer Welt wir in zehn oder zwanzig Jahren leben möchten, in der das gute Leben nicht bloss ein schöner Traum, sondern Wirklichkeit geworden wäre für alle.