50:50-Arbeitsmodell: eine Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen?

 

Nach anfänglicher Sympathie für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sehe ich bei einem solchen Modell nun auch vermehrt gewisse Nachteile. Das BGE müsste ja so bemessen sein, dass man davon leben könnte, auch ohne einer zusätzlichen Erwerbsarbeit nachzugehen. Nun wird seitens der BGE-Befürworterinnen und -Befürworter zwar immer wieder betont, dass kein Mensch von Natur aus “faul” sei und man deshalb davon ausgehen könne, dass die allermeisten Menschen trotzdem einer Erwerbsarbeit nachgehen würden. Doch die Zeiten können sich ändern. Vielleicht findet die Idee, seine Lebensweise auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, sich in seinem Garten der Lektüre philosophischer Schriften hinzugeben und sich nicht mehr länger auf einer Baustelle den Rücken kaputtzuarbeiten oder die Verantwortung für die städtische Energieversorgung zu übernehmen, gerade angesichts der Klimakrise, die uns zu einem möglichst bescheidenen und ressourcenschonenden Leben auffordert, mit der Zeit immer weitere Verbreitung. Und dann? Wer baut dann noch unsere Häuser? Wer pflegt die kranken und alten Mitmenschen? Wer betreut die Kinder in Kitas und Schulen? Wer stellt unsere Fahrräder, unsere Kleider, unsere Brillen und unser Gartenwerkzeug her? Es gibt unzählige Arbeiten, die auch nach einer Einführung des BGE und selbst wenn der allgemeine Wohlstand noch so massiv heruntergeschraubt worden wäre, trotzdem immer noch geleistet werden müssten. Damit diese Arbeit möglichst gerecht auf alle Menschen verteilt werden könnten, stelle ich mir als Alternative zum BGE ein so genanntes 50:50-Arbeitsmodell vor. Es geht davon aus, dass jeder Mensch über ganz besondere Begabungen verfügt und dass es nicht nur für sein seelisches Wohlbefinden, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes unabdingbar ist, diese Begabungen in seinem Leben auch tatsächlich zu verwirklichen. Also: Jeweils während eines halben Tages bzw. einer halben Woche würden alle Menschen jener Arbeit nachgehen, die sie aufgrund ihrer Interessen, ihrer Begabungen und ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung frei wählen könnten. Das bedeutet aber, dass ganz viele andere Arbeiten von der Kehrichtabfuhr über die Arbeit auf dem Gemüsefeld bis zur Reinigung von Büros und Fabrikhallen unerledigt blieben, wenn sich niemand darum kümmern würde. Und jetzt kommt der zweite Halbtag bzw. die zweite Wochenhälfte ins Spiel: Hier nun wird all die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die niemand aufgrund seiner individuellen Begabungen freiwillig wählen würde, auf alle Erwachsenen gleichmässig verteilt. Es wäre nun nicht mehr das Privileg Einzelner, zeitlebens einen der eigenen Begabung entsprechenden Wunschberuf ausüben zu können, während unzählige andere gezwungen sind, berufliche Tätigkeiten auszuüben, die ihnen nur wenig oder gar keine Freude bereiten, die sie krank werden lassen, in denen sie nur wenige gesellschaftliche Wertschätzung erfahren und die zu allem Überdruss auch noch vergleichsweise schlecht bezahlt werden. Wunschberuf und Dienst an der Gemeinschaft wären je zur Hälfte auf alle Menschen gleichmässig verteilt. Das 50:50-Arbeitsmodell wäre auch eine Chance, damit sich Menschen unterschiedlicher sozialer “Schichten” und Arbeitsfelder vermehrt gegenseitig begegnen und sich gegenseitig kennenlernen könnten, als Teil einer Gesellschaft, die nicht von einem “Oben” und “Unten” und nicht von sozialem “Aufstieg” und “Abstieg” geprägt wäre, sondern von einem Miteinander und Füreinander zum gemeinsamen Wohl aller.