Neue Volksinitiative der Juso und fadenscheinige bürgerliche Gegenargumente

 

Mit ihrer nächsten Volksinitiative wollen die Juso die Reichen zur Kasse bitten, wenn es um Massnahmen gegen den Klimawandel geht. Mit höheren Steuern für Reiche sollen etwa die Vergünstigung des öffentlichen Verkehrs, mehr Solarenergie oder die Förderung alternativer Heizquellen finanziert werden. Und, besonders brisant: Niemand soll mehr als 100 Millionen Franken besitzen. Kein Wunder, wird von bürgerlicher Seite schon scharf geschossen, bevor die neue Juso-Initiative überhaupt erst lanciert worden ist. Es handle sich bei dieser Initiative, so FDP-Nationalrat Christin Wasserfallen in “20minuten” vom 27. September 2021, schlichtweg um “Enteignung” und eine “Verletzung verfassungsmässiger Rechte”. Gut, es lässt sich darüber diskutieren, wie es sich verhindern lässt, dass jemand mehr als 100 Millionen Franken besitzt. Aber der tatsächliche Skandal besteht ja nicht darin, Reiche für öffentliche Aufgaben vermehrt zur Kasse zu bitten. Der tatsächliche Skandal besteht darin, dass es überhaupt Menschen in diesem Lande gibt, die mehr als 100 Millionen Franken besitzen. Der tatsächliche Skandal besteht darin, dass ein Prozent der Bevölkerung über 43 Prozent sämtlicher Vermögen verfügen. Der tatsächliche Skandal besteht darin, dass die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer 709 Milliarden Franken besitzen und diese Summe sogar im Laufe der vergangenen zehn Jahre verdoppeln konnten. Der tatsächliche Skandal besteht darin, dass in einem der reichsten Länder der Welt rund 700’000 Menschen so hart am Rand des Existenzminimums leben, dass sie so ziemlich auf alles, was für die Reichen selbstverständlich ist, verzichten müssen. Wenn Christian Wasserfallen von einer “Enteignung” der Reichen spricht, dann müsste man ihm dringend Nachhilfeunterricht in Ökonomie und Geldwesen erteilen. Woher kommt denn das viele Geld in den Händen der Reichen und Reichsten? Wurde es tatsächlich Franken um Franken hart erarbeitet? Oder ist es nicht so, dass ihnen das Meiste davon in Form von Erbschaften, Dividenden, Wohnungsmieten, Börsengewinnen und anderen Kapitalbeteiligungen in die Taschen geflossen ist, ohne dass sie hierfür die geringste eigene Leistung erbringen mussten? Wer mit dem Handel von Rohstoffen viel Geld verdient, profitiert davon, dass die Menschen, welche diese Rohstoffe zu Tage befördert haben, für ihre Schufterei bloss mit einem Hungerlohn abgespiesen werden, während mit dem Handel dieser Rohstoffe und dem Verkauf der aus ihnen hergestellten Güter Milliardengewinne erzielt werden. Wer sein Geld mit dem Vermieten von Wohnungen verdient, profitiert davon, dass die in ihnen lebenden Menschen einen so hohen Anteil ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, dass ihnen nur allzu oft für den übrigen Lebensunterhalt nur noch das Allernötigste übrigbleibt. Wer dank Dividenden reich wir, profitiert davon, dass Firmen “überschüssiges” Geld erwirtschaften, was nur dadurch möglich ist, dass die in ihnen arbeitenden Menschen viel weniger Lohn bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Lieber Herr Wasserfallen, haben Sie es verstanden? Es sind nicht die Juso, welche die Reichen und Reichsten “enteignen” wollen. Es sind die Reichen und Reichsten, die schon lange – und in immer grösserem Ausmass – das Volk enteignen, die arbeitenden Menschen, die wenig oder durchschnittlich verdienen, die alles, was sie verdienen, zum Leben brauchen und nicht im Traum die Chance haben, ein auch nur noch so kleines Vermögen aufzubauen. Niemand kann 100 Millionen Franken besitzen und behaupten, er hätte das redlich verdient. Auf tausend geheimnisvollen, unsichtbaren und verschlungenen Wegen wandert das Geld unaufhörlich von den Arbeitenden zu den Besitzenden. Und daher zielt auch der zweite Vorwurf, diese neue Juso-Initiative bedeute eine “Verletzung verfassungsmässiger Rechte”, voll und ganz ins Leere. Wenn etwas in der Verfassung steht, dann gewiss nicht das Recht darauf, 100 Millionen Franken besitzen zu dürfen, sondern viel eher das Recht jedes Bürgers und jeder Bürgerin auf ein menschenwürdiges Leben. Wird, trotz aller noch so guten Argumente, auch diese Initiative der Juso, ebenso wie die 99%-Initiative, an der Urne scheitern? Diese Wahrscheinlichkeit ist gross. Doch dass Volksinitiativen der Juso in der Regel keine Mehrheiten finden, braucht kein schlechtes Zeichen zu sein. Es ist ganz selbstverständlich, dass neue, unkonventionelle, das herrschende Denksystem in Frage stellende Ideen niemals auf Anhieb Mehrheiten finden werden. Denn, wie schon Arthur Schopenhauer sagte: “Ein neuer Gedanke wird zuerst verlacht, dann bekämpft, bis er nach längerer Zeit als selbstverständlich gilt.” Deshalb wäre es auch falsch, von “verlorenen” Volksabstimmungen zu sprechen. Einen grösseren Erfolg als die Diskussion und die Meinungsbildung, die sie zur Folge haben, kann man sich gar nicht vorstellen…